Feuerwehr

Von Beruf Lebensretter

d'Lëtzebuerger Land du 23.09.2010

Die Stimme dröhnt durch den Lautsprecher. Dann: Achtung, dies ist ein Test! Oberbrandmeister André Chelius horcht kurz auf, dann entspannt sich sein Gesicht. Eine Gruppe von Praktikanten wird gerade durch die Einsatzzentrale geführt, den Testnotruf hatte der Kollege in der Meldezentrale zu Demonstra-tionszwecken ausgelöst. Wäre es ein Ernstfall gewesen, wäre es an Che-lius gewesen, den Einsatz zu koordinieren: Er ist Feuerwehrmann und leitet heute die Schicht.

Der 40-Jährige ist gelernter Elektromechaniker und arbeitet seit 18 Jahren bei der hauptstädtischen Berufsfeuerwehr. Wie die jungen Praktikanten, die die Wache in der Arloner Straße neugierig inspizieren, hat er eine zweijährige Ausbildung durchlaufen, bevor er zusammen mit seinen Kollegen seinen ersten „Angriff“ fahren konnte. So heißt der Löscheinsatz unter Feuerwehrleuten.

Die Anforderungen an die Kandidaten sind hoch. Dazu zählen strenge Gesundheitschecks und die üblichen Sprachenprüfungen. In der Ausbildung kommen Tests in Physik, Chemie und Mechanik hinzu. Vorkenntnisse bei der Freiwilligen Feuerwehr können helfen, aber das Hobby einfach so zum Beruf machen, geht nicht: „Alle durchlaufen dieselbe Grundausbildung.“ Vor allem die Sporttests – Ausdauerlauf, Gewichte stemmen, Geräte-Parcours – verlangen den Berufsanwärtern viel ab. „Danach achtet jeder selbst auf seine Fitness“.

Im Trainingsraum, unten im Keller neben dem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, läuft ein Kollege auf dem Fließband, ein anderer stemmt schwitzend eine Hantel. Im Hintergrund dudelt das Fernsehen. Topfit zu sein, ist wichtig, denn nur wer körperlich voll belastbar ist, kann die physischen und psychischen Anforderungen, die mit dem Beruf einhergehen, bewältigen. Denn die Berufsfeuerwehr fährt vergleichsweise selten zum Löschen raus, nur rund fünf Prozent der Einsätze sind Brände. Das Gros sind Rettungsdienste mit der Ambulanz. Die gibt es täglich: Autounfälle, Schlägereien mit Verletzten. Unter Notruf 112 ist die Feuerwehr zur Stelle. „Es kann vorkommen, dass wir mehrere Tote am Tag sehen“, sagt Chelius.

Wie man das verkraftet? „Da hat jeder seine eigene Strategie“. Chelius versucht allzu gruselige Details gar nicht erst an sich heranzulassen: „Ich mache meine Arbeit“ sagt er. Kommt er abends nach Hause, hat er die Einzelheiten längst vergessen. „Würde man mich fragen, wie ein Verunglückter ausgesehen hat, ob er blonde Haare hatte oder braune, ich könnte es nicht sagen.“ Wenn die schreckliche Bilder nicht mehr loslassen, der kann sich beim psychologischen Dienst der Stadt Hilfe holen. Anonym. Über den Psycho­stress wird nicht viel geredet.

Über anderes schon, denn die Atmosphäre im Team muss stimmen: „Teamgeist und gegenseitiges Vertrauen sind das A und O.“ Herrscht in der Gruppe, aus welchem Grund auch immer, dicke Luft, wird dieser geklärt: „Wir müssen uns in Extremsituationen auf einander verlassen können.“ Mit dem Klischee der großen Familie Feuerwehr, die immer zusammenhält und sogar die Freizeit miteinander verbringt, wie sie in Dokumentationen über die New Yorker Firefighter nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 beschworen wurde, kann der Luxemburger wenig anfangen. „Die Amerikaner haben eine andere Mentalität. Ich will nach dem Dienst auch Privatmann sein können.“ Besuchern der Wache fällt der kollegiale, kumpelhafte Ton auf, was aber nicht gleichzusetzen ist mit fehlenden Hierarchien. Auf einem Einsatz, bei dem es um Leben und Tod gehen kann, muss jeder auf das Kommando des Truppenführers hören. Einzelgänger haben bei der Feuerwehr nichts zu suchen.

Das Telefon klingelt. Ein Kollege erkundigt sich nach seinem Stundenplan für die Nachtschicht. „Du bist auf der Leiter. Ist das okay?“, fragt Chelius. Der diensthabende Schichtleiter ist für die Einsatzplanung und die Mannschaftseinteilung zuständig. Wer Präferenzen hat, als Sanitäter im Rettungswagen oder als Feuerwehrmann auf einem Löschzug, kann diese anmelden. Anfänger haben häufig Rettungsdienst. Grundsätzlich soll jeder auf jedem Posten einsetzbar sein – wobei das nicht einfach ist: „Alle auf denselben Wissensstand zu halten, ist praktisch unmöglich.“

Entsprechend vielfältig sind die Arbeitsbereiche: Wer gerade nicht auf einem Einsatz unterwegs ist, wienert den Löschwagen, prüft das Rettungsgerät, den Druck der Spritzen oder repariert defekte Teile. Feuerwehrleute brauchen technisches Know-how, weshalb bevorzugt Elektriker und Mechaniker eingestellt werden.

Ob deshalb in Luxemburg keine einzige Frau bei der Berufsfeuerwehr arbeitet? „Wir sind durchaus offen für weiblichen Nachwuchs. Ich weiß nicht, ob es an den hohen körperlichen Anforderungen liegt, dass sich Frauen eher selten für diesen Beruf entscheiden. Die sportlichen Anforderungen im Einstellungstest sind für Frauen und Männer gleich“, meint Chelius. Die Posten werden, wie alle Stellen der Gemeinde, geschlechtsneutral ausgeschrieben. Und manchmal bewirbt sich eine Frau. Die meisten scheitern nicht an der Mechanik, sondern schon früher, am Sporttest. Kürzlich bestanden zwei Frauen den Parcours, aber bevor sie die Ausbildung antreten konnten, waren sie schon anderweitig untergekommen.

So bleiben die Männer weiterhin unter sich. 140 Männer arbeiten derzeit auf der Wache, in zweimal 12-Stunden-Schichten. Eine Schicht besteht aus 20 Leuten, die Rettungswagen, Löschwagen und sonstiges Rettungsgerät betreuen. Die anderen werden im Notfall, bei Großalarm hinzu gerufen. Dann piepst daheim der Pieper. Die Berufsbereitschaft ist womöglich ein weiterer Grund, warum sich Frauen seltener bei der Feuerwehr bewerben: Mit Kindern lassen sich Schicht und Bereitschaftsdienst schwer vereinbaren. Manche ältere Kollegen verabschieden sich vom Feuerwehrdienst, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können.

Der Schichtplan geht oft gerade so auf. „Wir haben regelmäßig Engpässe.“ Obwohl die Feuerwehr in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen genießt und gerade junge Menschen sich oft bei der Freiwilligen Feuerwehr im Dorf engagieren, haben die Profis ein Nachwuchsproblem. Vergangenes Jahr waren sie deshalb mit ihrem Gerät in die Innenstadt gefahren, ein Einsatz der anderen Art: Zwischen Blaulicht und Luftballons konnten Neugierige die Drehleiter hinaufklettern und in die Fahrerkabine steigen. Vor allem Kinder waren begeistert. Eine Werbekampagne, um junge Leute für den Rettungsdienst zu gewinnen, gibt es nicht. Das erklärt aber nur zum Teil, warum viele junge Leute sich falsche Vorstellungen vom Beruf machen.

„Ich wollte früher nie zu denen gehören, die über die Jugend stöhnen.“ Klagen über die heutigen Berufsanwärter sieht Chelius nuanciert. „Aber man fragt sich schon, ob in der Schule und im Elternhaus noch dieselben Werte vermittelt werden wie früher“, sagt er nachdenklich. Manche Bewerber kämen sehr blauäugig auf die Wache. „Die sind dann erstaunt, wenn sie hier ins kalte Wasser geworfen werden.“ Schlendrian und Null-Bock geht gar nicht. „Hier zählen Pflichtbewusstsein und ein hohes Verantwortungsgefühl.“ Es klopft an der Tür: „Der Riegel an der hinteren Tür ist locker“, meldet ein Kollege und zeigt durch das Fenster auf einen Löschwagen in der Halle. Den Defekt hat er entdeckt, als er den Wagen vorführen wollte. Sogleich wird der Mechaniker bestellt. „Das Material muss 100 Prozent in Ordnung sein“, so Chelius. Grundsätzlich sei man „auf dem neuesten Stand der ­Technik“.

Und wenn nicht das Material versagt, sondern der Mensch? Wie umgehen mit der Verantwortung? „Bei der Menge unserer Einsätze geht auch mal etwas schief. Wir sind bestrebt, Einsätze und Situationen nachträglich zu analysieren, um eventuelle Fehler zu erkennen und Lehren aus ihnen zu ziehen“, betont Chelius.

Ines Kurschat
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