Ja, es ist immer wieder schön, wenn sich in der Philharmonie die Schickeria trifft, um ihre neuesten Garderoben vorzuführen. Zu diesem Zweck wurde Portzamparcs Edeltempel schließlich gebaut. Das gesamte Gebäude ist ein architektonisch tadelloser Laufsteg für die betuchten Wohlgesinnten. Also für jene, die sich allein aufgrund ihrer Privilegien für geborene Kulturaktivisten halten.
Seien wir nicht ungerecht. Selbstverständlich dürfen in der Philharmonie auch jene Minderbemittelten aufkreuzen, die nichts anderes als den Kunstgenuss suchen. Diese Menschen hüllen sich naturgemäß nicht in wahnsinnig teure Gewänder. Sie bringen nur ihre Ohren mit. Leider sehen diese Ohren ziemlich nackt aus. Statt sie als Aufhänger für glänzenden Schmuck zu nutzen, verwenden die aufrechten Melomanen ihre Löffel nur zum andachtsvollen Lauschen. Das sei ihnen unbenommen. Aber so jedenfalls werden sie nie zu grandiosen Kulturpartygängern.
Die veritablen Portzamparc-Klienten haben ein ganz anderes Kaliber. Sie lassen sich ihre Philharmonie-Auftritte etwas kosten. Kulturkarnevalsprinzen sind eben überzeugt, dass sie zunächst die Haute Couture abgrasen müssen, bevor sie die Treppe zum Tempel emporschreiten. Genau so sehen sie aus: über und über mit betörenden Tüchern garniert, spektakulär geschminkt, geliftet und parfümiert, allesamt mit der Ich-bin-so-unendlich-wichtig-Grimasse. Sie stellen sich auf, um reihum fotografiert zu werden. Ein Horrorkabinett, würde der griesgrämige Melomane kommentieren, ein Aufmarsch von Geisterbahnfiguranten, zu besichtigen in der Fotogalerie auf RTL, wo denn sonst? Das wollen wir aber gleich mal zurechtrücken. Warum sollten Kulturmarionetten nicht gut gekleidet sein? Aus den echten Melomanen spricht nichts als der pure Neid. Sie sollten still und bescheiden ihre Musik konsumieren und sich ansonsten kleinhalten. Denn von der pompösen Oberschichtkultur haben sie keinen blassen Schimmer.
Zum Glück lassen sich die Guten und Schönen nicht beirren. Wundervoll blasiert paradieren sie durch die heilige Halle. Alles ist auf Festlichkeit getrimmt. Denn heute wird der Europäische Kulturpreis überreicht. Mensch, das klingt gut. Europäisch! Kultur! Preis! Das philharmonische Orchester liefert den kongenialen Sound. Berauschend! Umwerfend! Übersinnlich! Und schon erscheinen die Preisträger: Musiker mit schwergewichtigen Namen, eine gefeierte Dirigentin, die berühmten Wiener Sängerknaben und sogar die Wiener Chormädchen (ja, tatsächlich, die Mädels haben den jahrzehntelangen Emanzipationskampf gegen das verstockte Gesangspatriarchat gewonnen), und dann – Herr Juncker? Ist das wirklich Herr Juncker? Wir wussten gar nicht, dass er ein preiswürdiger Kulturbolzen ist. Das liegt aber nur an unserer hartnäckigen Ignoranz. Wir sind bedauerlicherweise nicht in der Lage, aufmerksam in die Seele ehemaliger EU-Kommissionspräsidenten hineinzublicken. Dort, tief in der Seele, sind die geheimen Talente gelagert. Zum Beispiel die überbordende Kulturaffinität. Sind wir denn blind und taub? Zur Buße gratulieren wir dem unvermuteten Preisträger aufs Herzlichste.
Gar nicht erwartet haben wir die angebliche Kulturmatadorin Maria Teresa vom Schloss Berg. Wir hätten uns im Traum nicht ausmalen können, dass ausgerechnet sie auf dieser prachtvollen Bühne preisgekrönt würde. Da steht also eine Frau, die gerne Großherzogin wäre, es aber nicht sein darf, weil beamtete staatliche Haarspalter ihr den Titel absprechen. Sie lässt sich trotzdem von ihrem Gatten Großherzogin nennen, das passt perfekt zu ihrem Außerirdischenstatus. Ja, die Monarchie ist nicht von dieser Welt, denken wir klammheimlich.
Und da wir einigermaßen rührselig aufgelegt sind, können wir gleich noch einen Zahn zulegen: Zugegeben, Frau Mes-
tre Batista hat unbestreitbare Verdienste. Es ist schon eine tolle Leistung, sich mit einem Baxter blauen Bluts adelsmäßig assimilieren zu lassen. Zuvor war sie ein kubanisches Mauerblümchen, hineingeboren in eine Familie von politisch Verfolgten. Ihren Eltern, edelmütigen und selbstlosen Wohltätern der Menschheit, wurden die schlimmsten Vergehen angedichtet. Sie mussten aus Kuba flüchten, weil der Gewalttäter Fidel Castro partout nicht anerkennen wollte, wie herzzerreißend solidarisch sich Familie Mestre Batista für die Armen und Geschundenen aufopferte. Naja, diese Kurzbiografie klingt ein bisschen nach dem Adelsexperten Stéphane Bern. Wie dem auch sei: Die zutiefst menschenfreundliche Maria Teresa hat sich mit einem verblüffenden privaten Befreiungsschlag in die Herzen der Luxemburger hineinkatapultiert. Hasta la victoria siempre! Dazu schrieb das französische Wissenschaftsmagazin Point de vue: „À chacune de ses apparitions au balcon du palais grand-ducal, elle envoie des baisers à la foule qui l’acclame à tout rompre.“
So weit, so gut. Die märchenhafte Story lässt uns nicht kalt. Aber massenhaft verschickte Küsse allein sind ja noch keine Kulturleistung. Oder doch? Wir sind da sehr altmodisch. Wenn Kultur und Monarchie in einem Atemzug genannt werden, schrillen bei uns die Alarmglocken. Das Prinzip der Monarchie fußt auf institutioneller Ungleichheit. Kultur hingegen verteidigt die Gleichheit aller. Die einen stehen unter dem Schutz und Schirm von Herrn Gott persönlich, die anderen dürfen sich in den Niederungen der Gesellschaft vom Teufel ausnehmen lassen.
Aber übertreiben wir da nicht maßlos? In der Philharmonie ist doch alles so weihevoll und emotionsgeladen. „Brücken bauen“, „Menschen zusammenführen“ – es blüht das übliche Wischiwaschi-Geschwafel. Ehrlicher wäre, einfach einzugestehen: Für unseren Hauptsponsor aus Österreich, den steinreichen Immobilieninvestor Herrn Hallmann (privates Vermögen: 5,6 Milliarden Euro), genau wie für seine Gesin-
nungsgenossen, ist die Investition in Kultur nichts weiter als ein billiger Anlauf zur Steuerbilanzerleichterung. Wenn sie effektvoll das Reizwort „Europa!“ intonieren, meinen sie nichts anderes als ihr Geschäftsterritorium.
Wir möchten uns übrigens von Herzen entschuldigen. Einen Augenblick lang haben wir Herrn Hallmann mit seinem berüchtigten österreichischen Konkurrenten verwechselt, der ihm auf allen Ebenen wie ein Zwillingsbruder gleicht: Das ist doch Herr René Benko, der hier mit einem Pseudonym getarnt die Philharmonie aufmischt! Wie konnten wir nur so leichtgläubig sein? Wir lagen leider voll daneben. Herr Benko ist ein aktenkundiger Verbrecher, der sein Immobilienimperium krachend gegen die Wand gefahren und damit weltweite Erschütterungen ausgelöst hat. Herr Hallmann hingegen ist ein lupenreiner Kulturdraufgänger, der nur danach lechzt, in glanzvollen Häusern wie der Philharmonie seine unendliche Mäzenengroßzügigkeit unter Beweis zu stellen. Wir klopfen uns reumütig an die Brust und geloben, uns künftig bei Investment-Fragen sorgfältiger zu informieren.
Zurück zu unserem chronischen Misstrauen. Kultur ist in diesem Kontext nicht länger nur ein „Feigenblatt“, wie Marc Thill im Wort schrieb, sondern ein kompletter Lendenschurz. Und zudem ein schillernder Paravent, hinter dem man allerlei verstecken kann. Der Herr Großinvestor hat den Bogen raus, seine Geschäftspraktiken kulturell zu verbrämen und zu veredeln. Er muss nur pfeifen, und schon steht die Philharmonie – immerhin ein staatlich subventionierter Betrieb – ihm devot zu Diensten. Diese merkantile Taktik lässt er sich gern etwas kosten.
Nach dem gleichen Modus wurde 2022 in Esch-Alzette unter dem trügerischen Etikett „Europäische Kulturhauptstadt“ ein ganzjähriges Blendprogramm abgespult. Die gnädigen Unterstützer aus der Wirtschaft setzten ein Jahr lang ihre Heiligenscheine auf, die kirchenmausarmen Künstler mussten sich vorschreiben lassen, was Sache ist. Europa! Völkerverständigung! Humanität! And the winner is: die neoliberale Unverfrorenheit. Es entbehrt übrigens nicht der Ironie, dass als strahlende Ikone dieses „Kulturjahres“ ein jüngst verurteilter Steuerhinterzieher übrigbleibt, der die Klaviatur der kulturellen Camouflage beherrscht wie kein Zweiter. Der maßgebliche „Kulturchef“ als überführter Finanzgauner: Wenn das mal kein bedenkliches Omen ist.
Doch da schauen die sogenannten „europäischen Kulturpreisträger“ wohl nicht so genau hin. Lieber streichen sie diskret ihr Preisgeld ein und kommen sich ganz brückenbauerisch vor. Im Grunde ist die Masche erstaunlich einfach: Herr Hallmann muss all diese Preiswürdigen nur bei ihrer Eitelkeit packen, und schon kommen sie angetanzt. Umso besser, wenn er für seine Zwecke auch noch eine vermeintliche Großherzogin aufreißen kann, die sehnsüchtig darauf wartet, ihre Selbstverliebtheit öffentlich auszustellen. Darauf ein gediegenes Adagio vom Luxembourg Philharmonic Orchestra!
Achtung! Unser eigentlicher Schreckmoment kommt erst. Plötzlich steht Claude Frisoni auf der Bühne und hält die Laudatio auf Frau Mestre Batista. Was zum Teufel ist das? Eine abrupte Sinnestäuschung? Hoffnarrenkunst in höchster Vollendung? Ein Undercover-Coup à la Günter Wallraff? Ein Anfall von weltanschaulicher Altersschwäche? Oder einfach nur ein frecher Doppelgänger, der das Original ausgetrickst hat? Wie vom Himmel gefallen steht er da und verpasst der Fake-Großherzogin einen klebrigen Zuckerguss. Was um alles in der Welt wird hier gespielt?
Das kann doch gar nicht wahr sein. Claude Frisoni! Der Schutzpatron des Kulturprekariats! Der rebellische Spross aus der Lothringer Arbeiterklasse, ein linker Agitator von echtem Schrot und Korn, der kein noch so akrobatisches Wortspiel scheut, um die schamlosen Kapitalisten zu geißeln! Der ewige Fürsprecher der Ausgesonderten, Ausgestoßenen und Verfemten! Wieso macht sich dieser wortgewandte marxistische Volkstribun ausgerechnet mit Frau Mestre Batista gemein? Warum lobt er sie über den grünen Klee? Hat er nicht mitbekommen, wie diese Frau auf der Hochzeit ihrer Tochter mit einem rechtsextremen französischen Bischof kungelt? Wie sie in obskuren christlichen Sekten Verschwörungsmythen teilt? In all seinen Schriften hat Claude Frisoni doch genau diese Kreise zu Kleinholz verarbeitet! Wieso nun dieser dramatische Sinneswandel? Herr Hallmann, klären Sie uns auf!
Vielleicht sind wir einfach nur im falschen Film. Vielleicht gibt es den „Europäischen Kulturpreis“ gar nicht, wir wären demnach nur Opfer einer unverdaulichen Fata Morgana. Aber dieser schlechte Traum hört nicht auf. Da muss es also einen ganz anderen Zusammenhang geben. Gott bewahre! Vielleicht verhält es sich ja so: Claude Frisoni ist und bleibt Claude Frisoni, unbeugsam und aufrecht, doch Frau Mestre Batista ist ein mit allen Wassern gewaschener schillernder Kolibri. Könnte es sein, dass der krasse Bösewicht Fidel Castro sie als Agentin in die Luxemburger Dynastie eingeschleust hat? Mit dem Ziel, unser Steuerparadies und alle anderen demokratischen Errungenschaften nachhaltig zu sabotieren? Oh Horror, oh Graus! Das würde immerhin Sinn machen: Der linke Denkathlet verbündet sich auf offener Bühne mit einer kubanischen Nachfolgerin von Mata Hari!
Was reimen wir uns da zusammen? Alles nur wirres Zeug. Wir wissen gar nichts. Schluss jetzt! Die rauschende Kulturveranstaltung in der Philharmonie sollte jedenfalls nicht dazu führen, Hirngespinste auszugraben. Im Luxemburger Wort lesen wir: „Claude Frisoni, sans préciosité ni fausse pudeur“ (Pierre Gerges, 10.6.24). Noch pathetischer: „Toutes les notoriétés décorées n’eurent sans doute pas la faveur accordée à la Grande-Duchesse Maria Teresa qui, en la personne de Claude Frisoni, rencontra non seulement un orateur doué …“, und dergleichen mehr. Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.