GAP-Reform und Zukunftspak – in der Landwirtschaft stehen viele Veränderungen an. Die Schwierigkeit für die Bauern: die neuen Auflagen überhaupt einmal zu verstehen

Mein Freund der Baum

d'Lëtzebuerger Land du 21.11.2014

Fast 37 Eurocent betrug der Milchpreis pro Kilogramm vergangenes Jahr. Gegen Ende 2013 stieg er zeitweilig sogar auf fast 43 Cent. Das ist viel, denn zum Vergleich: Als die Bauern 2009 streikten und ihre Milch lieber auf Weiden und Felder schütteten, als die Molkereien zu beliefern, lag der Erzeugerpreis je nach Fett- und Eiweißgehalt um die 25 Cent pro Kilogramm. So gesehen, geht es den Luxemburgern Bauern – die meisten von ihnen sind Milcherzeuger – heute finanziell besser als vor ein paar Jahren. Aber das täuscht. Das landwirtschaftliche Einkommen betrug 2012 40 300 Euro pro Vollzeitarbeitskraft, also 8 700 Euro unter dem nationalen Referenzeinkommen. 2013, so die Erhebungen des Landwirtschaftsministeriums, ist der Gewinn pro Arbeitskraft um vier Prozent gesunken. Ohnehin gibt es kaum einen Betrieb, der ohne Beihilfen aus der gemeinsamen EU-­Agrarpolitik (GAP) einen Gewinn erzielen könnte: Laut Statistik vom Landwirtschaftsministerium liegt das Verhältnis von Beihilfen zum Gewinn bei 120 Prozent. Anders gesagt: Ohne Beihilfen wären die Kosten nicht zu decken. Kann es da wirklich verwundern, wenn die Landwirte auf jeden Euro sensibel sind?

Dass die Landwirte verunsichert sind, hat viele Gründe. Ab 2015 tritt wieder eine Reform der GAP in Kraft. Und obwohl die Dienste der Kommission im Vorfeld versprochen hatten, dass der administrative Aufwand sinken werde, ist erst einmal das Gegenteil der Fall. Das liegt auch an den neuen Umweltauflagen – was nicht gerade dazu beiträgt, diese bei den Landwirten, die nach konventioneller Methode produzieren, beliebter zu machen. 30 Prozent der Betriebsprämie – im Schnitt lag der Durchschnittssatz bisher bei 265 bis 270 Euro pro Hektar – hängen fortan vom so genannten Greening ab, einer obligatorischen Ökologisierungskomponente, mit der die Bauern angehalten werden Dauergrünland zu erhalten, die Kulturen zu diversifizieren und „ökologisch wertvolle Flächen“, im Jargon EFAs, auszuweisen. Mit welchem Aufwand ökologisiert wird, zeigt das Beispiel EFAs. Je nach Betriebsart- und -größe müssen die EFAs fünf Prozent der vom Bauer bewirtschafteten Fläche betragen. Dazu gehören beispielsweise Einzelbäume und Hecken, je nachdem, wo sie stehen, oder Weiher, je nachdem, wie groß sie sind. Sie zu erfassen ist für Verwaltungen und Landwirte eine herkulische Aufgabe. Im Vorfeld wurde dazu – das ist blanker Ernst – jeder Baum und jeder Heckenstreifen auf Luxemburgs Äckern mit Luftaufnahmen erfasst. Das Ergebnis ist eine schwindelerregend farbenfrohe Datenbank, in der tatsächlich jeder Baum und jede Hecke eine einzelne Registrierungsnummer erhalten und die frei zugänglich auf geoportail.lu einsehbar ist. Die Luftaufnahmen ihrer Äcker im Maßstab 1:5 000 haben die Landwirte per Post erhalten. Wer keinen Internetzugang hat, kann also mit dem Lineal nachrechnen, ob er über ausreichend stillgelegte Flächen, Hecken und Gehölzstreifen, Ackerrrandstreifen, Weiher oder Uferrandstreifen verfügt, die dann, je nach zulässiger Mindest- und Maximalbreite, mit unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren verrechnet werden, um die Fünf-Prozent-Auflage zu erfüllen. Ungefähr 81 Euro pro Hektar beträgt laut Service de l’économie rurale (SER) die Greening-Komponente. Auf alle Betriebe hochgerechnet, hängen jährlich rund zehn Millionen Euro von dieser obligatorischen Ökologisierungskomponente ab.

Die erste Schwierigkeit beim Greening liegt für die Landwirte also darin, überhaupt einmal herauszufinden, was sie unternehmen müssen, um die Bedingungen zu erfüllen, damit sie den darauf bezogenen Prämienanteil beantragen können. Die Ökologisierungskomponente ist aber nicht die einzige Änderung, welche die neue GAP im Bereich der Direktzahlungen, die aus dem EU-Budget fließen, mit sich bringt. Ziel der letzten EU-Kommission war es eigentlich gewesen, allen Landwirten in der EU die gleiche Betriebsprämie pro Hektar auszuzahlen, eine Flat-rate, denn von West nach Ost und Nord nach Süd gibt es erhebliche Unterschiede. Weil sich die Kommission damit nicht durchsetzten konnte, entstand die Idee der „Konvergenz“. Mit einer Formel, die wiederum ein beträchtliches Maß an intellektueller Flexibilität erfordert, sollen einerseits die Prämienunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sowie auch innerhalb der Mitgliedstaaten, zwischen den Betrieben reduziert werden. Resümiert heißt das: Bauern, deren Prämien aufgrund der historischen Referenzwerte bisher über dem Durchschnitt lagen, erhalten fortan weniger Geld. Die Prämien der anderen werden im Gegenzug steigen. Auch in Luxemburg. Den Berechnungen des SER zufolge präsentiert sich die Lage wie folgt: Für 1 342 Betriebe mit bisherigen Betriebsprämien von bis zu 300 Euro pro Hektar wird es künftig mehr beziehungsweise ebenso viel Geld geben wie bisher. 395 Betrieben müssen sich auf Kürzungen einstellen. Ob sie zu den Gewinnern oder den Verlierern gehören, können sie auf der Webseite des SER in einem Simulator auszurechnen versuchen. Die Mitarbeiter des SER ziehen in diesen Wochen auf abendlichen Informationsversammlungen durchs Land, um den Landwirten mit Diagrammen und Beispielen die Änderungen innerhalb der ersten GAP-Säule näherzubringen und sie durch die Anträge zu coachen.

Auch innerhalb der zweiten GAP-Säule stehen Veränderungen an. Während an den EU-Vorgaben innerhalb der ersten Säule nichts mehr zu rütteln ist, seit die Reform in Brüssel beschlossen wurde, ist die zweite Säule der „Ort“, wo es Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten gibt, eigene Akzente in der Landwirtschaftspolitik zu setzen. Will die Regierung den Wunsch der Umweltministerin nach „blumenreichen Mähwiesen“ (d’Land, 04.07.2014) umsetzen, kann sie das innerhalb der zweiten Säule, via Plan de développement rural (PDR), auf dem das neue Agrargesetz aufbauen wird.

Dass es weder einen definitiven PDR noch einen Entwurf fürs Agrargesetz gibt, allein das ist ein Problem für die Verwaltungen wie für die Landwirte. Eigentlich soll sich der Plan auf die Haushaltsperiode 2014 bis 2020 beziehen. Doch weil die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten und das Parlament zu lange um die GAP-Reform gefeilscht haben, ist der ganze Prozess dermaßen in Verzug geraten, dass der PDR-Entwurf Luxemburgs auch Mitte November 2014 noch nicht von der Kommission gebilligt ist. Bis es soweit ist, kann es noch dauern. „Das wird ein wenig eng“, sagt André Vandendries, Erster Regierungsrat im Landwirtschaftsministe­rium. Im Schnitt, so hört er von Kollegen, habe die Kommission anderen Mitgliedstaaten ihren PDR mit 300 bis 400 Fragen zurückgeschickt. Luxemburg hat bisher überhaupt keine offizielle Rückmeldung erhalten. Dabei müssten der PDR und das neue Agrargesetz eigentlich zum 1. Januar 2015 in Kraft treten, wenn nicht noch einmal, wie schon für 2014, Übergangsbestimmungen eingesetzt werden müssen. Für die Bauern ist das schwierig. So lange keine definitiven Vorgaben vorliegen, wissen sie nicht wonach sie sich richten sollen.

Natürlich geht es auch in der zweiten Säule um viel Geld – Millionenbeträge. Aus diesem vom Staat und der EU kofinanzierten Topf werden die Ausgleichszulage, die Landschaftspflegeprämie, die Agrarumweltmaßnahmen bezahlt, aber auch die Investitionsbeihilfen. Laut PDR-Vorlage plant die Regierung, den Landwirten hauptsächlich an zwei Stellen die Daumenschrauben anzulegen: Bei der Landschaftspflegeprämie und den Investitionsbeihilfen. Dass in der vergangenen GAP-Periode 85 Prozent der Landwirte die Landschaftspflegeprämie kassieren konnten, zeigt, dass die Kriterien nicht besonders schwer zu erfüllen waren. Das soll sich nun ändern. Wer sie künftig beanspruchen will, muss ein Parzellenheft anlegen und darüber Buch führen, wie oft natürliche Dünger eingesetzt werden. Die Anzahl der Tiere pro Hektar Weideland muss reduziert werden, das Weideland erhalten bleiben und Randstreifen entlang der Wasserläufe müssen anlegt werden. Das führt zu Mehraufwand beziehungsweise Einkommensausfällen, die, wie die Rechenbeispiele im PDR zeigen, nicht alle durch die Prämien gedeckt werden, die es im Gegenzug dafür gibt.

Dass bei den Investitionsbeihilfen projektbezogene maximale Förderbeträge eingeführt, und die Mittel, die dafür zur Verfügung stehen insgesamt auf 56 Millionen Euro begrenzt werden, eine Million weniger als noch 2013, ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel. Wahrscheinlich will die Politik dadurch nicht nur sparen, sondern die Bauern, die in den vergangenen Jahren viel investiert und dadurch ihre Fixkosten in die Höhe getrieben haben, ein wenig vor sich selbst schützen. Anders als bisher ist auch nicht mehr jeder korrekte Antrag, der bei den Behörden eingeht, förderwürdig. Der Ersatz alter durch gleichwertige neue landwirtschaftliche Maschinen wird künftig gar nicht mehr gefördert, ebenso wenig wie der Bau von Biogasanlagen.

Künftige Anträge auf Investitionsbeihilfen sollen in einem Punktesystem nach Kriterien der Innova­tion, der Effizienzsteigerung und der Ökologie bewertet werden. Die besten Projekte werden dann Vorrang haben. Und anders als bisher, sollen die begrenzten Mittel anteilig auf diese verteilt werden, anstatt dass der Fonds aufgestockt wird, wenn das Geld alle ist. Im Klartext heißt das: Konnte ein Landwirt sich bisher darauf verlassen, dass sein Investitionsprojekt zu einem fixen Prozentsatz gefördert würde, kann er sich dessen in Zukunft nicht mehr sicher sein. Angesichts der Investitionsbedingungen in anderen Branchen klingt das alles nicht abwegig. Nur treffen diese Änderungen die Luxemburger Landwirte zu einem Zeitpunkt, an dem sie ohnehin empfindlich sind. Nächstes Jahr endet das Milchquotenregime in der EU endgültig und für die Produzenten stellt sich die Frage, wie sie reagieren sollen. Sollen sie möglichst viel, möglichst günstig produzieren? Muss dafür weiter investiert werden? Oder ist das wirtschaftliche Überleben auch anders möglich? Wie sind diese Optionen mit den Auflagen zu vereinbaren? Denn während auf den Absatzmärkten für ihr Produkt freier Wettbewerb herrscht, immer deregulierter wird, wird die Herstellung immer weiter reguliert.

Beim Zukunftspak der blau-rot-grünen Regierung müssen die Bauern ebenfalls sparen helfen. 2015 soll der Sparaufwand in Ministerium und Verwaltung 1,5 Millionen Euro betragen. Auch sie sollen, wie andere Verwaltungen auch, weniger Stifte und Papier bestellen. Doch bis 2018 soll der Spareffekt 4,5 Millionen Euro jährlich betragen und das trifft die Bauern auch direkt. Durch die Abschaffung ihres Spezial-Strom­tarifs, der den Staat 2013 1,2 Millionen Euro kostete. Oder indem sie für Veterinär-Analysen zahlen, die bisher gratis waren. Indem die technischen landwirtschaftlichen Dienste (ASTA) nicht nur restrukturiert werden, sondern auch weniger Gratisleistungen erbringen, wie das Zeichnen von Bauplänen. Oder die Buchhaltungsdienststellen reformiert werden. Idem nicht nur Fördergelder für allerlei Vereine abgeschafft werden, die ein christlich-sozialer Hauch umweht, sondern auch die für Vermarktungskampagnen der landwirtschaftlichen Produkte. Im Vergleich zu den Sparplänen in der Familienpolitik erscheinen die Summen, um die es geht, geradezu lächerlich. Aber die Landwirte verdienen ohne Beihilfen eben gar kein Geld. Und auch mit den Subventionen liegt ihr Einkommen unter dem der Beschäftigten aus anderen Branchen.

Michèle Sinner
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