Zwischen Regierungsbeteiligung und Wahlkampf suchen Déi Gréng ihre Position

Wir sind die Guten

Déi Gréng Parteitag 2017
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d'Lëtzebuerger Land du 17.03.2017

Der große Saal im Limpertsberger Tramsschapp ist für grüne Parteitage eigentlich kein guter Austragungsort. Seine matt metallic-grau verkleideten Wände, der dunkelgrau gesprenkelte Fußboden, die großen Deckenlampen an Stahlgerüsten lassen ihn eher wie einen Techno-Tempel aussehen. Das nur durch Oberlichtfenster eindringende Tageslicht ist so schwach, dass selbst bei Sonnenschein draußen auf elektrische Zusatzbeleuchtung im Saal nicht verzichtet werden kann, und scheint die Sonne zu stark, werden die Fenster in der Saaldecke automatisch durch graue Jalousien abgeblendet.

Drei Topfpflanzen auf dem Vorstandstisch sind das einzige Grün, als Déi Gréng am Samstag ihren Jahresparteitag abhalten. Ein paar Poster mit Füchsen an den Wänden erinnern an den Kampf von Staatssekretär Camille Gira mit dem Jägerverband um das Fuchsjagdvervot vor zwei Jahren. Der improvisierte Rahmen in dem kargen Saal passt jedoch zum Anliegen der Veranstaltung: Zwischen Regierungsbeteiligung und drei Wahljahren suchen die Grünen ihre Position. Der Kongress soll nicht nur die Parteispitze wiederwählen, denn Gegenkandidaturen gibt es nicht, die Einsetzung einer Wahlkommission für die Listen der Kammer- und der Europawahlen beschließen und den Kassenbericht hören. Vor allem soll über eine Resolution Lëtzebuerg weider denken abgestimmt werden und über eine zweite zum Welthandel. Doch lange Diskussionen soll es nicht geben. Wortmeldungen seien „laut Programm nicht explizit vorgesehen“, erklärt Partei-Kopräsident Christian Kmiotek gleich zu Beginn. Wer dennoch ums Wort bitten wolle, für den lägen aber „Zettel“ am Vorstandstisch aus.

Die Lage der Grünen ist delikat, aber spannend. Wenn in sieben Monaten in den Gemeinden gewählt wird, ist das Ziel selbstverständlich, die Zahl der kommunalen Mandate weiter zu erhöhen. 1999 hatten die Grünen sich noch über landesweit 22 Mandate gefreut, 2005 errangen sie schon 41 und 74 bei den letzten Wahlen 2011. In den drei größten Städten des Landes, Luxemburg-Stadt, Esch/Alzette und Differdingen, gehören Déi Gréng den Schöffenräten an, in Differdingen stellen sie den Bürgermeister.

Seit 2013 aber sind Déi Gréng auch Regierungspartei. Und den jüngsten Umfragen nach können Déi Gréng sich am ehesten Hoffnungen machen, das auch nach den Kammerwahlen 2018 zu bleiben. Weil die Bürger den eher technokratischen als politischen Fleiß der grünen Regierungsmitglieder in Bereichen, die als typisch grün gelten, offenbar würdigen, geben sich die Parteitagsredner große Mühe, die Verdienste der drei Grünen im Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium, Carole Dieschbourg, François Bausch und Camille Gira, in ein Kontinuum zu stellen, das grün mitregierte Gemeinden ebenso umfasst wie das grün mitregierte Land: In der Hauptstadt „riecht man regelrecht die neue Mobilitätskultur“, schwärmt François Benoy, neben Sam Tanson Spitzenkandidat der Stater Grünen für die Gemeindewahlen. Die Straßenbahn, glaubt er, sei „nicht nur ein Zug durch die Stadt“, sondern werde „die Stadt von Grund auf verändern“. Gestalt nehme sie aber nur dank der Zusammenarbeit mit dem Nachhaltigkeitsministerium an.

Wie strategisch wichtig die typisch grünen Bereiche sind, zeigt sich auch daran, dass Justizminister Félix Braz, als er die Regierungsbeteiligung bilanziert, deutlich mehr von Naturschutz, RGTR-Busreform, Landesplanung, Windenergie und Fuchsjagdverbot spricht als von seiner eigenen Arbeit, vom Nationalitätengesetz oder dem Gesetz zur Terrorismusbekämpfung etwa. Und während Sam Tanson 2013 beim Sonderparteitag über den Koalitionsvertrag François Bausch keck zum alten Eisen erklärt hatte, wird der Transport-, Landesplanungs- und Bautenminister im Tramsschapp geradezu als Rockstar gefeiert, als Macher, der jedoch mit den Leuten rede. „Die Bagger rollen, aber nicht über die Leute. Das unterscheidet François Bausch von anderen Ministern“, weiß Félix Braz.

Allerdings sind die Grünen nicht so vermessen zu glauben, dass ihre Wahlkampfvorbereitung sich nur an Verkehrsberuhigung, grünem Strom und Artenschutz festmachen ließe. Migranten seien nicht immer Kriegsflüchtlinge, sagt Parteipräsidentin Françoise Folmer. „Manche suchen einfach nur Arbeit in Europa. Wir wollen, dass sie willkommen sind.“

Das ist eine der starken Aussagen, mit denen die Grünen sich als die besseren Liberalen empfehlen. Wenn es immer wieder heißt, „grüne Anliegen“ hätten es „schwer, weil sie keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen liefern“, klingt das zwar auch wie das Eingeständnis der nur kleinen Rolle in der Regierungskoalition, in die die Grünen gelangt waren, obwohl sie bei den Wahlen 2013 ein Abgeordnetenmandat verloren hatten. Meist aber versteht man es als Insistieren, dass die Partei über eine Ideologie verfüge und kein Spaßverein sei. Es sei „Zeit aufzustehen“, meint Félix Braz. In Europa drohe die Gleichberechtigung „zurückgeschraubt“, die Demokratie „missbraucht“ zu werden. Und der Europaabgeordnete Claude Turmes fordert den Parteitag auf: „Get up, stand up gegen TTip und Ceta.“

Mit der Ideologie und der großen Politik ist das allerdings so eine Sache. Claude Turmes möchte ein Plädoyer für Europa halten: „Wir haben eine grenzüberschreitende Demokratie geschaffen.“ Er findet jedoch, „wir haben zwar den Euro, aber nicht genug demokratische Kontrolle“. Das könnte heißen, die wichtigste Politikinstanz der EU sei die Zentralbank, die niemand wählt, die aber besonders wirksam dafür sorgt, dass den Euroländern die Stimmungslage der Finanzmärkte mitgeteilt wird, welche dann die nationalen Haushaltspolitiken beeinflusst. Solche Gedanken sind potenziell folgenschwer. Sie können zur Frage führen, wovor die Demokratie in Europa gerettet werden müsste – vor EU-Institutionen oder dem Kapitalismus –, was das zu tun hat mit der Krise der liberalen Ordnung, den Aufstiegen Rechtsextremer und was daraus für die EU folgen sollte. Thema des grünen Parteitags ist all das nicht. Aber sicher in ihrer Haltung zur Zukunft der EU sind Déi Gréng sich keineswegs. Während Félix Braz der „verstärkten Zusammenarbeit“ zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten einiges abgewinnen kann – „Man sollte nicht zögern, davon Gebrauch zu machen, aber nicht als einfache Lösung, sondern nur, wenn es uns voranbringt.“ – versteht Claude Turmes Braz so, als trete er für „Option fünf“ im Weißbuch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein, die in Richtung Vereinigter Staaten ginge. „Für uns muss drei plus die richtige sein“, findet Turmes, aber Option drei im Weißbuch ist die verstärkte Zusammenarbeit, und ob „drei plus“ vielleicht ein „Kerneuropa“ bedeute, erklärt Turmes nicht.

Die Lage ist ernst, doch der grüne Parteitag beschränkt sich auf Statements. Auch über die Resolution zum Freihandel wird nicht diskutiert. Dabei stehen darin Sätze wie: „Unter fairem Handel verstehen Déi Gréng das Ergebnis sinnvoller weltweiter Arbeitsteilung und von Spezialisierungsprozessen, die zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen hierzulande und weltweit führen.“ Wird die grüne Fraktion mit einem solchen Satz als Leitlinie den Ceta-Zusatzprotokollen zustimmen können, wenn die Abgeordnetenkammer darüber entscheidet? Das will im Tramsschapp niemand wissen. Ob weltweite Arbeitsteilung und Spezialisierung überhaupt zum Freihandel passen und nicht vielmehr zum Comecon-Binnenmarkt der Ostblockstaaten seinerzeit, interessiert ebenfalls niemanden. Der Parteitag nimmt die Resolution einstimmig an.

Déi Gréng sind aber nicht etwa unterwegs zu einer neuen Ideologie. Das zeigt sich an der bei nur zwei Enthaltungen angenommenen Resolution Lëtzebuerg weider denken. Der die postmaterialistische Haltung in geschützten Sektoren angestellter Intellektueller atmende Text sorgt sich einerseits über zu viel Wachstum, will andererseits „das hohe Niveau an Lebensqualität“ bewahren. Die Regierung wird gelobt, die Weichen hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung gestellt zu haben; unter anderem mit der Rifkin-Studie, deren Ausarbeitung „partizipativ“ genannt wird, obwohl die Gewerkschaften davon ausgeschlossen waren. Und während Déi Gréng in der Freihandels-Resolution verstanden werden konnten, als wollten sie den Kapitalismus abschaffen, scheinen sie ihn in Lëtzebuerg weider denken bald bändigen und in den Dienst einer „gesteigerten Lebensqualität“ stellen, bald entfesseln zu wollen: Unter „Lebensqualität“ wird auch der „Kampf gegen die Armut“ verstanden, „dank einer Politik, die es benachteiligten Menschen erlaubt, ihre Kompetenzen und Kapazitäten zu entwickeln“. Als einziges Beispiel für diese Politik wird jedoch das zum Revenu d’inclusion zu reformierende RMG angeführt, das die Armen aktivieren und ihnen klarmachen soll, an ihrer Lage selber Schuld zu sein.

Die einzige längere Diskussion um Lëtzebuerg weider denken entspinnt sich auch nicht um Wachstum, Sharing Economy oder die Armen, sondern um das „Vermummungsverbot“. Justizminister Braz hat sich schon vorher hinter die Koalition zurückgezogen und erklärt, „dazu sage ich erst etwas, wenn die Regierung ihre Schlussfolgerungen gezogen hat, und die vertrete ich dann mit“.

Die Jonk Gréng und zwei einzelne Parteimitglieder möchten dagegen in der Resolution ausdrücklich festgehalten wissen, dass in einem weitergedachten Luxemburg ein Verbot der Vollverschleierung keinen Platz habe: Andernfalls bausche man ein „quasi nicht existierendes Problem“ unnötig auf und legitimiere „rechte Populisten“. Dass die Jonk Demokraten das ähnlich sehen, setzt Déi Gréng unter Zugzwang. Aber nachdem die Feministin Viviane Kremer sich verbeten hat, „in die rechtsextreme Ecke gestellt zu werden“, weil für sie die Vollverschleierung eher ein Zwang ist, der Frauen auferlegt wird, braucht der Parteitag nur ein paar Minuten, um sich auf eine vorbereitete, sehr gewundene Kompromissformulierung zu einigen: Déi Gréng träten für individuelle Freiheiten wie auch für Religionsfreiheit ein, und die Rechte von Frauen gehörten generell gestärkt.

Lëtzebuerg weider denken wird vielleicht das Motto der Wahlkampagne heißen. Wie viele kleine Zukunftstische, um die Leute „aktiv einzubeziehen“, denn „wer mitgestalten kann, muss keine Angst vor Fremdem haben“, ist Viviane Loschetter überzeugt. Den niederländischen Grünen gleich wollen die luxemburgischen einfach die Guten sein.

Peter Feist
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