Die einflussreiche CGFP meldet sich im Wahlkampf zu Wort

Pacta non sunt servanda

d'Lëtzebuerger Land du 19.01.2018

„Wenn Sie alleine in der Regierungsverantwortung wären – das ist die Frage –, würden Sie dann die strittigen Punkte aus der Reform wieder mit uns diskutieren, damit wir sie aus der Welt schaffen können? Und vor allem: Wie steht es mit 80/80/90, würden sie das abschaffen oder nicht? Das ist wirklich eine einfache Frage, und zwar kann man die beantworten mit Ja oder mit Nein.“ So fasste Romain Wolff, der Präsident der CGFP, am Montag den Brief zusammen, den er gerade an Premierminister Xavier Bettel (DP) und sämtliche politischen Parteien verschickt hatte.

Der Brief enthält ein Ultimatum: Die Beamtengewerkschaft erbittet sich bis zum 19. Februar, dem Ende der Fastnachtsferien, eine eindeutige Antwort. Die Regierung soll damit einen Monat Zeit haben, um der Gewerkschaft zu versprechen, dass sie noch vor den Wahlen im Oktober die Kürzung der Anfangsgehälter rückgängig machen und andere „Nachbesserungen“ an der vor zwei Jahren in Kraft getretenen Reform vornehmen will. Sollte die erwartete Antwort der Regierung ausbleiben, droht die CGFP mit gewerkschaftlichen Aktionen. Der Streitfall und die Schlichtung seien die ersten Schritte in Richtung eines möglichen Streiks.

Dass die Beamtengewerkschaft der Regierung wenige Monate vor den Wahlen mit einem Streik droht, kommt etwas überraschend. Denn ihre Kampagne hat zwei Schwachstellen: Es ist bereits das zweite Ultimatum innerhalb von zwei Monaten, um eine Reform der Reform des Beamtenstatuts zu erzwingen. Bei einer Protestkundgebung im November hatte sie die politischen Parteien aufgefordert, binnen 14 Tagen Stellung zu ihren Forderungen zu nehmen, bis zur Vorständekonferenz kurz vor dem Jahresende. Bis zum 11. Dezember hatte aber bloß die Linke geantwortet.

Doch wer sein Ultimatum erneuern muss, zeigt, dass ihm die Macht fehlt, es durchzusetzen. Mit ihrer Saalkundgebung am 27. November in Dommeldingen wollte die CGFP „eine sichere Zukunft für den öffentlichen Dienst“ gewährleisten. Nach Angaben der Gewerkschaft waren 750 Mitglieder erschienen und sie sprach von einem „großartigen Erfolg“. Präsident Romain Wolff hatte betont, dass es nun reiche, dass die CGFP sich nicht mit „Wischiwaschi-Antworten“ abspeisen lasse, wenn sie eine „Nachbesserung“ der Reform verlange. Die Parteien müssten umgehend Farbe bekennen, die versprochene Zwischenbilanz der Reform dürfe nicht bis nach den Wahlen aufgeschoben werden.

Die CGFP weiß, dass sie vor den Wahlen ihren politischen Druck ausüben muss, und dieser Druck ist erheblich. In der vom Parlament bei der Universität bestellten Analyse der Kammerwahlen Elect 2013 hieß es: „Une nouvelle fois le renforcement du vote des électeurs issus du secteur public et parapublic ! En 2013, 43,1% était fonctionnaire de l’Etat, des communes et des chemins de fer, et 17,4% travaillaient dans des activités du secteur parapublic et/ou subventionné par la Puissance publique“ (S. 210). Von den Kandidaten stammten 34,7 Prozent aus dem öffentlichen Dienst, „[l]es partis qui ont le plus de travailleurs liés au public sont le PD (48,3%), Les Verts (43,3%), le POSL (36,6%) et le PCS étant à égalité (36,6%)“ (S. 163).

Die Folge des hohen Beamtenanteils soll sich laut Wahlanalyse am Verhalten der Wähler zeigen: „Une grosse minorité d’entre eux protégés par la déten­tion d’un emploi public et parapublic demeure toujours très attachée à l’égalité sociale et aux fonctions de l’État régulateur et providentialiste“ (S. 221) Aus diesem Grund hatte die Regierung 2015 mit Unterstützung der Handelskammer versucht, über ein Referendum das legislative Ausländerwahlrecht einzuführen und so den Beamtenanteil an der Wählerschaft zu verringern. Das Referendum wurde zum größten Reinfall der liberalen Koali­tion.

Der große politische Einfluss des öffentlichen Dienstes erklärt auch das ständige Manövrieren der Parteien, die aus ökonomischen Gründen bald ein beamtenfeindliches Klima schüren, bald aus wahltaktischen Gründen den öffentlichen Dienst hofieren. Nach der Abschaffung der 5/6-Pensionen hatte die eher mittelständisch sinnierende DP 1999 mit Hilfe der CGFP die Wahlen gewonnen und zum Dank CGFP-Vorstandsmitglied Jos Schaack zum Staatssekretär in eigener Sache gemacht. Sogar die aus dem Neid auf die Beamten und ihre 5/6-Pensionen geborene ADR hatte sich in einem Panikanfall wenige Wochen vor den Wahlen von 2009 erfolglos bei den Beamten und der in natio­nalistischem Protektionismus ihr nicht nachstehenden CGFP angebiedert.

Die zweite Schwachstelle der CGFP-Aktion ist, dass die Gewerkschaft, die stets auf „Pacta sunt servanda“ schwor, nun eine Reform aufrollen will, zu der sie ihr Einverständnis gegeben hatte und mit der durch die Kürzung der Anfangsgehälter, ein Bewertungssystem und eine Neuordnung der Berufslaufbahnen etwas privatwirtschaftlicher Managerismus in die Amtsstuben gebracht werden soll. Die ADR hatte bereits 2004 in ihrem Wahlprogramm versprochen, das „für den Mittelstand verderbliche Ungleichgewicht zwischen öffentlichem Dienst und dem Mittelstand“ ins Lot zu bringen. 2009 hatte die CSV die Idee aufgegriffen und in ihr Wahlprogramm geschrieben, dass sie „für zukünftige Staatsbeamten die Anfangsgehälter näher an den Privatsektor heranführen“ wolle. Der Elektrikermeister soll nicht zu viel zahlen müssen, damit sein Lehrling nicht lieber Gemeindearbeiter wird.

Nach viel für die Geheimverhandlungen zwischen Regierung und CGFP-Führung üblicher Melodramatik unterzeichnete die CGFP schließlich ein später wieder abgeändertes Abkommen, mit dem sie als Praktikantenentschädigungen getarnte Kürzungen der Anfangsgehälter auf 80 bis 90 Prozent hinnahm. Dabei wurde die bei der Abschaffung der 5/6-Pensionen bewährte Taktik angewandt und die Gehaltskürzungen für kommende Beamte mit einer kurz zuvor noch von der Regierung kategorisch abgelehnten Gehaltserhöhung für die aktiven erkauft.

Ihren Meinungsumschwung erklärt die CGFP nun damit, dass das von ihr unterschriebene Abkommen nicht schlecht war, sondern die seither erfolgte Umsetzung durch die Regierung. Der Kürzung der Einstiegsgehälter, der „80/80/90-Regelung“, habe sie sowieso nur zugestimmt, um Schlimmeres zu verhindern, da die vorige Regierung noch andere Verschlechterungen geplant gehabt habe, wie Generalsekretär Steve Heiliger auf der Protestkundgebung im November offenbarte. Zwei Wochen später erklärte er auf der Vorständekonferenz, dass die CGFP zugestimmt habe, um einen Sozialkonflikt zu vermeiden.

Immerhin hatte es unter der vorigen Koalition schon viel Kritik an der Einigung mit der Regierung gegeben, so dass die Gewerkschaft Ende 2011 einen ähnlichen Meinungsumschwung vollziehen musste wie heute. Bei den Sozialwahlen im März 2015 hatte der damalige Präsident Emile Haag sogar den Vorsitz seiner Berufskammer verloren. Doch die Karten stehen nicht zum Besten für die Gewerkschaft: Die Reform des Beamtenstatuts war während der vorigen Legislaturperiode von den CSV-Ministern François Biltgen und Octavie Modert ausgehandelt und dann von einer DP/LSAP/Grünen-Koalition zum Gesetz gemacht worden. Die Kürzung der Anfangsgehälter verfügt also über jene qualifizierte Mehrheit, die derzeit für eine Verfassungsreform fehlt. Aber die CGFP hofft, dass die eine oder andere Partei mit dem heran­rückenden Wahltermin noch die Nerven verliert.

Romain Hilgert
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