Am Freitag kam es im Gemeinderat von Esch/Alzette zu einem Eklat. Der linke Rat Marc Baum hatte einen Punkt auf die Tagesordnung setzen lassen, um über Deontologieregeln für das Bürgermeister- und Schöffenkollegium zu diskutieren. Im Mittelpunkt der Diskussion stand der wegen schweren Steuerbetrugs (fraude fiscale aggravée) verurteilte Escher DP-Schöffe und frühere Abgeordnete Pim Knaff. Während LSAP, Linke und ADR Knaffs Rücktritt und die Piraten sogar Neuwahlen forderten, deckten CSV und Grüne dem Ersten Schöffen den Rücken und begründeten ihre Solidarität mit dem gemeinsamen Koalitionsabkommen mit der DP. Der Versuch, eine überparteiliche Bürgerinitiative zu gründen, um den Rücktrittsforderungen der Opposition Nachdruck zu verleihen, war vergangene Woche gescheitert.
Die Diskussion im Gemeinderat am Freitag verlief eigentlich sachlich, bis die ansonsten eher für ihre politische Zurückhaltung bekannte DP-Rätin Daliah Scholl damit begann, ihre Rede abzulesen: Sie warf LSAP und Linken „mittelalterliche Lynchjustiz“ vor und unterstellte ihnen, Knaff an den öffentlichen Pranger stellen zu wollen. Als CSV-Bürgermeister Christian Weis am Ende der Debatte eine Abstimmung über eine Motion von Marc Baum unterband, in der Pim Knaff vom Gemeinderat zum freiwilligen Rücktritt aufgefordert werden sollte, verließ die Opposition aus Protest geschlossen den Saal. Offenbar hatte Weis eine SMS von einem „Gemeindejuristen“ bekommen, der ihm mitgeteilt hatte, eine Abstimmung über eine derartige Aufforderung sei laut Gemeindegesetz nicht zulässig. Weil CSV, DP und Grüne nur eine sehr knappe Mehrheit in Esch haben und CSV-Rat Pascal Bermes krankheitsbedingt fehlte, war der Gemeinderat nach dem Weggang der Opposition nicht mehr beschlussfähig, sodass die Sitzung abgebrochen werden musste, obwohl noch zehn Punkte auf der Tagesordnung standen (die Sitzung wird wohl am 5. Juli nachgeholt).
Insbesondere déi Lénk gaben sich mit dieser Wendung jedoch nicht zufrieden und forderten diese Woche in einer parlamentarischen Anfrage Léon Gloden (CSV) dazu auf, Verantwortung zu übernehmen und den Escher DP-Schöffen abzusetzen. Das Gemeindegesetz sieht vor, dass der Innenminister die von ihm ernannten Schöffen „en cas d’inconduite notoire, de faute ou de négligences graves“ für drei Monate suspendieren oder vollständig von ihrem Amt entbinden kann. Da Pim Knaff einen Rücktritt bislang stets mit der Begründung ablehnte, er habe den Steuerbetrug als Privatperson und nicht als Mitglied der kommunalen Exekutive begangen, könnte in diesem Fall der im Gesetz nicht genauer definierte Begriff inconduite notoire zur Anwendung kommen. In seiner parlamentarischen Anfrage zitiert Marc Baum aus dem Handbuch zur Organisation der Gemeinden, in dem es heißt: „La jurisprudence administrative belge affirme qu’un fait unique d’inconduite peut suffire, à cause de la gravité du scandale qu’il occasionne, à rendre impossible et contraire à l’intérêt général le maintien de son auteur dans les fonctions de bourgmestre ou d’échevin (revue adm. 1886, p. 496). (...) L’inconduite notoire vise plutôt les comportements scandaleux de notoriété publique : corruption, fraude fiscale, ivresse publique ou délit de fuite parmi d’autres exemples.“
Dazu ließe sich ergänzen, dass das luxemburgische Verwaltungstribunal am 17. Februar 2000 in einem Urteil festhielt: „Dans ce contexte, il convient de préciser que s’il est vrai qu’en principe, la vie privée échappe à la surveillance des autorités administratives, il n’en reste pas moins que la vie du fonctionnaire doit être marquée de correction et, par conséquent, un comportement privé ou professionnel antérieur qui est susceptible de discréditer la fonction publique (tels l’inconduite notoire ou des faits entachant l’honneur) justifie une décision de l’autorité compétente de refuser l’accès à la fonction publique.“ Was für einen angehenden Beamten gilt, sollte für einen Schöffen erst recht gelten.