Drei Mal Leben

Eine Laufmasche im Universum

d'Lëtzebuerger Land du 22.06.2006

Zwei Ehepaare treffen sich zum Abendessen. Bei Tisch – oder besser, bei Chips und Snacks, denn die Gäste kamen einen Tag zu früh – geht es um Karriere, Kinder und Kotau. Das ganze drei Mal, mit jeweils anderem Ausgang. Das ist Drei Mal Leben von Yasmina Reza, Trois versions de la vie im Original, das Sommerstück 2006 im Kasemattentheater. Leichtes Boulevardtheater, keine Psychologie, kein Tiefgang, kein Kopfzerbrechen – leichte Unterhaltung eben. Wie die Autorin setzt auch der Regisseur Sebastian Schloesser (dessen Mainzer Inszenierung von Halb [&] halb des australischen Autors Daniel Keene vor drei Monaten am selben Theater gezeigt wurde) auf eine maximal Identifikation des Publikums mit den Hauptfiguren: das ewige Geplärre der Kinder vor dem Einschlafen, die abgenutzten Rollenspiele eines alten Paares, das kennt doch jeder, oder etwa nicht? Bei Yasmina Reza sind die Figuren moderne Mittelschicht, Bobos heißen die in Frankreich, wie bourgeois bohême. Er Wissenschaftler, sie gefürchtete Rechtsanwältin, "eine brillante Frau und ein Versager", wie er es ausdrückt. Sie (Josiane Peiffer) ist ihm (Germain Wagner) ohne Zweifel haushoch überlegen. Henri, der Physiker, hat seit drei Jahren nichts mehr veröffentlicht, dabei leben Wissenschaftler nur für und von Veröffentlichungen ihrer Forschungsresultate. An dem Abend erwarten sie den Besuch der Finidoris, Hubert und Ines, wichtige Leute für Henri, der sich vom Gast berufliche Unterstützung erhofft. Der jedoch bringt eine Hiobsbotschaft. Yasmina Rezas Stück ist geschwätzig, wie es die Franzosen in Film und Theater so gerne sind. Im Original mag das noch funktionieren, doch in der deutschen Übersetzung – warum überhaupt in Luxemburg ein französisches Stück in einer Übersetzung aufführen? – sind es der (sinnlosen) Worte etwas viel. Die erste Version der Auseinandersetzung scheint noch ganz unterhaltsam, der Obermacho Finidori (Steve Karrier) mit seiner durchgeknallten Ehefrau Ines (absolut geniale Martina Roth), am Rande der Hysterie wegen einer Laufmasche in ihrer Strumpfhose, heizen den Gastgebern ganz schön ein. Allerdings könnte man danach genauso gut nach Hause gehen. Doch das Treffen wird noch in zwei anderen Versionen durchgespielt, Versionen, in denen sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Protagonisten und die Stimmung des Abends jeweils verändern. Nicht dass man nicht lachen würde. Im Gegenteil, die Schauspieler geben sich redlich Mühe, spielen beschwipst, werfen mit Käse­snacks über die Bühne, versuchen zu tanzen, machen sich gegenseitig an, stolpern über Legosteine, schreien, schwitzen... bloß warum? Der Text ist nicht wirklich interessant, und Sebastian Schloessers Regiearbeit war zumindest am Abend der Premiere noch nicht so standfest, dass die Schauspieler ihrem Spiel total freien Lauf hätten geben können. "Wir sind nicht nichts" dichtet die total besoffene Ines Finidori am Ende des Abends vor den Gastgebern, ihr dürstet nach etwas Poesie im Alltag, denn sie hat einen Astrophysiker geheiratet und am Ende einen Zyniker bekommen, der eine Karriere wie einen Schlachtplan aufbaut und Kollegen nur als Gegner wahrnimmt. Hubert und Henri unterhalten sich über Galaxien und ihre Form, doch Ines kann den ganzen Abend lang nur an die Laufmasche in ihrem Strumpf denken. Vielleicht ist das das große Fazit des Stückes: alles ist nur relativ. Auch die Wissenschaft. Auch das Universum. Auch das Theater. Besonders das Theater.

Drei Mal Leben von Yasmina Reza in der Inszenierung von Sebastian Schloesser mit : Steve Karier, Josiane Peiffer, Martina Roth, Germain Wagner und der Stimme von Kaspar Voigt ; weitere Vorstellungen am 27., 28. und 30. Juni, sowie am 6. und 8. Juli  im Kasemattentheater, Saal Tun Deutsch; 14, rue du Puits, Luxemburg-Bonneweg ; Kartenvorbestellung unter Telefon 291 281; Internet: www.kasemattentheater.lu.

josée hansen
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