Arcelor Mittal: Fachkräftemangel

Op der Schmelz

d'Lëtzebuerger Land du 23.09.2010

„Du bist 15, hast die neunte Klasse bestanden und suchst einen Beruf mit guten Zukunftsaussichten in einer modernen Industrie?“ Mit diesen Worten wirbt das firmeninterne Ausbildungszentrum von Arcelor Mittal (CFA) in Differdingen um Auszubildende für die Berufe des Mechatronikers, des Industrie- und Wartungsmechanikers und des Energieelektronikers. Das Ausbildungszentrum hat nicht nur gute Argumente – hohe Erfolgsraten bei der Abschlussprüfung und die Aussicht auf eine feste Anstellung beim Stahlproduzenten –, sondern auch gute Gründe, Werbung zu machen: Für die Produktionsstätten in Luxemburg findet sich nur schwerlich das gesuchte Personal.

Zwischen 2 700 und 2 800 Produk-tionsmitarbeitern beschäftigt Arcelor Mittal in den drei großen Werken Belval, Differdingen und Rodingen/Schifflingen. „Sicher, vergangenes Jahr waren wir mitten in der Krise, deswegen haben wir viel weniger eingestellt“, sagt Evie Roos, Direktorin der Personalabteilung, Arcelor Mittal Luxemburg. „Doch jetzt beschleunigt sich der Einstellungsrhythmus wieder deutlich.“ Schon allein um die jährlichen renten- und frührentenbedingten Abgänge auszugleichen, muss sich die Personalabteilung ständig nach neuen Mitarbeitern umschauen. „Im Schnitt scheiden jährlich 200 Arbeitskräfte aus dem Betrieb aus“, so Roos. Sogar wenn um der Produktivität Willen nicht alle ersetzt werden, müssen mindestens bis zu 150 neue Stahlarbeiter unter Vertrag genommen werden. Keine leichte Aufgabe, denn trotz steigender Arbeitslosigkeit sind Arbeiternehmer mit dem gesuchten Ausbildungsprofil mitunter sehr rar.

„Wir brauchen hauptsächlich Leute für die Wartung und Unterhaltung der Maschinen“, sagt Roos. Mechaniker, Hydrauliker, Schweißer, Elektriker und Mechatroniker, aber auch Ingenieure. „Besonders in diesen Bereichen suchen wir ganz intensiv nach erfahrenen Leuten, weil wir sie kaum noch finden – weder in Luxemburg, noch in der Großre-gion.“ Das Personalbecken in der Großregion, zumindest, was verschiedene Berufssparten betrifft, scheint leer gefischt.

Zwar erhält Roos im Schnitt jeden Monat 150 Bewerbungsschreiben, die als erste Quelle auf der Suche nach neuen Mitarbeitern gelten. Nach dem Ende des Schuljahres und nachdem sich herumgesprochen hatte, dass die Produktionsraten auf Erholungskurs sind, erhielt die Personalabteilung vergangenen Juli gar 400 Schreiben. „Ein Zeichen dafür, dass Arcelor Mittal als Arbeitgeber attraktiv bleibt“, meint die Personalchefin. Doch auch unter diesen vielen Bewerbern findet sie nicht immer die gesuchten Fachmänner und -frauen. Auch, weil man sich im Wettbewerb mit den anderen Industrien Luxemburgs befinde, die dieselben Profile suchten, wie Roos erklärt. Weil die Industrieproduktion insgesamt wieder ansteigt, verschärft sich der Wettbewerb. In den Karteien der Arbeitsagentur Adem – der zweitergiebigsten Quelle für neue Mitarbeiter – finde man auch immer weniger der gesuchten Profile.

Bewerber müssen in der Regel mindestens über ein CATP-Diplom verfügen, eine Gesellenprüfung. „Das ist normalerweise die Mindestanforderung“, so Roos. Zwar würden auch geringer Qualifizierte eingestellt,weil im Stahlbetrieb ohnehin alle Mitarbeiter zur Weiterbildung müssten. Doch weil man vor allem CATP-Absolventen sucht, denkt man auch über einen Ausbau im firmeneigenen Centre de formation nach, wo seit mehr als hundert Jahren Azubis ihren Beruf erlernen.

Dort sind im Schnitt 60 Jugendliche in Ausbildung, 20 pro Jahrgang. „Über 90 Prozent bestehen ihre CATP-Prüfung“, hebt Roos stolz hervor. Dieses Jahr hat man beim CFA, das mit dem Lycée technique privée Emile Metz zusammenarbeitet, im ersten Jahrgang bereits die Zahl der Auszubildenden auf 25 hochgeschraubt. „Wir denken darüber nach, ob wir nicht nur zahlenmäßig ausbauen sollen, sondern auch hinsichtlich der Auswahl der angebotenen Lehrgänge“, so die Personalchefin. Derzeit sind die Auszubildenden frei, sich mit ihrem Diplom in der Hand, bei anderen Arbeitgebern zu bewerben. Doch gerne sieht man das bei Arcelor Mittal nicht. „Es tut uns natürlich weh, wenn die Leute nicht bei uns bleiben. Sie kennen das Unternehmen bereits und die Werke, haben hier ihre praktische Ausbildung gemacht. Und wir kennen sie, da hat jeder was davon.“ Roos lässt anklingen, so großzügig, Leute auszubilden und sie danach ziehen zu lassen, werde man in Zukunft nicht mehr unbedingt sein können.

Dass das Stellenangebot und das ­Bewerberangebot auf dem Arbeitsmarkt schlecht abgestimmt sind, liegt wahrscheinlich nicht nur daran, dass Schüler sich nicht für zukunftsträchtige Fachrichtungen entscheiden. Sondern auch daran, dass das Luxemburger Schulsystem nicht genug Schüler bis auf CATP-Niveau ausbildet. Das macht sich auch an der internen Statistik bemerkbar: Die Gebietsansässigen stellen 44 Prozent der Produktionsmitarbeiter. „Auf die Luxemburger hat die Stahlindustrie immer noch eine große Anziehungskraft“, bestätigt Roos. Natürlich werde nicht gezielt unter Familienmitgliedern rekrutiert. Dennoch komme vor, dass Vater, Sohn und Onkel op der Schmelz, die keine mehr ist, arbeiten.

Die Gebietsansässigen sind dennoch in der Minderheit. Der Anteil der französischen Grenzpendler in der Belegschaft ist ebenso groß, wie der der Luxemburger; Belgier und Deutsche stellen ihrerseits jeweils zehn und zwei Prozent der Belegschaft. Portugiesische Gebietsansässige bewerben sich fast nie um Stahljobs, bestätigt Roos auf Nachfrage. Ob das eine Konsequenz der deutschlastigen Berufsausbildung ist? Innerhalb der Werke spielten die Sprachkenntnisse kaum eine Rolle. „Da wird ein Mix gesprochen“, sagt Roos. Quasi ein Werks-esperanto, bei dem die Luxemburger im Vorteil sind. „Der Dialog zwischen Schulen und Arbeitgebern insgesamt muss auf jeden Fall weiter verbessert werden“, sagt Roos mit Verweis auf den Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Fachrichtungen. Auch damit Beratung und Orientierung der Schüler im Hinblick auf die Anforderungen im Arbeitsmarkt sich entsprechend mit verbessern können.

Michèle Sinner
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