Wie auch immer die Klimakonferenz von Paris ausgeht, eines steht schon fest, sie wird ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte werden. Noch nie haben 184 von 197 Staaten einen Katalog von nationalen Programmen zur CO2-Minderung oder zur Reduzierung der Abhängigkeit ihrer Wirtschaftssysteme von fossilen Energieträgern vorgelegt. Noch nie ist eine Konferenz mit 150 anwesenden Staats- und Regierungschefs eröffnet worden. Der Kampf gegen den Klimawandel ist endgültig zu einer Aufgabe aller geworden. Menschheit gegen den Klimawandel heißt das Spiel, das die Menschheit nicht gewinnen kann. In diesem Spiel sind wir sind der Hase, der den Igel nie schlagen kann. China, die USA und Indien, die drei größten Emittenten von CO2, hatten schon im Vorfeld eigene Vorstellungen veröffentlicht. 2009, in Kopenhagen, haben sie eine Einigung noch verhindert. Die CO2-Einsparungen des Katalogs der 184 addieren sich auf eine Abbremsung der Erwärmung bis 2100 von vier auf drei Grad Celsius. Eine Erwärmung von einem Grad ist bereits Realität.
Die entscheidende Schwelle von zwei Grad, unterhalb derer den Klimawandel verstärkende Kippmomente nicht erreicht werden, das Klima also schnell eine neue Stabilität gewinnen würde, liegt damit in weiter Ferne. Soll die Schwelle nicht gerissen werden, können noch tausend Milliarden Tonnen CO2 in die Luft geblasen werden, zwei Drittel aller fossilen Energieträger müssten jedoch in der Erde bleiben, sagt der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer. Auf allein circa 30 Prozent des CO2-Ausstoßes der noch zulässigen tausend Milliarden Tonnen schätzt der Wissenschaftler die schon heute geplanten neuen Kohlekraftwerke.
Die drei größten Klimasünder sind sich einig, dass es keinen verbindlichen Vertrag geben darf. In den USA verhindert das der Kongress. Amerika will seinen CO2-Ausstoß reduzieren, China will 2030 den höchsten Ausstoß erreichen und Indiens seinen CO2-Ausstoß bis 2030 verdoppeln. Das Land will sich die erneuerbaren Energien vom Westen finanzieren lassen. Seine Bevölkerung wird bis 2050 um eine halbe Milliarde Menschen zunehmen, darauf weist die französische Tageszeitung Le Monde hin. Alle brauchen Elektrizität. Die EU tut noch so, als spiele sie eine Vorreiterrolle, aber auch wenn die europäischen Zahlen im Vergleich oft nicht schlecht aussehen, ist das Gewicht Europas nicht entscheidend. Am Ende gibt in Paris jedes Land seine eigene Stimme ab. Polen verteidigt seine Kohlepolitik und Belgien ist nicht in der Lage, fristgerecht zur Konferenz ein nationales Programm vorzulegen, die Regionen konnten sich nicht einigen.
Die schwierigste Aufgabe der zehntausend Delegierten wird es deshalb sein, sich auf einen gemeinsamen Gebrauch von Modalverben zu einigen. Ob aber das Wort „sollen” die Menschheit besser vor dem Klimawandel schützt als das Wort „sollten” ist eine Frage, die nicht entschieden werden kann. Im Detail wird in dem etwa 50-seitigen Abschlussdokument, das kein verbindlicher Vertrag sein darf, aber möglichst wie einer aussehen soll, um solche Formulierungen gerungen werden. Es geht um die Reduzierung der Klimagase, den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Frage, ob ärmere Länder dafür von reicheren bezahlt werden, des unabhängigen Monitorings der nationalen Programme und ihrer Überprüfung und Anpassung. Zu glauben, dass der nur in groben Zügen verstandene, aber ungeheuer komplexe Klimawandel mit einem 50-seitigen Dokument in geregelte Bahnen gelenkt werden könne, zeugt von bewundernswertem Optimismus. Die Besteuerung von CO2, von der Angela Merkel als überzeugt gilt, „sei keine Option für diese Verhandlungen”, sagt man in der deutschen Delegation. Sie soll lieber mit den G20 verhandelt werden, das ist übersichtlicher und genauso effektiv. Insofern ist die COP21 nicht die einzige Konferenz, die über unser klimapolitisches Schicksal entscheidet.
Auch wenn das Abschlussdokument einstimmig verabschiedet wird, wird in Gruppen und nach Sachgebieten verhandelt. Nach den bisherigen zwanzig Mammut-Konferenzen sind die meisten Protagonisten gut eingespielt. Eine einflussreiche Rolle wollen die 130 Staaten der G77 spielen. Mit ihrer Hilfe wollen sich China, Indien und Brasilien gegen die alten Industriestaaten positionieren. Die Frage einer ethischen Altschuld Europas und der USA ist noch aktuell und das einzige Relikt, das noch an das Kyoto-Abkommen erinnert, von dem niemand mehr spricht. China tanzt allerdings gleich auf drei Hochzeiten und ist noch in einer Allianz mit Indien, Südafrika und Brasilien sowie der Like-Minded-Gruppe, eines Zusammenschlusses von Schwellenländern verbunden. Europa bietet sich an, in erneuerbare Energien in Afrika zu investieren und sucht seinerseits Allianzen mit Entwicklungsländern. Die einzelnen Verhandlungsrunden werden von je einem Vertreter eines Entwicklungslandes und eines Industrielandes geleitet.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Abschlussdokument geben wird, ist sehr hoch. Insofern wird die Klimakonferenz COP21 die grundlegendsten Erwartungen erfüllen. Eine Versicherung, den Klimawandel unter Kontrolle zu bekommen, wird sie nicht geben können. Im Gegenteil: Der globale CO2-Ausstoß wird vorerst weiter zunehmen. Realistisch muss sich die Menschheit auf eine Steigerung der Durchschnittstemperatur von drei Grad Celsius einstellen. Insofern steht es im Spiel Menschheit gegen den Klimawandel 0:3. Trotzdem kann sie langfristig auf der Seite der Gewinner stehen. Der Veränderungsdruck durch den Klimawandel ist ungeheuer. Schon heute spüren Städte wie das mosambikanische Beira den nagenden Ozean. Trotzdem hat der gemeinsame Kampf aller Staaten gegen den Klimawandel das Potenzial, dass diese eine neue, eine wirklich globale Zusammenarbeit erlernen. Kommt es dazu, verändert sich nicht nur das Klima unseres Planeten, sondern die politische Verfasstheit der Menschheit.