Krieger im Gelee

Bei Martin spielt das Hirn verrückt

d'Lëtzebuerger Land du 02.04.2009

Krieger im Gelee. Der Titel ist schon mal toll. Macht neugierig. Nach Hinterfragen. Der Autor ist jung, ein noch unverbrauchter Name: Claudius Lünstedt, Jahrgang 1973. Verlässlich zu finden im Internet, dort wo man junge Autoren findet. In Blogs, in (selbst-)kritischen Foren, in etwas gediegenen Online-Feuilletons und übers Mutterhaus: das eigenwillige Berliner Theaterhaus Eigenreich, dessen Team sich aus Schauspielern, Autoren, Regisseuren und Bühnentechnikern zusammensetzt, die sich ihr eigenes Theaterreich jenseits der bekannten großen Produktionen zurecht zimmern. Von Autor Claudius Lünstedt findet man das Photo mit dem klaren, kämpferischen Blick. Er sieht aus wie achtzehneinhalb. 

Neben dem Bild von Aureliusz Smigiel steht einfach: Regie, Licht, künstlerische Leitung. Smigiel zeichnet für die Regiearbeit des aktuell im Kasemattentheater aufgeführten Lün­stedt-Stückes Krieger im Gelee verantwortlich. Womit wir beim Thema wären: Bei Martin spielt das Hirn verrückt, da tobt der Krieg und führt ihn in Versuchung. Die tobenden Kopfkrieger bringen ihn zu der wahnsinnigen Idee, das Drama seines Lieblingsbuches mit der Inszenierung der fiktiven Geschichte in der realen Welt zu ehren. Er trachtet einem jungen Mann nach dem Leben. 

Der auserwählte Mervin wird entführt und entkommt nur zufällig seiner ziemlich brutal angedachten Liquidierung. Erzählt wird diese eigentümliche Geschichte aus drei Pers­pektiven: vom Täter Martin, vom Opfer Mervin und von der Freundin des ihnen allen bekannten Dieters. Letzterer ist in den sich abwechselnden Monologen stets präsent, taucht als Figur aber nie auf der Bühne auf. Ebenso überraschend wie die rasan­ten Übergänge in der krimihaften Erzählung wird der Schluss sein. Ein Drama ohne Happy-, ohne Bad End, ein Ende eben, unvorhersehbar.

Außer dass es um eine Entführung, um die Inszenierung eines Mordes und um einen Toten geht, hat Lünstedts Stück wenig mit einem Sonntagabend-Krimi gemein. Lünstedt – das ist vor allem die Entdeckung einer eigenwilligen Autorensprache. Die kommt ohne klassische Theaterdialoge daher. Man rezitiert gekonnt aneinander vorbei. Drei Personen, drei Blickwinkel, eine Sprache. Fein ziseliert, kraftvoll und bilderstark. Eine Wortlawine bricht über uns herein: „Schneegestöber immer weiter gerannt zwischendurch überlegt umzudrehen zurück zur U-Bahn jetzt plötzlich aus dem Nichts heraus Angst mich verirrt zu haben Autos dicht an mir vorbei gerast Hupen oft erst im letzten Moment Schweinwerfer erkannt ... kurz vorm Aufprall den Körper noch gebogen geschwitzt mitten im Schneegestöber Kleidung ausgezogen das schottische Lieblingstuch hinter mich geworfen plötzlich aus dem Nichts heraus Angst dass ich unheilbar krank.“

Jedem wird klar: Um diesem Wortschwall, ohne Punkt noch Komma und ohne korrekte Grammatika, Herr zu werden, bedarf es exzellenter Schauspieler unter der Leitung ei­nes hervorragenden Regisseurs. Ein wahrer Glücksgriff für das Kasemattentheater: Krieger im Gelee sticht aus den gängigen Kleinbühnen-Inszenierungen hierzulande angenehm hervor. Wer Talent und Können in einer schnörkellosen schauspielerischen Darstellung sucht, sollte diese drei Profis auf einer Luxemburger Bühne nicht verpassen: Stephan Baumecker, Wicki Kalaitzi und Paul Schröder. Letzter, noch mit einem Fuß in der Schauspielschule, ist wahrlich eine Entdeckung. 

Stichwort „Entdeckung“: Genau solche, eben (angenehme) Entdeckun­gen junger deutschsprachiger Autoren, Regisseure, Künstler und Schauspieler erhofft man sich von einer traditionsreichen Einrichtung wie dem Kasemattentheater. Sich mit so umtriebenen Künstlergruppen wie jenen des Berliner Eigenreich in Koproduktionen zu verbrüdern, ist ein cleverer Zug des künstlerischen Leiters Germain Wagner. Dass man eine kleine Bühne wie das Kasemattentheater (fast) ohne Bühnenbild, ohne altbewährte Autorennamen mit der ganzen faszinierenden Kraft einer guten Inszenierung füllen kann, ist nun bewiesen. Meiner Begeisterung tat nur die (wie immer) deplazierte Unterbrechung durch ei­ne Pause einen Abbruch. Wicki Kalaitzis Monolog war somit zeitlich etwas seltsam vom vorhergehenden Geschehen entrückt und konnte nicht an die Dynamik der Anfangsszenen anknüpfen. 

Krieger im Gelee von Claudius Lünstedt, mit Stephan Baumecker, Wicki Kalaitzi und Paul Schröder, unter der Regie von Aureliusz Smigiel. Weitere Vorführungen am 20., 21., 28., 29. und 30. April um 20 Uhr im Kasemattentheater; Tel: 29 12 81; www.kasemattentheater.lu. 

Anne Schroeder I
© 2024 d’Lëtzebuerger Land