Große Szene am Fluss

Das Tier in dir

d'Lëtzebuerger Land du 11.05.2000

Alles wirkt trostlos, in Beringen bei Mersch, abends kurz vor acht. Eine verlassene Mehrzweckhalle, in der 495 Personen (laut amtlichem Aushang) an manchen Wo-chen-enden so richtig feiern und am Tresen stehen können. An den anderen Tagen aber ist sie zum Heulen, mit ihrer großen Parkfläche samt Recyclingcontainern, den Fertighäusern rundherum und dem leicht heruntergekommenen Innenleben. 

Eine Mehrzweckhalle halt von denen wohl jedes zweite luxemburgische Dorf eine besitzt. Nur wurde diese, die den Namen Irbicht trägt, am vergangenen Wochenende zum Theater umfunktioniert: Eva Paulin inszeniert dort Tankred Dorsts Kriegsdrama Große Szene am Fluss. Und sie macht aus der Not eine Tugend; mit viel künstlichem Nebel und Serge Tonnars stimmungsreicher Musik gelingt es ihr gar, eine Stimmung in diese Einöde zu bringen.

Allerdings ist der Erfolg des Stücks vor allem der Erfolg der Schauspieler. Mario Gremlich ist gigantisch, bestialisch, gar beängstigend als Osso, Dirk Fenselau (Speed) verunsichernd in seiner Labilität, Jean-Paul Maes überzeugend in seiner unermüdlichen Zähigkeit (Budd). Die drei Protagonisten des Stückes treffen sich an einem ähnlich trostlosen Ort, während des Jugoslawienkriegs (Dorst hat das Stück 1999 geschrieben, es wurde erst einmal gespielt, letztes Jahr in München). Zum erstes Mal kämpfen deutsche Soldaten aus Ost und West wieder zusammen im Ausland. Osso und Speed sind beide Söldner und schon ziemlich am Ende, als Budd dort eintrifft. Budd ist Journalist, ein Feind, einer von jenen, die die Blutspur lecken, welche die Söldner hinterlassen, wie es Speed abschätzig definiert. Mit Hilfe eines Fotos hofft Budd allerdings eine Story zu finden; ein Foto, das das zermalmte Gesicht eines Soldaten zeigt: Harko, Ossos und Speeds bester Freund. Wie er umkam und warum, was er für ein Mensch war, warum er Gedichte schrieb, alles das möchte Budd wissen und lässt dafür die Quälereien der Söldner über sich ergehen. Das Treffen muss fatal enden.

Im Krieg, scheint uns Dorst (Jahrgang 1925) sagen zu wollen, geht jede Moral verloren. Alles Gerede über Ethik und Soldatenehre wirkt gleich lächerlich. 

Harko hat möglicherweise bloß sterben müssen, weil er seine beiden Freunde in seinen Zweifel mitgerissen hat. Wie die Frau, die er zuvor mit einem Spaten umbrachte, bloß weil sie nicht mehr recht wusste ob sie "für den Halbmond oder für MacDonalds" war. Die Verunsicherung ist das Ende des Soldaten; nur ein klares Feindbild hält das Konstrukt Armee zusammen. Nach Bartsch, Kindermörder bestätigt Eva Paulin mit Große Szene am Fluss, dass sie momentan zu den interessantesten RegisseurInnen in Luxemburg gehört. Weil sie Risiken eingeht, besonders bei der Auswahl der Stücke und der Spielorte. Weil sie gute Schauspieler einsetzt. Und weil sie zwischen den langweiligen Klassikern der etablierten Häuser unermüdlich zu rufen scheint: "Hey! halt!, das Theater hat doch noch etwas zu sagen!" Zur Gesellschaft, hier und heute. 

 

Große Szene am Fluss von Tankred Dorst (Mitarbeit: Ursula Ehler), inszeniert von Eva Paulin; es spielen: Dirk Fenselau, Mario Gremlich und Jean-Paul Maes; Musik: Serge Tonnar; Produktion: Théâtre national du Luxembourg und APTC; weitere Aufführungen in der Halle Irbicht in Beringen bei Mersch, am 16., 17., 19., 20. und 21. Mai jeweils um 20 Uhr. Reservierungen unter Telefon 40 40 34 - 370

 

josée hansen
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