Ein vermeintliches Sprachverbot, eine gescheiterte Fusion, ein geplantes Referendum erregen die Gemüter von Luxemburgern und Wahlluxemburgern

Warnzeichen

d'Lëtzebuerger Land du 14.11.2014

Haben sie oder haben sie nicht? Haben die Einwohner von Fischbach und Nommern die Fusion mit Fels abgelehnt, weil in der Gemeinde mehrheitlich Portugiesen wohnen? Das diskutieren nicht nur Einwohner und Politiker derzeit kon-trovers. Auch die Kommentatoren in den Zeitungen versuchen sich einen Reim auf das klare Nein zu machen: Es sei „Zeit, das gnädige Leichentuch der Rücksichtnahme wegzureißen und scharfe Worte wie Ressentiments oder latenter Rassismus zur Analyse der Ergebnisse heranzuziehen“, meint Patrick Welter im Journal. Es sei „im Endeffekt die ‚Ausländer-Gemeinde Fels‘, mit der Nommern und Fischbach nicht fusionieren wollten“, schreibt Wort-Journalist Marcel Kieffer.

Etwas vorsichtiger äußert sich Laura Zuccoli von der Ausländerorganisation Asti: „Ich weiß nicht, ob das der Hintergrund ist. Ich kann es aber auch nicht ausschließen.“ Sie hat selber eine der Bürgerversammlungen in Fischbach besucht, die über die Konsequenzen einer Fusion aufklären sollte. „Die Informationen waren einseitig positiv, Bedenken wurden weggewischt“, so ihr Eindruck. Doch einfach zur Tagesordnung übergehen will die Asti-Präsidentin auch nicht. „Wir müssen das im Hinblick des geplanten Referendums über das Ausländer-Wahlrecht ernstnehmen.“

Es gibt andere Warnzeichen, dass etwas mit der in Tourismus- und Business-Werbefilmen gern demonstrierten freundlich-offenen Multikulturalität Luxemburgs nicht stimmt. Als das Land vor drei Wochen einen Kommentar brachte, in dem es kritisierte, dass die Regierung über eine Ausdehnung des englischsprachigen Schulangebots für Kinder von IT-Fachkräften nachdenke, aber die Anliegen der portugiesischen Vereinigung für eine lusophone Privatschule seit Jahren ignoriere, erhielt es daraufhin einen Anruf vom Schulminister Claude Meisch. Man sei dabei, eine zweite öffentlich finanzierte Europaschule zu planen, die für portugiesische Schüler interessant sein könnte, betonte Claude Meisch.

Der Anruf in der Redaktion hatte einen Hintergrund: Als der portugiesische Premier Pedro Passos Coelho Ende Oktober Luxemburg besuchte, hatte er demonstrativ die lusophonen Cours intégrés im Süden des Landes besucht, weil viele Portugiesen fürchten, diese könnten gestrichen werden. Meisch wollte verhindern, dass der Eindruck entstehen könnte, Luxemburg tue nicht genügend für die immerhin zweitgrößte Sprachgemeinschaft im Land. Die meisten hiesigen Zeitungen hatten über die Polemiken rund um die Cours integrés kaum etwas mitbekommen. Aber als die lusophone Wochenzeitung Contacto berichtete, dass Familienministerin Corinne Cahen (d’Land 31.10.) gegenüber einem Facebook-Eintrag die Entscheidung eines Lehrers, Portugiesisch im Klassensaal zu verbieten, guthieß, schwappte eine Welle der Empörung durch das Land. In sozialen Netzwerken, in den Kommentarspalten der Zeitungen kochte die Stimmung hoch.

Richtig so, sagen die einen, wer nach Luxemburg einwandere, müsse Luxemburgisch sprechen, oder sich zumindest „anstrengen“. Das gehöre zur Integration dazu, geradeso wie im Unterricht kein Portugiesisch zu sprechen. Auch offensichtlich portugiesische Beiträge setzen sich für ein striktes Durchsetzen der Dreisprachigkeit durch. Andere Kommentare waren geradezu xenophob, die gegen „ausländische Gemeinschaften“ wetterten, die „nichts von Integration wissen wollen“.

Die Kontroverse blieb nicht auf Luxemburg begrenzt: Nachdem der Contacto eine Woche später mit einem (anonymisierten) Zeugenbericht aufwartete, wonach Kinder und Erzieher in einer Maison relais im Süden des Landes angehalten sind, kein Portugiesisch (mit den Kleinen) zu sprechen, und der Bericht von der portugiesischen Nachrichtenagentur Lusa aufgegriffen wurde, sorgte dies in Portugal für scharfe Schlagzeilen. Von Sprachverbot war die Rede, Parallelen zu dunklen Zeiten von Diktatur und Faschismus wurden gezogen, die diplomatischen Drähte zwischen Lissabon und Luxemburg liefen heiß. Um Schadensbegrenzung bemüht, sah sich Meisch gezwungen, per Pressemitteilung und in Gesprächen mit portugiesischen Vertretern klarzustellen, es gebe kein Verbot der portugiesischen Sprache in Luxemburger Schulen und Kindergärten. Man ermuntere Kleinkinder vielmehr, in ihrer Erstsprache zu sprechen.

Der ministerielle Hinweis auf Empfehlungen, die Erstsprache in Kindergärten zu fördern, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Botschaft, welche Sprache wann wo gesprochen werden darf, verwirrend, um nicht zu sagen widersprüchlich ist (d’Land 17.10.). Am Schluss der Pressemitteilung, die das Ministerium mit einiger Verspätung verschickte, steht auch, es sei essentiell, den Gebrauch von Unterrichtssprachen im Klassensaal konsequent durchzusetzen.

„Es gibt keinen festen Platz für Muttersprachen im Luxemburger Schulsystem, und das gilt nicht für Portugiesisch“, sagt Laura Zuccoli. Obwohl Sprachwissenschaftler der Universität Luxemburg betonen, wie wichtig gute Kenntnisse in der Muttersprache für den Erwerb weiterer Sprachen ist, und der Sprachenaktionsplan von 2007 eine Valorisierung der Erstsprache ausdrücklich empfiehlt, scheint diese wissenschaftliche Erkenntnis noch nicht bei allen Lehrern angekommen zu sein, respektive ist vielen nicht klar, wie sie dies umsetzen. „Ein Verbot ist pädagogisch fragwürdig“, so Sprachforscherin Adelheid Hu von der Uni Luxemburg gegenüber dem Land, und sie fügt hinzu, dass ausländische Kinder sich auch deshalb untereinander in ihrer Erstsprache austauschen, um Unterrichtsinhalte besser zu verstehen. Entsprechend skeptisch sehen Wissenschaftlern die Pläne der Regierung, die Sprachförderung im Kindergarten künftig bilingual, auf Luxemburgisch und Französisch, auszurichten: Kinder, die daheim weder Luxemburgisch noch Französisch sprechen, könnten dadurch benachteiligt werden. Und wie passt die von der Regierung angekündigte, aber plötzlich kaum mehr thematisierte, alternative Alphabetisierung in Französisch ins Bild?

Die Empörung über das vermeintliche Portugiesischverbot sei, betont der Präsident der Vereinigung der portugiesischen Gemeinschaft, José Coimbra de Mato, Ausdruck lange angestauter, berechtigter Frustrationen vieler ausländischer Eltern mit dem Schulsystem: „Eltern wollen, dass ihre Kinder in der Schule erfolgreich sind. Auch die portugiesischen. Die meisten wissen sehr wohl, dass ihre Kinder die drei Landessprachen brauchen, um schulisch und beruflich erfolgreich zu sein. Sie müssen aber eine faire Chance bekommen, diese zu lernen.“

Doch Bildungsstudien belegen: Es sind nicht nur die Sprachen, der soziale Hintergrund der Kinder spielt beim schulischen Erfolg ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch deshalb sorgt die Ankündigung Meischs, eine neue Europaschule soll entstehen, nicht für Begeisterungsstürme unter Portugiesen, zumal Medienberichte sowie die Mitteilung des Ministeriums vor allem das englische und französische Sprachangebot unterstreichen. Also doch ein Angebot für Kinder ausländischer IT-Fachkräfte, während ausländische Arbeiterkinder, die seit vielen Jahren in Luxemburg leben, leer ausgehen? „Die Frage ist, wer von dem Angebot profitieren wird. Das Grundproblem bleibt ungelöst“, sagt José Coimbra de Mato. Um das zu lösen, müsse sachlich, fachlich fundiert und „mit allen Beteiligten“ diskutiert werden: Welche Rolle soll dem Luxemburgischen bei der Sprachförderung zukommen, und welcher Platz ist für die Erstsprachen vorgesehen?

Pech sagen die einen – und verlangen, dass alles so bleibt und sich die Zugewanderten gefälligst anpassen sollen. Bloß: Kann ein Land, das wie kein anderes auf den Zufluss ausländischer Arbeitskräfte angewiesen ist, und in dessen Schulklassen der Anteil nicht-luxemburgischer Kinder den der luxemburgischen vielerorts übersteigt, deren Bedürfnisse länger ignorieren, ohne eines Tages den sozialen Frieden zu riskieren?

Der jüngste Sprachenstreit zeige noch etwas, findet José Correia, Chefredakteur des Contacto: „Die heutige Generation von Einwanderern kennt die Gesetze, sie weiß um ihre Rechte und setzt sich für sie ein“, so seine Einschätzung. Viele sprechen luxemburgisch, sie arbeiten nicht nur als Bauarbeiter und Putzfrauen, sondern als Lehrer, Krankenschwester, sogar als Justizminister. „Sie leben in diesem Land, betrachten es als ihr Zuhause – und sie stellen Forderungen.“

Insofern lassen sich die aufgeregten Schlagzeilen positiv lesen: als Aufforderung an die luxemburgische Mehrheitsgesellschaft und als klare Willensbekundung, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen und zu gestalten. Die Situation erinnert an Zuwanderungsdebatten in anderen Ländern, wo Zuwanderer Jahre und Jahrzehnte lang lediglich als Gastarbeiter wahrgenommen wurden, die irgendwann (hoffentlich) die Koffer packten. Inzwischen leben dort Kinder der zweiten, dritten und vierten Generation.

Für ein Land wie Luxemburg, das schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seinen Reichtum vornehmlich auf den Schultern von Zuwanderern aufgebaut hatte, ist trotz zahlreicher Initiativen auf Landes- und Gemeindeebene vergleichsweise wenig von systematischer Interkulturalität und Willkommenskultur zu sehen. Asti war die einzige Organisation, die Anfang der 1990-er mit derlei Konzepten arbeitete, und hat übrigens als erste Organisation didaktische Materialien zum systematischen Erlernen von Luxemburgisch als Fremdsprache entwickelt, die aber in der aktuellen Sprachendiskussion seltsam wenig Beachtung finden. Auf dem Uni- Lehrplan der angehenden Lehrer gibt es interkulturelle Didaktik als festen Bestandteil erst seit wenigen Jahren. Und einen Kurs zu besuchen, ist noch keine Garantie, dass die Kenntnisse in die Unterrichtspraxis einfließen, obwohl immer mehr Schulen Wege suchen, ihre Schüler sprachlich so gut wie möglich zu fördern.

Die Politik hat das Problem erkannt – und sie weiß um die damit verbundenen großen Herausforderungen der sozialen Kohäsion. Sie hat – endlich – Arbeitsgruppen mit Sprachwissenschaftlern ins Leben gerufen, um eine kohärente Sprachenförderung von der Kindheit bis zum Examen auf den Weg zu bringen. Der Zugang für Ausländer zu den Kommunalwahlen und die Bereitschaft der blau-rot-grünen Regierung, sowie auch in Teilen der CSV, ein Wahlrecht für in Luxemburg lebende Ausländer zu diskutieren, sind weitere Zeichen für eine Öffnung – aber in der Bevölkerung nicht unumstritten. Laura Zuccoli von der Asti bringt es auf den Punkt: „Es geht bei allen diesen Debatten darum, ob die Luxemburger bereit sind, zugewanderten Mitbürgern eine Stimme zu geben und sie zu beteiligen, auch wenn diese womöglich andere Interessen haben als sie selbst.“

Ines Kurschat
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