Luxair will im Linienbetrieb die „Kernrouten verteidigen“. Die kämpferische Ansage kann von den Rückzugsgefechten kaum ablenken

Kurskorrektur

d'Lëtzebuerger Land du 16.09.2011

„Angesichts der hohen potenziellen Verluste wird Luxair Luxembourg Airlines eine neue Strategie vorbereiten müssen“, hieß es abschließend im Kapital „Linienflüge“ im Jahresbericht 2010 der Luxair. Elf Millionen Euro Verlust musste die Fluggesellschaft vergangenes Jahr in diesem Geschäftssegment verbuchen. Nach dem Konjunkturtief 2009 stiegen die Passagierzahlen nur mäßig und die vulkanaschebedingten Ausfälle verursachten Schäden in Millionenhöhe. Zwischen Januar und August 2011 stiegen die Passagierzahlen immerhin um zehn Prozent. Um die Verluste einzudämmen, musste Luxair in der ersten Jahreshälfte dennoch die Streichung der Verbindungen nach Dublin und Prag wie auch das Ende des erst vergangenen Herbst begonnenen Experiments bekannt geben, eine Maschine am Flughafen Saarbrücken zu stationieren.

Woran die Luxair leidet, lässt sich am Beispiel der Dublin-Route zeigen. Die irische Gemeinschaft in Luxemburg setzte sich zur Wehr, gründete unter anderem eine Protest-Seite im sozialen Netzwerk Facebook. Als der Gruppe bewusst wurde, dass es ihr an überzeugenden Argumenten gegen die Schließung der Route fehlte, fahndete sie mit den Worten „Wir suchen noch Leute, die die Route tatsächlich benutzen“ per Facebook-Eintrag nach der fiktiven Kundschaft.

Nun versucht die Fluggesellschaft ihren Rückzug von immer mehr Destinationen als Offensive zu verkaufen. Am Mittwoch gab Luxair in Genf ihren neuen Winterflugplan bekannt. Die Neuerung – abgesehen von den Streichungen: An drei Tagen die Woche fliegt Luxair nicht nur eine Tagesrandverbindung, also morgens und abends hin und zurück, sondern zusätzlich ein drittes Mal zur Tagesmitte nach Genf.

Die strategische Neuausrichtung, erklärt Alberto Kunkel, beigeordneter Generaldirektor, zuständig für Vertrieb und Marketing des Linienflugbetriebs, basiere auf zwei Elementen. Erstens wolle man „die Schlüsselrouten so besetzen, dass kein Mitbewerber auf die Idee kommt, in den Markt einzusteigen. Durch die zusätzlichen Mittagsflüge und die optimalen Anbindungen machen wir das Angebot für unsere Kunden attraktiver“, sagt Kunkel. Anders formuliert: Ein zweites „München“ soll verhindert werden.

Als Luxair vergangenen Herbst entschied, die Kapazitäten in die bayerische Hauptstadt zu erhöhen, indem man anstatt Luxemburg-Saarbrücken-München, direkte Flüge ab Luxemburg und ab Saarbrücken – daher die Stationierung vor Ort – anbot, fand das Luxair-Teilhaber Lufthansa dermaßen interessant, dass sie gleich selbst auf der Route Luxemburg-München aktiv wurde. So erklärte Luxair bislang den „Verrat“ des Aktionärs. Jetzt, da das Experiment Saarbrücken-München von der Luxair abgebrochen wird, weil die Kosten für die Stationierung zu hoch und die Erträge zu niedrig sind, will man von einer kurzfristigen oder fehlgeschlagenen Routenpolitik nichts wissen. „Als Lufthansa entschied, direkt ab Luxemburg nach München zu fliegen, mussten wir reagieren. Wären wir weiter über Saarbrücken nach München geflogen, hätten wir erhebliche Nachteile gehabt“, sagt Kunkel heute. Welcher Kunde würde noch mit der Luxair den Umweg über Saarbrücken machen wollen, wenn es eine direkte Verbindung gibt? Um die Kundschaft ab Luxemburg nicht zu verlieren, musste ein gleichwertiges Angebot geschaffen werden.

Kunkel gibt sich nun kämpferisch. Die Kernrouten, dazu zählt man London, Frankfurt, Madrid, Mailand, München, Turin und eben Genf, sollen „verteidigt“ werden. Als Freizeit-Reiseziele gelten Barcelona, Rom, London, Nizza, Porto, München, Hamburg, Berlin und Wien. Um die Nachfrage von Luxemburg aus zu stimulieren, sollen die Kapazitäten gen Süden, also nach Barcelona, Nizza, Porto und Rom, wochenends durch den Einsatz größerer Flugzeuge erhöht werden. Wien soll wochentags drei Mal täglich angeflogen werden. Bleiben die Zubringerrouten nach Frankfurt, München, Paris, Rom und Wien – und weil sich die sieben Business-, sieben Freizeit- und fünf Zubringerrouten überschneiden, die Einsicht, dass Luxair keine 19, sondern lediglich 15 Routen bedient.

Genf sei für Luxair wichtig, sagt Kunkel. Die Linie steht für zehn Prozent des gesamten Airline-Umsatzes. Zwischen den beiden Städten gibt es viel Punkt-zu-Punkt-Verkehr. Die Luxemburger Gesellschaft fungiert also nicht als Zubringer für die Langstrecken-Flüge anderer Gesellschaften und kann deswegen den gesamten Ticketpreis selbst kassieren. Zum Vergleich: 80 Prozent der Passagiere nach Paris und Frankfurt und fast 50 Prozent der München-Passagiere sind Umsteiger. Zwischen Genf und Luxemburg sind zudem 80 Prozent der Passagiere geschäftlich unterwegs, gehören zur so genannten High-Yield-Kundschaft. Um flexibel zu sein und ohne Aufwand Umbuchungen und Stornierungen vornehmen zu können, bezahlen sie teurere Tickets.

Eine Kundenklasse, die immer kleiner wird, denn in Krisenzeiten fliegen auch Geschäftsleute entweder billig oder gar nicht. Gehörten 2007 noch 37 Prozent der Passagiere zur High-Yield-Kundschaft, waren es 2009 noch 24, 2010 noch 22 und im ersten Halbjahr 2011 noch 20 Prozent. Es sind diese Kunden die Luxair verstärkt pflegen will; das ist der zweite große Baustein der neuen Airline-Strategie. So sollen, wie Frank Schmit, Abteilungsleiter Vertrieb und Marketing, erklärt, die Unterschiede zwischen den sechs Tarifklassen verdeutlicht werden, die von günstig und unflexibel bis teuer und sehr flexibel rangieren. Wie will Luxair die High-Yield-Kundschaft umwerben und überzeugen? Zum Beispiel mit einer Fast-Lane am Flughafen Luxemburg. „Zeit spielt für diese Kunden eine wichtige [-]Rolle“, sagt Kunkel. Weitere kost[-]bare Zeit sollen sie auch durch den Zugang zu einem immer bes[-]seren E-Service-Angebot einsparen können.

Dass man trotz eindeutigem Ab-wärtstrend im Hoch-Ertragssegment weiterhin auf diese Kundschaft setzt, ist für Alberto Kunkel kein Widerspruch. Denn auch wenn Luxair den Anteil an so genannten Low-Yield-Tickets kontinuierlich hochschraubt – 2010 wurden 185 000 Primo- oder andere Niedrigtariftickets verkauft, gegenüber 148 000 im Jahr 2009 – verhilft das der Gesellschaft nicht zu schwarzen Zahlen. Dass der Ertrag in diesem Segment zu niedrig ist, zeigen folgende Zahlen: Dieses Jahr stehen 20 Prozent Business-Kunden für 45 Prozent der Einnahmen. Die restlichen Passagiere, immerhin 80 Prozent, stehen für nur 55 Prozent am Fluglinienumsatz.

Deshalb macht es für Luxair keinen Sinn, mit einem immer größeren Angebot an günstigen Tickets die volle Ausleistung der Flugzeuge anzupeilen, sagt Kunkel. Umso mehr, da das Kundenpotenzial begrenzt ist, wie er und Schmit erklären.

Bei einer maximalen Anfahrtszeit von 90 Minuten wohnen im Einzugsgebiet des Flughafen Luxemburgs rund drei Millionen Menschen, rechnen die beiden vor. Das Einzugsgebiet des Billigflieger-Flughafens Frankfurt-Hahn umfasse hingegen sechs Millionen Einwohner. Das allerdings überschneide sich nur wenig mit dem von Findel. Deswegen, so Kunkel, wäre es eine „Katastrophe“, auf den Linienflügen größere Flugzeuge als die 72-Sitzer von Bombardier, die Q-400, einsetzen zu wollen, in der Hoffnung, mit geringeren Kosten pro Sitz und billigeren Tickets deutlich mehr Kunden anzulocken. Anders gesagt, Luxair kann nicht auf Masse statt Klasse setzen, dafür ist das Einzugsgebiet um den Flughafen zu dünn besiedelt. „Wir haben das für alle Routen durchgerechnet. Nur auf der Route nach Porto sehen wir das Potenzial und setzen ab dem Winterflugplan sonntagsabends eine Boeing ein.“ Zwar sollen die im Betrieb sehr teuren Embraer 135 mit ihren jeweils 37 Sitzen noch dieses Jahr beide abgeschafft werden und auch eine der sechs Embraer 145 à 49 Sitzen aus diesen Ursachen – zu hohe Kosten, zu wenig Kapazität – 2013 verkauft werden. Doch die fünf neuen Q400 Next Generation, mit denen die bestehende Q400-Flotte 2013 ersetzt werden soll, sind mit maximal 76 Sitzen das größte Flugzeug, das Luxair im Linien[-]flugverkehr mittelfristig annähernd kostendeckend betreiben zu können meint.

Die Betriebskosten decken; dieses Ziel soll die Fluglinie innerhalb der nächsten drei Jahre erreichen – unter Ausschluss der so genannten Overhead-Kosten. Zählt man diese wieder hinzu, bliebe unterm Strich auch dann noch ein Minus von fünf bis acht Millionen Euro, das durch positive Ergebnisse der anderen Geschäftssparten der Luxair-Gruppe ausgeglichen werden müsste.

Michèle Sinner
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