Laut Koalitionsvertrag sind „soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt“ zentrale Anliegen der Regierungstätigkeit. Im Entwurf zum Energie- und Klimaplan tauchen sie kein einziges Mal auf

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit

d'Lëtzebuerger Land du 02.08.2019

Luxemburg hat sich im Entwurf des Integrierten nationalen Energie- und Klimaplans (Plan national intégré en matière d’énergie et de climat, Pnec), den alle EU-Mitgliedstaaten bis zum 31. Dezember 2019 der EU-Kommission vorlegen müssen, hohe Ziele gesetzt. Die Regierung versucht sich als Musterschüler in Sachen Klimaschutz darzustellen, allerdings bleibt abzuwarten, ob den großen Worten auch Taten folgen werden.

Der Weltklimarat mahnt, dass „schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“ notwendig seien, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Allein mit punktuellen Einsparungen, Effizienzverbesserungen und Freiwilligkeit aber wird der Klimawandel nicht aufzuhalten sein. Isolierte Maßnahmen wie der angekündigte öffentliche Gratis-Transport, der von der Regierung als gleichzeitig soziale und Umweltmaßnahme verkauft wird, sind ein erster Ansatz, allerdings völlig unzureichend, solange die Qualitätsfrage (Erreichbarkeit, Häufigkeit, Sicherheit, Sauberkeit und Bequemlichkeit, und zwar nicht nur bezüglich der Transportmittel, sondern auch der Infrastrukturen) nicht verbessert wurden.

Grundlegende und substantielle Veränderungen der heutigen Produktions-, Lebens- und Konsummuster sind in allen Bereichen und auf allen Ebenen nötig. Nachhaltige Entwicklung ist das übergeordnete Leitprinzip, das Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung verbindet. Auch bei Klimafragen sollte es eigentlich um die Frage gehen, wie das Wirtschaftssystem umgestaltet werden kann, um unseren Energie- und Ressourcenverbrauch deutlich zu reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität zu steigern, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben. Ein Paradigmenwechsel müsste stattfinden, und die gesamte Regierung müsste für Kohärenz zwischen den Klimazielen und den Zielen für Nachhaltige Entwicklung sorgen.

Bei staatlichen Eingriffen, um den Energieverbrauch zu reduzieren, muss berücksichtigt werden, dass dies kostenneutral für sozial Benachteiligte geschieht. Werden zum Beispiel im Namen des Klimaschutzes Heizölpreise erhöht, kann das schnell zu einer erheblichen Belastung für jene werden, die finanziell ohnehin schon stark belastet sind. Personen mit niedrigem Einkommen leben oft in weniger gut isolierten Altbauwohnungen. Dass schlecht durchdachte Klimaschutzmaßnahmen soziale Probleme an die Oberfläche bringen können, hat die französische Regierung bei ihrer Art und Weise, die Ökosteuer umzusetzen, erlebt. Die Gelbwesten steigen allerdings nicht auf die Barrikaden, weil sie gegen die Rettung des Klimas sind, sondern weil sie nicht damit einverstanden sind, dass diejenigen den Preis dafür bezahlen sollen, die bereits vom Armutsrisiko betroffen sind.

Während Menschen mit geringem Einkommen von Einschränkungen stärker getroffen werden, sind sie an den Ursachen des Problems am wenigsten beteiligt. Mit wenigen Ausnahmen sind es die Reichsten, die den größten ökologischen Fußabdruck aufweisen, sowohl in Europa als auch weltweit. Oxfam hebt hervor, dass die zehn Prozent der reichsten Menschen die Hälfte der weltweiten Treibhausgase verursachen, dagegen verursachen die 50 Prozent der Ärmsten nur
13 Prozent. Die Ärmsten – in Europa und weltweit – werden am härtesten von den Folgen des Klimawandels getroffen und haben weniger Mittel und Ressourcen zur Anpassung.

Gerecht konzipierte Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigen ungleiche Ausgangspunkte. Die Bekämpfung ungleicher Ausgangspunkte ist eine Grundvoraussetzung für eine dauerhaft gut funktionierende und gerechte Klima- und Sozialpolitik. Auch in Luxemburg nehmen die Ungleichheiten zu. 2017 hatten die Top zehn Prozent der Haushalte einen um das 8,1-fache höheren nationalen Einkommensanteil als die ärmsten zehn Prozent. Die Armutsgefährdungsquote liegt in Luxemburg mittlerweile bei 18,7 Prozent – 2010 waren es noch 14,5 Prozent. Die Armutsgefährdung der Alleinerziehenden betrifft sogar 46,2 Prozent (Statec, 2018).

Ungleichheiten bewirken außerdem einen ungleichen Zugang zu Entscheidungsprozessen. An ihnen sind Migranten, ethnische Minderheiten und Haushalte mit niedrigem Einkommen weniger beteiligt, möglichen negativen Auswirkungen politischer Maßnahmen sind sie jedoch am stärksten ausgesetzt. Die Regierung verfolgt den Ansatz, alle Interessenvertreter in die Ausarbeitung des Pnec einzubinden. Im Mai dieses Jahres wurde unter dem Motto „Generatioun Klima – zesumme fir eise Planéit“ zum Dialog-Tag beim Ministerium für Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung eingeladen. Es fiel auf, dass dort nicht alle sozialen Kategorien, wie zum Beispiel Arbeitslose, Arbeiter, Menschen, die von Armut bedroht sind, Grenzgänger oder sogar die Reichsten vertreten waren. Im Herbst soll eine öffentliche Konsultation stattfinden. Wie die Menschen, die normalerweise am wenigsten an Entscheidungsprozessen teilhaben, aktiv und konstruktiv mit eingebunden werden, steht noch offen.

Das Regierungsprogramm hält fest, dass „soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt (…) bei jedweder Regierungstätigkeit ein zentrales Anliegen sein [werden]“. Dagegen sind in dem 74 Seiten langen Pnec-Entwurf die Wörter „Gerechtigkeit“ und „Zusammenhalt“ nicht ein einziges Mal zu lesen. Das Wort „sozial“ ist nur im Kapitel über Energiearmut zu finden und kurz im Kapitel Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Das gleiche gilt für das Wort „Armut“. Wenn soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt zentrale Anliegen sind, muss darauf auch konkret in Worten eingegangen werden. Die EU-Kommission rät der Regierung in ihren Empfehlungen zum Luxemburger Entwurf, „Aspekte eines gerechten und fairen Übergangs besser zu integrieren, insbesondere durch genauere Angaben zu den Auswirkungen der geplanten Ziele auf soziale Verhältnisse“.

Maßnahmen, die nicht die Realität der Betroffenen treffen

Lediglich das Kapitel über Energiearmut thematisiert Maßnahmen, um den Energieverbrauch und damit auch die finanzielle Belastung für die Haushalte einzuschränken. Sinkende Einkommen, steigende Energiekosten und schlechte Energieeffizienz sind die Hauptursachen dafür, dass zwischen 50 und 125 Millionen EU-Bürger von Energiearmut bedroht sind. In Luxemburg sind es 5 800 Haushalte (Statec, 2013). Allerdings wird keinem während der Wintermonate der Strom abgedreht, wenn die Rechnung nicht bezahlt wird; diese wird dann vom zuständigen Sozialamt übernommen.

2018 erhielten 19 541 Haushalte eine Teuerungszulage (Allocation vie chère), weil ihnen Geld zur Deckung laufender Kosten fehlte. Myenergy bietet ein Unterstützungsprojekt für einkommensschwache Haushalte an. In Anspruch genommen werden kann eine individuelle Energieberatung sowie eine Förderung zum Austausch eines oder mehrerer elektrischer Haushaltsgeräte mit hohem Energieverbrauch (Kühlschrank, Tiefkühler, Geschirrspüler, Waschmaschine). 2017 haben nur 25 Haushalte die Energieberatung genutzt und elf Haushaltsgeräte wurden ersetzt. 2018 waren es zwölf Beratungen und sieben Geräte wurden ersetzt.

Obwohl diese Maßnahme zu begrüßen ist, wird angesichts dieser Zahlen schnell klar, dass der Umfang äußerst minimal ist. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass das Projekt nicht bekannt ist und generell wenig Werbung dafür gemacht wurde. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass bei extrem einkommensschwachen Haushalten Energiefragen keine Priorität haben. Wenn die Waschmaschine defekt ist, wird oft erst einmal geschaut, ob man eine günstige Secondhand-Maschine finden kann. 25 Prozent der Kosten für eine Waschmaschine der Effizienzklasse AAA zu tragen (75 Prozent werden subventioniert), ist noch immer viel Geld für Familien, die jeden Monat Probleme haben, finanziell über die Runden zu kommen.

Luxemburg will sich zum Ziel setzen, bis 2030 um 40 bis 44 Prozent energieeffizienter zu werde – ein Teil davon soll durch Gebäudesanierung erreicht werden. Angesichts der steigenden Immobilienpreise ist absehbar, dass der Mietsektor in Luxemburg künftig eine deutlich größere Bedeutung für das Wohnen erhalten wird. Das Observatoire de l’habitat hat kürzlich dargelegt, dass zwischen 2005 und 2016 die Preise für den Kauf einer Wohnung um 65,5 Prozent gestiegen sind und für ein Haus um 53,2 Prozent. Im Mietbereich ist der energetische Standard der Wohnungen oft problematisch, was zu unnötigem Energieverbrauch und entsprechenden Kosten führt.

Die Regierung stellt Subventionen zur Verfügung, um die energetische Sanierung des Altbaubestandes anzustoßen; unter anderem ein zinsloses Darlehen (Klima-Prêt). Allerdings gilt dies nur für Hausbesitzer. Die ärmsten Haushalte sind aber auch die, die am ehesten zur Miete wohnen. Eigentümer hingegen investieren noch zu selten in energetische Sanierungen ihrer Mietwohnungen, und es wäre wichtig, die Förderprogramme demgemäß zu reformieren. Altbauwohnungen auf einen entsprechenden energetischen Standard zu bringen, sollte, wie bei Neubauwohnungen, zur Vorschrift werden. Finanzielle Unterstützung sollten dann jene erhalten, die es sich ansonsten nicht leisten können. Anstatt wie heute Subventionen an alle zu verteilen, könnte somit gezielt und auch substantieller dort gefördert werden, wo es notwendig ist (die Regierung ist doch ansonsten so gerne gegen das Gießkannenprinzip!). Vor allem Eigentümer, die ihre Wohnung der Gestion locative sociale zur Verfügung stellen, müssten ermutigt und unterstützt werden, ihre Wohnungen energietechnisch aufzubessern.

Sozialpolitik und Umweltschutz in Einklang bringen

Klimaschutz erfordert die Bereitschaft, aus alten Denkmustern auszubrechen; innovative Ideen müssen ergebnisoffen diskutiert werden. Wenn Sozialpolitik und Klimaschutz zusammengeführt werden, haben sie das Potential, soziale und wirtschaftliche Vorteile herbeizuführen. Die Regierung als Ganzes muss Verantwortung tragen, nicht nur vereinzelte Ministerien, und alle Maßnahmen müssten auf Kohärenz überprüft werden. Vereinzelte Maßnahmen wie der angekündigte öffentliche Gratis-Transport oder der Austausch eines elektrischen Haushaltsgerätes mit hohem Energieverbrauch sind lobenswert, allerdings völlig unzureichend. Wenn die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden sollen, müssen die Maßnahmen umfassender und ehrgeiziger werden. Um zu vermeiden, dass ganze Gesellschaftsschichten durch schlecht konzipierte Maßnahmen zu Verlierern werden, muss ein gerechter Zugang zu Ressourcen gewährleistet werden. Alle Maßnahmen zum Klimaschutz sollten vom Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung und der sozialen Gerechtigkeit her betrachtet werden.

Ein Paradigmenwechsel ist dringend notwendig, und unser Konsumverhalten muss neu überdacht werden. Weniger Konsum bedeutet allerdings nicht automatisch weniger Lebensqualität. Eine Studie von TNS Ilres, in Auftrag gegeben vom Conseil supérieur pour un développement durable, hat gezeigt, dass eine große Mehrheit zu Konsumeinschränkungen bereit ist, oder dazu, mehr Geld für Produkte auszugeben, die nachhaltiger sind. Obwohl jeder Einzelne einen Teil Verantwortung hat, soll diese nicht auf den Schultern der Einzelnen belassen werden – vor allem nicht auf denen der ärmsten Haushalte. Die Politik muss ihren Teil der Verantwortung übernehmen und einen Rahmen schaffen, damit die verschiedenen Akteure auf ihrer jeweiligen Ebene handeln können. Um sozialgerechte Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln, müsste die öffentliche Hand einkommensschwache Haushalte mehr unterstützen.

Lucas Chancel, Koordinator des Laboratoire sur les inégalités mondiales in Paris, hebt hervor, dass die ökologische Transition etwa ein Viertel individueller und drei Viertel kollektiver Anstrengung erfordert, um erfolgreich zu sein. Die Regierung muss mit gutem Beispiel vorangehen und in ihrer Gesamtheit handeln. Nach großen Worten müssen jetzt auch Taten folgen, und eine zielführende Klimaschutzpolitik braucht konkrete Maßnahmen, die ambitiös und kohärent sind und sozial Schwachen unter die Arme greifen. Für Caritas Luxemburg muss Klimaschutz sozial gerecht sein, und das ist möglich, wenn der politische Wille besteht.

Carole Reckinger ist Referentin Sozialpolitik von Caritas Luxemburg. Ihr Artikel ist Teil zwei einer Debattenserie im Lëtzebuerger Land zur Klimaschutzpolitik und dem Energie- und Klimaplan. Der erste Beitrag zur Serie war in der Ausgabe vom 19. Juli 2019 erschienen.

Carole Reckinger
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