Halb & halb

Willkommen zu Hause

d'Lëtzebuerger Land du 13.04.2006

Irgendwie erinnert das erste Bild von Sebastian Schloessers Inszenierung von Halb [&] Halb des australischen Autors Daniel Keene an Mathew Modines markante Körperhaltung in Alan Parkers Film Birdy (1984): Wie Birdy, der vom Vietnamkriegkrieg traumatisierte US-Soldat, lebt auch Ned (Jan Byl) völlig isoliert, nur auf sich selbst konzentriert. Zusammengerollt hockt er mit den Füßen auf einem Küchenstuhl und versucht, Kreuzworträtsel zu lösen. Mehr noch als ein Spiel oder ein Zeitvertreib sind die Kreuzworträtsel für ihn eine intellektuelle Herausforderung, der Versuch, die Welt, die er nie gesehen hat, wenigstens benennen zu können. Ned ist um die 20 Jahre alt und hat das mütterliche Haus nie verlassen – obwohl die Mutter schon seit zehn Jahren tot ist. Mitten in seinem morgendlichen Ritual taucht plötzlich Luke (Steve Karier) wieder auf. Neds 20 Jahre älterer Halbbruder war kurz vor Mutters Tod verschwunden, war ausgezogen, die Welt zu entdecken, eine Arbeit zu finden und sein Leben zu meistern, selbstständig und frei. Halb [&] halb erzählt die Geschichte dieses Wiedersehens, die, innerhalb weniger Tage, durch Provokationen, Streit und schmerzhafte Vergangenheitsbewältigung zur Katharsis führt. Auf "Bruder?" – "Bruder!" stoßen die beiden am Ende ihr Dosenbier an. Doch bis dorthin war es ein weiter Weg: Warum hat Luke die (alleinerziehende?) Mutter mit dem jungen Sohn Ned alleine gelassen? Warum sich nie wieder gemeldet? Warum hat die Mutter auf dem Todesbett Ned gesagt, wie sehr sie Luke liebte – und nicht ihn? Wer ist Neds Erzeuger wirklich gewesen? Und warum zum Teufel will Luke immer zwei Eier zum Frühstück, wo doch nur zwei da sind und Ned doch auch welche essen möchte? Männer sind anders als Frauen: sie setzen sich nicht hin und diskutieren die Sache aus. Luke und Ned haben nie gelernt, miteinander zu reden. Also streiten sie. Luke, der exzessive, impulsive, schamlose, aggressive, provoziert Ned, den leisen, verschlossenen, sensiblen Ned, strapaziert seine Geduld, macht ihm sein einziges Terrain, die Küche streitig. Ned wirft Luke dessen Abwesenheit vor. Immer wieder streiten die beiden wie Hähne, schreien sich an – um sich dann radikal zu stoppen und starr anzuschweigen. Großes Theater erkennt man oft am Umgang mit den Pausen und der Stille, in Halb [&] halb sind diese stillen Momente sehr intensiv. Sebastian Schloesser, dessen deutsche Uraufführung des Stückes derzeit am Staatstheater Mainz und noch bis Ende April im Kasemattentheater in Bonneweg gespielt wird, ist es gelungen, das ewige Thema der Suche nach Bruder- und Vaterschaft, sehr abstrakt, also universell anzulegen. Die beiden Figuren sind immer im gleichen Zimmer, tragen immer die gleiche Kleidung, das Licht bleibt (fast) immer identisch. Und doch wird es nicht wirklich langweilig, besonders der zweite Teil des Stückes, als Luke mit dem herangeschafften Boden aus dem Grab der Mutter einen sehr eigenen "Garten Ede" auf dem Küchentisch anpflanzt – Steve Karier amüsiert sich köstlich beim Schaufeln und Herumwuseln – und so Bilder voller absurden Poesie entstehen, ist äußerst kurzweilig.  Halb [&] halb von Daniel Keene, Inszenierung: Sebastian Schloesser; Bühne und Kostüme: Nicole Pleuler; Technik: Zeljko Sestak; Licht und Ton: Judith Schmit; mit: Steve Karier und Jan Byl. Weitere Vorstellungen am 24., 25., 26. und 28. April jeweils um 20 Uhr im Kasemattentheater, 14, rue du Puits in Luxemburg-Bonneweg; Kartenvorbestellung unter Telefon 291 281. Eine Produktion des Staatstheater Mainz, wo sie am 8. Dezember 2005 Premiere feierte und noch weiterhin auf dem Spielplan bleibt.

 

josée hansen
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