Die kleine Zeitzeugin

Planet tote Hose

d'Lëtzebuerger Land du 05.02.2021

Die „Siedler von Catamaran“ sind zwar wirklich toll, gut, dass wir es aufgehoben haben, und der Löwenzahn, der uns hoffentlich bald wieder erscheint, ist auch schön. Nur habe ich ihn schon letztes Jahr exzessiv angebetet. Und ich habe in den Wälzern geblättert, die schon seit Dekaden in vergessenen Winkeln darauf warteten, ausgebuddelt zu werden, und hab gedacht, ja, das ist jetzt der Moment. Der Moment, ein Werk zu gebären oder wenigstens das Zimmer aufzuräumen. Here and now, nie war es so here and now.

Verflüchtigt hat sich diese Magie. Der Frühling war verzaubert, eine Fee mit einem Zauberstab wandelte herum, Blütenstaub vergoldete den Asphalt, in Gossen und Sackgassen erblühten Augenweiden. Es fiel uns wie Schuppen von den Augen, wie schön doch der Parkplatz gegenüber ist! Er hat so was … so ein Etwas. So ein Alles. Das muss Liebe sein, es ist unerklärlich. Wer muss in die Ferne schweifen, auch hier kann der Blick schweifen, ausschweifen kann man sowieso überall. Diogenes fühlt sich pudelwohl in seiner Tonne, er ist so drüber wie die Zero-Covid- Philsoph_innen, obschon er total drinnen ist. Das ist die Kunst.

Zuerst war es ein bisschen wie Weihnachten in den Siebzigern, ein verlängertes Weihnachten, wie gut die Ruhe tut. Aber dann wurde es Stierwesdag, und Stierwesdag hörte nicht auf, Klingglöckchen verklang, aus dem Schnee wurde Matsch. Irgendwann ist die Tonne einfach nur noch eine Tonne, und der Mensch drinnen wiegt eine Tonne, er heißt nicht Diogenes. Die lyrischen Anfälle, wenn man in Dauer-Splendid isolation seine Kreise zieht, werden rar. Mit dem Hund spazieren ist schön, aber ab und zu will man die Sau raus lassen. Die Magie blättert ab von dem Parkplatz, müssen wir jetzt ewig parken?

Gibt es keinen Ausweg mehr? Keinen Hügel mehr hinter dem Hügel, keinen Horizont, keine Straße mehr, gibt es nur noch Teststraßen? Bewegen wir uns nur noch vermummt, Unverständliches mümmelnd, von Teststation zu Teststation, wo uns noch Vermummtere, noch Mümmelndere erwarten? Sind die einzigen Einladungen, die man noch bekommt Impfeinladungen? Sind die einzigen Angebote, die man noch bekommt, Testangebote? Testsonderangebote? Ist der einzige Stoff, von dem man träumt, der Impfstoff? Drehen sich Gespräche nur noch um den besten Dealer? Per aspera ad Astra Zeneca? Nein, ich steh’ auf Sputnik!

Werden wir uns nie mehr nach Anderswo trauen, dort könnten ja Viren wild muh-tieren? Die Wildfremde beginnt vor der Haustür. Das erleuchtete Corona-Tagebuch wird nicht mehr geschrieben, jetzt liest man Impftagebücher.

Sorgenvoll schauen wir in die Zukunft, sie ist so zu. Dabei gibt es Licht am Ende des Tunnels, hören wir von den Politiker/innen. Leider ist dieser Tunnel so verdammt lang, womöglich ist das, was wir sehen, eine Fata Morgana? Allmählich werden wir skeptisch. Es ist nicht mehr wie im Frühling, da waren wir Kinder und glaubten an die Belohnung. Die Welt würde wieder heil werden, waren wir überzeugt, also total heillos, wie gewohnt, wenn wir nur all die Exerzitien brav befolgen würden. Wir könnten weiter herumwuseln, herumwurschteln, klimakatastrophal, konsumgeil, alles wäre wieder gut. Wie gewohnt.

Zugleich ist die Zukunft offen wie nie, wir gehen durch ein unbekanntes, verlassenes Land, eine unbekannte, verlassene Welt, in eine neue hinein, besonders neugierig sind wir nicht. Keine Zukunftsdeuterin gibt mehr verlässlich Auskunft. Nostradamus drückt sich auch nicht klar aus. Der Lieblingsvirologe sagt, er wisse es nicht. Politiker/innen reden altertümlich pädagogisch von Nachbessern, von Nachschärfen, ein Wort, das sie anscheinend scharf finden. Lockdowns werden verlockend gelockert, meist nur auf Bewährung.

Währenddessen tanzen immer neue Virusvarianten, immer neue Variationen an, ganze Virenvariétés treten auf, neu getarnt, mit neuen Stacheln und Haken raffiniert ausstaffiert; immer neue Stämme fallen in uns ein, die sich immer was Neues einfallen lassen. Sie kommen aus allen Herr/innen Ländern, sie mischen sich mit unsern guten alten Einheimischen, sie sind genauso flexibel wie ihre Wirt/innen. Fluchtmutant/innen, heißen die Newcomer/innen, selbst auf der Flucht fällt ihnen Neues ein.

Michèle Thoma
© 2024 d’Lëtzebuerger Land