Protinvest gibt nicht auf. Im Schlagabtausch um etwaige Interessenkonflikte werden die Sachverhalte bunt durcheinandergemischt
Wessen Interesse?
d'Lëtzebuerger Land du 08.11.2013
„Pour une nouvelle approche de la supervision du secteur financier au Luxembourg“ lautete der Titel einer Pressemitteilung der Anlegerschutzvereinigung Protinvest zwei Tage nach den Kammerwahlen. Darin spricht sie von ihrer Hoffnung darauf, dass sich im Bereich der Finanzaufsicht etwas ändert, um den Anleger- und Konsumentenschutz in den Vordergrund zu rücken – nach dem Beispiel Frankreichs und Großbritanniens. Denn die derzeit gültige „règlementation archaïque (...) prône le confort des acteurs professionels du secteur financier: banques, assurances, etc en premier lieu.“ Dies ist die bisweilen letzte Wortmeldung in einem Schlagabtausch, der seit Wochen andauert: mit Briefen von Protinvest und Regierung an EU-Binnenkommissar Michel Barnier, mit Artikeln und Beiträgen in der nationalen und der internationalen Presse. Die Financial Times (FT) ließ die Gelegenheit nicht entgehen und titelte: „A flagrant violation of the principles of good governance.“ Der Hieb gegen den Finanzstandort Luxemburg saß. Konkret wirft Protinvest der Regierungsrätin und Kabinettschefin des geschäftsführenden Finanzministers Luc Frieden (CSV), Sarah Khabirpour, einen Interessenkonflikt vor, weil sie sowohl Mitglied in den Verwaltungsräten der Banque Internationale à Luxembourg (Bil) wie der Bourse de Luxembourg ist, als auch Präsidentin des Verwaltungsrats der Finanzaufsichtsbehörde CSSF. Aufgefallen ist dem Generalsekretär der Vereinigung dies im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen ihm und der Bil. Edgar Bisenius hatte als Geschäftsführer der Firma Becofis Bureau Européen de comptabilité et de fiscalité einen Mietvertrag mit einer Firma abgeschlossen, überwies jahrelang die Miete auf das Konto des Firmenleiters im Irrglauben, es handele sich um ein Firmenkonto. Als er dies herausfand, wollte er wissen, warum die Bank die Kontonummer nicht mit dem Namen des Kontoinhabers abgeglichen habe. Er ging mit seiner Frage zur CSSF. Die brauchte laut Bisenius „Monate“, um ihm eine Antwort zukommen zu lassen. Eine Antwort, die ihn nicht zufriedenstellte. Die CSSF hatte ihm mitgeteilt, dass seit der Umsetzung der Sepa-Bestimmung 2009 die Banken nicht mehr verpflichtet seien, den Abgleich zwischen Kontonummer und -inhaber vorzunehmen. Bisenius seinerseits glaubt, über die Anti-Geldwäsche-Bestimmungen seien sie dies durchaus, denn in einem Fall wie seinem bestehe der Verdacht auf Unterschlagung von Firmeneigentum durch den Firmenleiter. Die Antwort der CSSF verstößt in seinen Augen „gegen die öffentliche Ordnung“. Was hat Sarah Khabirpour damit zu tun? Wie Edgar Bisenius in einem Brief an Staatsminister Jean-Claude Juncker vom 15. Oktober schreibt: „Je me refère à la tentative de Monsieur le Directeur de la CSSF de justifier l’absence de contrôle faite par la Bil par un raisonnement qui revient à tolérer l’abus de biens sociaux. Cette réponse ne s’explique pas par le fait que l’alternative, à savoir une reconnaissance de la responsabilité de la banque aurait dû aboutir à une sanction envers la banque telle qu’un blâme, ce qui était inconcevable en raison des liens directs entre la CSSF et la direction de la Bil?“ Und weiter: „(...) l’explication ne peut être que les mêmes personnes siègent dans le Conseil d’Administration de la CSSF et sont également représentées dans la direction de la banque concernée. Ce qui nous amène au problème du conflit d’intérêt.“ Schwere Vorwürfe, die eigentlich über den Interessenkonflikt hinausgehen, wie auch Sarah Khabirpour findet. „Eigentlich wird mir Amtsmissbrauch vorgeworfen.“ Dass es für sie keinen Interessenkonflikt geben kann, begründet sie folgendermaßen: Sie vertritt in allen Verwaltungsräten die gleichgelagerten Interessen des Staates. So hatte das auch Jean-Claude Juncker in einem Schreiben an Michel Barnier vom 20. September erklärt. Um ihre Position zu untermauern, berufen sich Protinvest und Edgar Bisenius auf einen Bericht des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2011. Darin halte der IWF fest: „Safeguards for the CSSF’s independence need to be put in place. Its mission and corporate governance structure require revision in order to grant it fully operational independence and to ensure that promotion of Luxembourg’s financial sector or the interests of the supervised entities do not negatively impact the CSSF’s prudential supervision and enforcement...“ Den folgenden Satz, der festhält, dass es in der Praxis keine Einmischung gibt, zitierten sie nicht: „While there was no evidence of actual interference, a certain reluctance to use corrective measures expeditiously was observed.“ Dabei geht es dem IWF bei genauerem Hinsehen viel mehr um die Unabhängigkeit der CSSF-Direktion als um den Verwaltungsrat. Ein Problem damit, dass staatliche Vertreter in der CSSF auch in den Aufsichtsräten von Banken sitzen, oder mit der Präsenz der Branchenvertreter – momentan sind es unter anderem Ernst-Wilhelm Contzen (ABBL) und Marc Saluzzi (PWC) – hat der IWF nicht. In seinen Empfehlungen verlangt er, dass die CSSF als öffentliche Einrichtung nicht unter der „Autorität“ des Ministers stehen soll, sondern ihm stattdessen „Rechenschaft“ ablegen, dass die Direktion nicht von der Regierung abgesetzt werden können und dass klargestellt werden soll, dass der Ausbau des Finanzstandorts nicht zu den Missionen der CSSF gehört. Manches davon wurde bereits umgesetzt: Mit dem Gesetz vom 21. Dezember 2012 wurde die Statutenpassage: „d’assurer la coordination de l’exécution des initiatives et mesures gouvernementales visant une expansion ordonnée des activités du secteur financier au Grand-Duché de Luxembourg“ aus den Aufgaben der CSSF gestrichen. Weiterer Kritikpunkt: Der IWF würde es bevorzugen, wenn die CSSF statt der Minister die Banklizenzen erteilen würde – er tut dies auf Empfehlung der CSSF. In diesem Punkt, wie auch in Bezug auf die „Autorität“ des Ministeriums über die CSSF hatte Finanzminister Luc Frieden argumentiert, irgendjemand müsse politisch Verantwortung tragen. Was die Frage aufwirft, ob das so verwerflich wäre, wenn die Politik, beziehungsweise der Staat versucht, das Heft in der Hand zu halten? Letztendlich geht es auch darum, wer politisch zur Rechenschaft gezogen würde, wenn es „Unfälle“ in der Aufsicht gibt. Geht das tatsächlich gegen die Interessen der Verbraucher, Anleger, Steuerzahler, wenn diese Verantwortung beim Finanzministerium liegt? Dabei sollte, wer sich auf den IWF beruft, nicht vergessen, dass es im Für und Wider der verschiedenen Aufsichtsmodelle auch um ideologische Fragen geht und der IWF eher für wirtschaftsliberale Positionen bekannt ist, als für Aufrufe, die Rolle des Staates zu stärken. Wenn Protinvest auf die „Twin-peaks“-Systeme in Großbritannien und Frankreich verweist, muss ohnehin nüanciert werden. Es geht bei dieser „Aufgabenteilung“ zwischen verschiedenen Instanzen zu allererst darum, die prudentielle Aufsicht – Kapitalvorschriften und andere – von der Kontrolle über das Marktverhalten und den Verbraucherschutz zu trennen. Über die mehr oder minder starke Anbindung dieser Aufsichtsgremien an den Staat ist damit noch nichts gesagt. Ob die Vermischung der verschiedenen Themenebenen daher kommt, dass in vielen Ländern, in denen es eine derartige Aufgabentrennung gibt, die Zentralbank die prudentiellen Aufsichtsaufgaben übernimmt? Und seit Deutschland bei der Einführung des Euro bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ihr Modell der in geldpolitischen Entscheidungen unabhängigen Währungshüter durchgesetzt hat? Ein Modell, das längst nicht nur Verfechter hat, denn auch das ist eine ideologische Frage. „EZB“ ist dabei ein gutes Stichwort, denn in einem Jahr soll die Europäische Zentralbank via Single supervisory mechanism (SSM) die Aufsicht der Banken übernehmen. Da sehen manche Beobachter durchaus die Gefahr eines Interessenkonflikts zwischen den aufsichtsrechtlichen Aufgaben der EZB und ihrer Pflicht, über die geldpolitischen Entscheidungen die Preise im Euroraum stabil zu halten. Doch auch die Architekten des SSM haben sich Gedanken über die politische Verantwortung und die Legitimierung gemacht. „The conferral of supervisory tasks implies a significant responsibility for the ECB to safeguard financial stability in the Union, and to use its supervisory powers in the most effective and proportionate way. Any shift of supervisory powers from the Member State to the Union level should be balanced by appropriate transparency and accountability requirements. The ECB should therefore be accountable for the exercise of those tasks towards the European Parliament and the Council as democratically legitimised institutions representing the citizens of the Union and the Member States“, heißt es in der Richtlinie zum SSM. Deswegen sollen die Berichte der EZB zur Aufsichtsaktivität nicht nur im Europaparlament vorgetragen werden. Sie sollen auch an die nationalen Parlamente weitergeleitet werden. Diese sollen auch die Möglichkeit haben, die Verantwortlichen des Supervisory board, das in der EZB die Aufsichtsaktivitäten leitet und Entscheidungen des Gouverneursrats vorbereitet, einzuladen. „This role for national parliaments is appropriate given the potential impact that supervisory measures may have on public finances, credit institutions, their customers and employees, and the markets in the participating Member States“, heißt es weiter. Wenn der SSM nächstes Jahr die Arbeit aufnimmt, ändert das nichts an der Aufgabenteilung zwischen CSSF und Luxemburger Zentralbank, wie Jean Guill, Direktor der CSSF gegenüber dem Land bestätigt. Zur Sache Bil/Bisenius sagt er nicht mehr, als dass die CSSF Edgar Bisenius auf seine Fragen geantwortet habe und dass im Verwaltungsrat natürlich nicht über den konkreten Fall diskutiert wurde – mehr sagen darf er aufgrund des Berufsgeheimnisses wohl auch nicht. Weil der Verwaltungsrat, so steht es im Gründungsgesetz der CSSF, nur die allgemeine Ausrichtung der CSSF mitbestimmt, sowie budgetäre Fragen, erfuhr Sarah Khabirpour von der Sache erst durch Bisenius selbst, der das Finanzministerium kontaktierte, um den Minister aufzufordern, die CSSF-Leitung von der in seinen Augen irrigen Position abzubringen. Es war demnach Bisenius selbst, der versuchte das Ministerium beziehungsweise die Vertreterin des Staates dazu zu bewegen, Einfluss auf die CSSF-Direktion zu nehmen. Für ihn ist das nicht unlogisch, schließlich sei die CSFF nun mal nicht unabhängig. Wenn es so wäre, sagt er gegenüber dem Land, hätte er sich an jemand anderes gewandt. Es war auch Edgar Bisenius, der Jean-Claude Juncker in einem Schreiben forderte, die CSSF-Direktion abzusetzen – also genau das zu tun, was der IWF verhindern will. Eigentlich meinte Edgar Bisenius den Verwaltungsrat, erklärt er auf Nachfrage. Den Formulierungsfehler führt der Protinvest-Generalsekretär auf Jean-Claude Juncker zurück. Der hatte ihm in einem Brief erklärt, die Möglichkeiten der Regierung beschränkten sich auf eine kollektive Entlassung der CSSF-Direktion; er hatte schlicht die Gesetzeslage erklärt, da ist vom Verwaltungsrat keine Rede... Alles in allem ist die Geschichte ziemlich wirr. Und auf die tatsächlich interessanten Fragen, beispielsweise, ob der Umstand, dass die Branche die Gebühren zahlt, mit der die CSSF finanziert wird, die Präsenz ihrer Vertreter im Verwaltungsrat rechtfertigt oder was durch den Übergang zum SSM an politischer Handhabe in Luxemburg verlorengeht, oder beispielsweise inwieweit die CSSF, den anderen Empfehlungen des IWF über Anlegerschutz und härtere Sanktionen bei Regelverstößen nachgekommen ist, gingen dabei ziemlich unter. Im Zentrum vieler Medienberichte stand stattdessen: Sarah Khabirpour. „Jean-Claude Juncker vole au secours de Sarah Khabirpour“ titelte Le Quotidien im September. Die FT illustrierte ihren Artikel mit drei nebeneinander gestellten Bildern: Links Luc Frieden mit offenem Mund, rechts Jean-Claude Juncker mit offenem Mund. Dazwischen eine strahlend lächelnde Khabirpour. Ob man die gleiche Illustration gewählt hätte, wenn es statt einer jungen Frau um einen Mann, beispielsweise Etienne Reuter oder den in Zwischenzeit zum BCL-Präsidenten berufenen Gaston Reinesch, gegangen wäre? Beide waren zeitweilig in der gleichen Lage wie Khabirpour: Sie waren Verwaltungsratsmitglieder für den Staat bei einer Bank und gleichzeitig Mitglied im Verwaltungsrat der CSSF. Danach hat kein Hahn gekräht. Die CSSF ihrerseits hat Ende Oktober eine Richtlinie über die außergerichtliche Schlichtung bei Beschwerden veröffentlicht, worin eine genaue Prozedur mit zeitlichen Rahmen vorgesehen ist. Mit der Beschwerde Edgar Bisenius’ über das monatelange Schweigen der CSSF habe das nichts zu tun, so Guill gegenüber dem Land. Die Richtlinie sei seit langem in Arbeit gewesen.
Michèle Sinner
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