Der Bodybuilder überreicht dem Pater familiae die Fregatte. Der Pater familiae hält sie in Händen und schaut sie aus gebührender Distanz an. Er wendet sich dem ehrfürchtigen Trüppchen zu, das sich um ihn und die Fregatte geschart hat. Die Frau und die Teenager-Töchter. Der Vater nickt feierlich, der Bodybuilder lächelt. Ein anerkennendes Lächeln, von Mann zu Mann. Der Bodybuilder steckt die Fregatte in ihren Pappsarg, der Vater atmet tief aus. Er reicht dem Bodybuilder einen Zehneuroschein, noch einen, noch einen, noch einen. Gesammelt und ernst verlässt das Trüppchen das Geschäft. Gefolgt von der kleinen Prozession, trägt der Pater Familiae die Fregatte auf Händen zum Campingplatz.
Ich weiß nicht, ob es eine Fregatte war. Vielleicht war es ja ein Schoner, der auf dem Hausaltar der tschechischen Familie bald seine Segel blähen wird. Ich weiß auch nicht, ob der Bodybuilder ein Bodybuilder ist. Oder ein braver Anabolika-Konsument. Ein Disco- Rausschmeißer. Jetzt müsste er Reinschmeißer sein. In rührender Einsamkeit steht er inmitten monströs schillernder Muscheln, dalmatinischer Popeyes, in von giftigen Acrylsonnenuntergängen begossenen Buchten, vor den Fregatten aus Taiwan, die vielleicht auch Schoner sind, und aus untergegangenen Kindheitserinnerungen aufkreuzen, inklusive Käptns, Augenklappen, Maaten, Masten, und dem edlen Freibeuter. Die Touristen, die hier flanieren, haben gerade mal genug Geld für eine Runde Eis, aber bitte nur zwei Kugeln. Mädchen und ihre Mütter ertrotzen sich dann aber ein himmelbeerensaftfarbenes Muschelkettchen, 3 Euro, aus Taiwan, als Erinnerung an die Sonnenuntergänge, die Sonne, als Erinnerung an die Sehnsucht und vielleicht sogar die gestillte Sehnsucht. Der Bodybuilder ist der einzige, bei dem noch kroatische Heimatschnulzen sich nonstop über die Nicht-Käufer ergießen, eine schmierige, schmalzige Brühe, in der noch Blut- und Bodenbrocken schwappen. Die zugleich dröhnenden und klebrigen Schmachtfetzen klingen allmählich verhaltener, werden zur akustischen Hintergrundkulisse – da vorn gibt es schon Jazz zur Pizza.
Der Krieg, wer redet noch über den Krieg, wer redet über den Krieg mit Touristen? Das ist doch schon so lang her! Und war er hier, und wie, im Niemandsland von Pinien und Fels, zwischen Split und Dubrovnik, gerade Mal ein paar Kilometer von Bosnien entfernt? „Ich habe im Ruhrpott gearbeitet, im Krieg“, sagt der Kellner, der die Schlachtplatten stemmt als sei er im Hofbräuhaus, und als er das Wort „Ruhrpott“ mit Ruhrpottakzent sagt, leuchten seine Augen heller als die Sterne über seinem Meer. Mehr über den Krieg sagt er nicht, sagt niemand. Aber am Eingang der kleinen, bescheidenen Flaniermeile neben dem Campingplatz immer noch der verlassene Betonkasten mit den zersplitterten Fenstern, der pompösen Terrasse, die sicher mal der Hit der Meile gewesen war. „Smrt,“ „Tod,“ ist drinnen an die Wand geschmiert. Abends machen Touristen auf der Terrasse Yoga.
„Nach Montenegro wollen Sie?“ Die verschlafene Dame im Camping- Büro schaut mich mit einer Mischung von Unverständnis und Abweisung an. „Wie Sie dahin kommen? Keine Ahnung. Das ist ein anderes Land.“ Montenegro ist 200 Kilometer entfernt.
Der Mond hängt besoffen über dem Meer. Die kleine Dschunke schaukelt friedlich, sie wird von schmatzenden Wellen geschaukelt und verschaukelt jetzt keine Touristen. Katzen-Phantome schleichen sich, der Mond wird immer fetter, immer urinfarbener. Touristenzeichner zeichnen Touristen. Kichernde Kinder machen Handy-Fotos von kichernden Kindern, kichernd schauen sie sich die voneinander geschossenen Fotos an, hören sich das gespeicherte Kichern an. Das Meer leckt die Füße der Abschiedswunden wie tausend junge Hunde. Vielleicht auf einen Sprung in den Tempel des trostlosesten Trostes? Vielleicht doch noch ein Badetuch, dürftig blau wie ein verschlissener Himmel, den die Fahne Kroatiens besetzt? Das Schiff von Kolumbus aus China?