Wenn auch an sonst nicht viel, an dieses Experiment aus dem Chemieunterricht erinnern sich die meisten: Mit einem lauten Knall reagieren Wasserstoff und Sauerstoff. In den Brennstoffzellen-Bussen, die ab Mitte 2003 in den normalen Betriebsablauf integriert werden und kreuz und quer durch Luxemburg kurven, soll diese Knallgasreaktion jedoch kontrolliert ablaufen. Hersteller DaimlerChrysler verspricht, die Vehikel mit einem kleinen elektrochemischen Kraftwerk an Bord seien „extrem leise und komfortabel“.
Die Brennstoffzelle war schon 1839 von William Grove entwickelt worden. Der Brite entdeckte: Bei der Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff entstehen Elektrizität und Wärme - und zurück bleibt nichts als Wasser. Die „kalte“ Verbrennung ohne Flammen erzeugt keine Schadstoffe. Weil Brennstoffzellen chemische Energie direkt in Strom umwandeln, haben sie einen viel höheren Wirkungsgrad als herkömmliche Motoren. Trotz dieser Vorteile wurden sie lange nur für Nischenanwendungen genutzt, zum Beispiel für die Gemini- und Apollo-Raumfahrzeuge in den 1960-er Jahren. Die Astronauten konnten das Abwasser trinken. Seit immer mehr Staaten nach dem Vorbild Kaliforniens strenge Abgasvorschriften erlassen, nimmt aber das Interesse an Brennstoffzellen zu.
Vorangetrieben wird die Entwicklung von der Fahrzeugindustrie, die ihr Umweltvergifter-Image loswerden will. Da sich einzelne Brennstoffzellen je nach Bedarf zu leistungsstarken „Stacks“ zusammenschalten lassen, bieten sie sich aber auch für viele andere Anwendungen als Stromlieferant an: von Satelliten bis zu Kraftwerken, aber auch für Laptops. Geforscht wird vor allem in den USA, Kanada, Japan und Deutschland.
DaimlerChrysler gründete 1997 mit der kanadischen Firma Ballard Power Systems eine „Brennstoffzellen-Allianz“, der sich später Ford anschloss. In dem gemeinsamen „Projekthaus Brennstoffzelle“ bringen nun rund 400 Mitarbeiter das neue Antriebssystem zur Serienreife. Dass sie in dem kleinen Ort Nabern werkeln, abgelegen auf der Schwäbischen Alb, ist kein Zufall: Spione fallen dort eher auf. Die Konkurrenz schläft nicht – General Motors und Toyota bildeten ein entsprechendes Konsortium; VW, Volvo und Renault ebenso. Siemens, MAN und Linde haben im Jahr 2000 auch schon einen Brennstoffzellen-Linienbus getestet, nämlich in Berlin, Kopenhagen und Lissabon.
DaimlerChrysler will den Vorsprung halten. 1994 hatte der Konzern mit dem Necar 1 (New Electric Car) als erster die technische Machbarkeit der Brennstoffzellen für Straßenfahrzeuge demonstriert. Seither hat das Unternehmen rund eine Milliarde Euro in die Entwicklung investiert und 20 Konzeptfahrzeuge ausgerüstet. Necar 1 war noch ein mit Technik vollgestopfter Transporter; heute sind Brennstoffzellen fast so klein wie konventionelle Antriebe.
Für die Wasserstoffspeicherung und -zufuhr werden mehrere Möglichkeiten geprüft, vor allem gasförmiger oder flüssiger Wasserstoff und Methanol. Bei Flotten, für die sich eine eigene Tankstelle lohnt, zum Beispiel für Busse oder Taxis, setzt DaimlerChrysler auf komprimierten Wasserstoff. Dieses System ist technisch am einfachsten und hat den besten Wirkungsgrad – und es ist völlig emissionsfrei. Von Nachteil ist, dass ein Wasserstofftank etwa achtmal größer sein muss als ein Benzintank mit gleicher Reichweite.
Bei Privatautos soll Methanol als flüssiger Wasserstoffspeicher verwendet und daraus erst an Bord Wasserstoff gewonnen werden. Methanol lässt sich aus Biomasse fabrizieren und ähnlich handhaben wie Benzin, allerdings entsteht dabei schädliches Kohlenmonoxid. Wie umweltfreundlich Wasserstoff ist, hängt von der Herstellung ab: Nur wenn der Strom für die Elektrolyse aus Sonnen-, Wasser- oder Windkraft stammt, ist die Energiebilanz völlig emissionsfrei.
Mit dem Nebus, den DaimlerChrysler 1997 in Vancouver und Chicago auf die Straße schickte, kam die neue Technologie aus dem Labor. Die Brennstoffzelle dieses Busses bringt für den Fahrbetrieb 190 kW Leistung (260 PS). In Zukunft werde „die sehr kompakte Bauart der Brennstoffzelle die Omnibus-Konstruktion völlig revolutionieren“, kündigt das Unternehmen an, denn viele heutige „Notwendigkeiten wie Motoranlage, Achsen, Getriebe, Gelenkwellen, Lichtmaschinen oder Tanks werden durch elektrische Leitungen ersetzt. Die zur Verfügung stehende Grundfläche wird dadurch größer. Darüber hinaus wird durch den Wegfall jeglicher Schaltvorgänge der Komfort spürbar verbessert“.
Die neuen Busse sind Nachfolger des Nebus, nämlich zwölf Meter lange Citaro-Niederflurbusse von Mercedes-Benz. Sie können mit bis zu 80 km/h an die 70 Fahrgäste befördern und haben eine Reichweite von rund 200 Kilometern. Ihre Brennstoffzelleneinheit und Druckgas-Flaschen mit auf 350 bar komprimiertem Wasserstoff sind auf dem Dach untergebracht, weil dort das Unfallrisiko am geringsten ist. Elektromotor und Getriebe befinden sich im Heckbereich. Aus dem Auspuff kommt etwa 55 Grad warmer Wasserdampf.
Die „weltweit erste Kleinserie von Brennstoffzellenbussen“ wird von der DaimlerChrysler-Tochter EvoBus gebaut und zum Stückpreis von 1,28 Millionen Euro verkauft, wobei zwei Jahre lang die Wartung im Preis inbegriffen ist. Zehn Verkehrsbetriebe, die an dem von der EU mit 18,5 Millionen Euro geförderten European Fuel Cell Bus Project teilnehmen, testen mit jeweils drei Bussen verschiedene Arten der Wasserstoffgewinnung und der Infrastrukturnutzung.
In Luxemburg geht es dabei um „Erprobung im lokalen Verkehrssystem“ und „Bezug des Wasserstoffs vom Gaslieferanten“. Georges Feltz, der Direktor der hauptstädtischen AVL, erläutert: „Wir setzen schon seit längerer Zeit auf Alternativen zu den herkömmlichen Antrieben. Beispiele sind die 45 Busse mit Raps-Methylester-Motoren, die die Stadt Luxemburg seit sieben Jahren im Einsatz hat, sowie die drei Elektro-Hybrid Busse, die seit sechs Jahren fahren. Die Brennstoffzellen Busse reihen sich in diese umweltfreundlichen und besonders abgasarmen oder abgasfreien Projekte ein.“ Die Beteiligung am Projekt werde Stadt Luxemburg insgesamt etwa 1,62 Millionen Euro kosten.
In Amsterdam wird Wasserstoff-Elektrolyse mit „grünem Strom“ untersucht werden, in London der Einsatz von Flüssigwasserstoff. Während in Hamburg übers Flachland gefahren und der Wasserstoff mit Windkraft fabriziert wird, geht es in Stuttgart mit Wasserstoff aus Erdgas bergauf. In Stockholm findet die Erprobung unter kalten, in Porto und Madrid unter warmen Klimabedingungen statt. Barcelona versucht H2-Elektrolyse mit Solarenergie. Am größten sind die Hoffnungen wohl in Reykjavik, denn Island will als „erste Wasserstoff-Gesellschaft“ von fossilen Brennstoffen unabhängig werden.
Bis dahin wird es noch etwas dauern. „Eine Großserienfertigung kann nicht vor 2010 erfolgen“, sagt Prof. Ferdinand Panik, der Leiter des „Projekthaus Brennstoffzelle“ von DaimlerChrysler. Am Erfolg sei aber nicht zu zweifeln, und das nicht nur aus Umweltgründen: „Die Wartung ist prinzipiell einfacher. Komfort und Beschleunigung sind hervorragend. Mit der Energieversorgung an Bord können wir überdies mehr Technik ins Fahrzeug bringen, etwa Rundumklimatisierung, Kühlschrank, 220-Volt-Steckdose.“ Und selbst wenn niemand mitfahren will, könnten die Busse nützlich sein: „Ein 57-Watt-Aggregat liefert eine gewaltige Leistung. Damit könnte man einen Wohnblock heizen.“