Die gute Nachricht zuerst. Der Sommer ist noch nicht vorbei und noch immer suchen Betriebe händeringend junge Arbeitskräfte und Auszubildende. Die schlechte Nachricht: So sehr sie sich auch mühen, sie finden keine, die ihren Wünschen entsprechen. Dass die Schere zwischen Nachfrage und Angebot auf dem Stellenmarkt auseinanderklafft, ist kein neues Phänomen. Unternehmen klagen schon seit längerem darüber. Das war einer der Gründe, warum Patronat, Salariat und Ministerium sich über die groben Leitlinien der Reform der Berufsausbildung schnell einig wurden: Mit einer modernisierten Berufsausbildung hoffen sie, die Bedürfnisse besser aufeinander abstimmen zu können
Dafür ist es höchste Zeit. Denn trotz steigender Schülerzahlen und einer Bevölkerungskurve die aufgrund der Zuwanderung, nicht ganz so nachteilig verläuft, haben Luxemburger Unternehmen dieselben Schwierigkeiten wie ihre Nachbarn, ausreichend qualifizierte Fachkräfte – oder Auszubildende – zu rekrutieren. „Wir finden immer seltener Bewerber mit passendem Profil“, sagt Nico Bollendorff, Chef vom Service Ressources Humaines der Société nationale des chemins de fer luxembourgeois (CFL). Vielen Bewerbern fehle es an dringend benötigten Grundqualifikationen. „Manche haben nicht einmal eine Vorstellung, was sie hier genau erwartet.“
Rund 195 Lernende bildet die CFL derzeit aus. Die Ausbildungspalette bei einem der größten Ausbilder des Landes ist breit: vom Busfahrer, über den Zugbegleiter, zum Lokführer oder Rangierer und Mechaniker. Dafür müssen die Kandidaten aber zunächst Einstellungstests bestehen – und das schaffen immer weniger. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Manchen fehlt es schlichtweg an rudimentären Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Freundlichkeit, auf Neudeutsch: soziale Kompetenzen. „Ein Schaffner muss höflich bleiben und die Ruhe bewahren, auch wenn ein Fahrgast vielleicht nicht sofort das tut, was er möchte“, beschreibt Bollendorffs Kollege Albert Gérard das Anforderungsprofil der Kandidaten.
Auch bei den Sprachkenntnissen hapert es. Bei der CFL muss aber selbst der Mechaniker zumindest zweisprachig sein: Im Fuhrpark gibt es Lokomotiven aus Deutschland und aus Frankreich, da muss ein Techniker in der Lage sein, eine französische Gebrauchsanweisung zu verstehen. Noch wichtiger sind sichere Sprachkompetenzen im Stellwerk und für den Lokführer: „Wer im Stellwerk sitzt, muss die Gesetze und Fahrordnungen aller Länder kennen, mit denen wir kooperieren“, sagt Nico Bollendorff. Viele Züge fahren über die Grenze, nach Deutschland, nach Belgien, sogar in die Niederlande. Auch gibt es Lokführer-Austausche mit Partnerländern. Wer da nicht sattelfest ist, riskiert im schlimmsten Fall einen Crash. Tatsächlich sind Verständigungsprobleme bei Flugzeug- und Zugunglücken als Unfallursache nicht so selten. Wenn man dann noch die Regeln des Nachbarlandes nicht kennt, nicht weiß, dass in Belgien die Züge links, während sie in Deutschland rechts fahren, da kann es schon mal krachen.
Kein Wunder also, wenn die Personalplaner der CFL die Pläne des Unterrichtsministeriums, mit der Reform der Berufsausbildung auch die Sprachanforderungen neu zu bestimmen, mit Sorge und Skepsis sehen. „Die Sprachkenntnisse lassen seit Jahren nach. Aber ohne Mehrsprachigkeit können wir nicht optimal funktionieren“, beschreibt Bollendorff das Problem. Eigentlich sind die Sprachanforderungen sogar gestiegen, denn inzwischen wechseln Lokführer aus Luxemburg auch mal in die Schweiz oder fahren mit dem Zug bis Antwerpen. Im Frachtbereich, bei der CFL Cargo, kommen Züge aus allen Ländern Europas, auch dort sind Kenntnisse in verschiedenen europäischen Sprachen von Vorteil.
Auch die inhaltlichen Anforderungen sind gestiegen. Das gilt nicht nur für die CFL, sondern diese Entwicklung lässt sich auch in anderen Sparten beobachten. In der Logistik, eine Ausbildung, die seit kurzem in Luxemburg angeboten wird, denken Unternehmen schon über höhere Abschlüsse als den CATP nach. Aus der Logistik-Drehschreibe, von der Wirtschaftsminister Jeannot Krecké vor drei Jahren noch gesprochen hat, ist nichts geworden, aber den Trend zur Höherqualifizierung gibt es nicht nur dort. In den Gesundheitsberufen war es die Europäische Union, die den Mitgliedstaaten eine höhere Qualifizierung vorschrieb. Zu komplex sind die medizinischen Anforderungen geworden. Im Bau fehlen Ingenieure, technische Zeichner und Baumeister. Deshalb bietet das Lycée in Mamer neuerdings den Abschluss BTS conducteur de travaux an. Viele Unternehmen holen sich die nötigen Fachkräfte aus der Großregion.
Für die CFL ist die Lösung so einfach nicht: „Wir sind ein staatlicher Betrieb in Luxemburg“, sagt Bollendorff. Dreisprachigkeit ist nicht nur unverzichtbar, sondern für die Beamtenlaufbahn auch vorgeschrieben. Unter den Auszubildenden wächst zwar, wie bei so vielen Betrieben, der Anteil portugiesischer Lehrlingen, die meisten sind aber in Luxemburg geboren und hier zur Schule gegangen. Den Fachkräftebedarf können auch sie nicht beheben. Bei den vergangenen zwei Einstellungsverfahren bestanden gerade einmal 70 Anwärter die erste Runde. „Früher lag die Zahl bei 120“, erklärt Albert Gérard. Auf zehn Bewerber komme derzeit einer, der das Profil erfülle. Darunter auch vermehrt Frauen. Dass die Frauen in punkto Schulabschlüsse aufgeholt haben, ist auch der CFL nicht entgangen. Beim Busfahrpersonal ist ihr Anteil kontinuierlich am Steigen.
Um mehr Bewerber zu bekommen, hat die CFL sogar ihre Ausbildungsprogramme entschlackt. „Mehr geht nicht, wenn wir keine Qualitätsverluste riskieren wollen“, sagt Bollendorff ernst. Die Inhalte der Lehrpläne könne man noch beeinflussen. „Pünktlichkeit und Disziplin sowie Lust am Lernen müssten die Auszubildenden aber „von der Schule lernen“, findet er. Hohe Erwartungen also an die Reform der Berufsausbildung.