Andrew Ferrone ist Klimawissenschaftler, leitet den Wetterdienst im Agrarministerium, sitzt für Luxemburg im Intergovernmental Panel on Climate Change und hat schon einige Klimagipfel miterlebt

Beim Agrarwettermann

d'Lëtzebuerger Land du 19.07.2019

Andrew Ferrone ist Klimawissenschaftler. Er hat Physik studiert, sich auf Meteorologie und Klimatologie spezialisiert und für seine Doktorarbeit untersucht, ob die aus den Abgasen von Flugzeugtriebwerken entstehenden Kondensstreifen einen Extrabeitrag zur Erderwärmung leisten (tun sie). 2009 nahm er, damals Doktorand an der Universität Louvain, mit der Delegation Belgiens am Weltklimagipfel in Kopenhagen teil. Was macht jemand wie er in der Asta, der Administration des services techniques de l’agriculture beim Luxemburger Landwirtschaftsministerium?

Zum Beispiel leitet er den Asta-Wetterdienst, genauer: den Agrarmeteorologischen Dienst. Der besteht seit 1911 und war der erste Wetterdienst im Land. Kein Wunder, die den Fährnissen des Wetters ziemlich ausgelieferten Landwirte interessieren sich natürlich besonders dafür. Mit einer Messstation für Temperatur und Niederschläge fing damals alles an, heute betreibt der Asta-Wetterdienst 32 Stationen, die noch einige andere Parameter erfassen. „Wir haben ein ganzes Netz“, insistiert Andrew Ferrone.

Macht das die Wettervorhersage der Asta zuverlässiger als die des Flugwetterdienstes am Findel? Nun ja, meint Ferrone, es könne schon Unterschiede geben. Vor allem lokale: „Eine Station, die in einem Tal steht, misst was anderes als eine auf einem Hochplateau. Die Flughafenstation steht nur am Flughafen.“ Bodenfrost und besonders hohe Temperaturen vorherzusagen, gelinge dem Asta-Wetterdienst deshalb besser, extrem lokale Niederschläge auch. Aber eigene Wetter-Prognostiker hat er nicht; für die Vorhersagen arbeitetet er, wie Météolux am Findel, mit Diensten im Ausland zusammen. Was den Agrarmeteorologischen Dienst speziell macht, ist sein Service-Angebot für Landwirte. Eine Frost-SMS etwa signalisiert, wenn die Temperatur unter eine bestimmte Schwelle zu fallen droht. „Das ist für den Obstbau sehr interessant, für Winzer auch.“ Empfehlungen für Aussaat und Ernte je nach Niederschlagswahrscheinlichkeit über eine Woche macht der Asta-Dienst auch. Früher behalfen die Landwirte sich mit „Bauernregeln“ zum Wetter.

Doch die gingen im Grunde schon auf Langzeitbeobachtungen zurück, und weil der Asta-Dienst der erste seiner Art war, ist er auch der Produzent von Klimadaten im Land. „Klima“ meint Beobachtungen über mindestens drei Jahrzehnte hinweg. Für die Stadt Luxemburg liegen Wetterangaben über mehr als 150 Jahre vor; das ist der umfangreichste Datensatz. Neben dem Unterhalt des Agrarettermessnetzes ist Andrew Ferrone auch zuständig für die Auswertung der Daten, und ist damit in seinem Klima-Fach.

Davon kündet auch sein Büro, wo Schaubilder über die langjährigen Temperatur- und Niederschlagsverläufe im Land neben historischen Wettermessgeräten stehen, ein „Was, wo, wie?“-Kinderbuch über das Wetter nicht weit liegt und Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change ebenfalls nicht. Als Klimatologe vertritt Ferrone die Luxemburger Regierung im IPCC, dem Gremium, das seit 1992 alle paar Jahre Bericht über den „Sachstand“ der Klimaveränderungen erstattet und daneben Sonderberichte herausgibt. Wie im Herbst letzten Jahres den, der warnte, soll die Erderwärmung 1,5 Grad gegenüber dem „vorindustriellen Zeitalter“ nicht überschreiten, müssten die Treibhausgasemissionen schon bis 2030 um mindestens die Hälfte gesenkt werden. Das, sagt Ferrone, sei „ganz ambitiös“.

Aber immerhin: Kein Staat, keine Regierung hat sich bisher gänzlich ausgeklinkt aus der gemeinsamen Klimaschutzpolitik. Andrew Ferrone geht für Luxemburg auch auf Klimagipfel, und auf Vorbereitungstreffen zu Gipfeln verhandelt er technische Details. Wie vergangenen Monat in Bonn etwa. Weder die USA noch Brasilien würden unter ihren neuen Regierungen alles blockieren. „Ihre Vertreter haben speziellere Positionen, sie benutzen immer wieder mal sonderbare Argumente, weil sie beauftragt sind, so zu reden.“

Noch aber hätten die USA das Pariser Klimaschutzabkommen nicht verlassen. Aus dem Abkommen auszusteigen, dauere fünf Jahre. Rascher, binnen zwei Jahren, ginge es, wenn die USA die UN-Klimarahmenkonvention verließen, die dem Pariser Abkommen übergeordnet ist. „Ich hatte gefürchtet, dass sie das tun könnten, aber das geschah nicht.“ Keiner der 195 Unterzeichnerstaaten habe die Klimakonvention infrage gestellt. „Für mich zeigt das, dass der Multilateralismus beibehalten werden soll.“ Und da die russische Regierung vor kurzem erklärt hat, das Pariser Abkommen ratifizieren lassen zu wollen, „bekommen wir demnächst globale Abdeckung, und vielleicht bleiben die USA ja drin“.

Was vermutlich die wenigsten wissen: Die Regierungen reden auch im IPCC mit. Das Panel besteht einerseits aus den Experten, die die Berichte schreiben, andererseits aus Regierungsvertretern, wie Ferrone der für Luxemburg ist. Am Ursprung jedes IPCC-Berichts steht die Abstimmung über dessen Schwerpunkte. Die werden von den Wissenschaftlern vorgeschlagen, von den Delegierten der Regierungen abgesegnet. „Die Wissenschaftler haben alle Freiheit, ihre Berichte zu schreiben, aber die Regierungen sagen, was relevant für sie ist, weil sie sich daraus eine Politikberatung erhoffen.“ Am Ende werden die Texte im Plenum besprochen, mitunter Satz für Satz auseinandergenommen, denn das Prinzip lautet, einen Konsens zu erzielen. „Das letzte Wort haben stets die Wissenschaftler, und es kam schon vor, dass die Regierungsvertreter einen Konsens hatten, die Experten aber sagten, Sorry, das geht so nicht.“ Aber dass die Regierungen so intensiv mitarbeiten an den Berichten, sei noch ein Hinweis auf den funktionierenden Multilateralismus.

Wie Andrew Ferrone die Sache sieht, ist die internationale Klimaschutzpolitik erst mit dem Pariser Gipfel 2015 richtig multilateral geworden. „Der in Kopenhagen 2009 scheiterte vor allem daran, dass man versuchte, von oben her ein Treibhausgasreduktionsziel zu verordnen und dann zu schauen, wie man es unter den Ländern aufteilt.“ Das war 1998 der Ansatz im Kyoto-Protokoll gewesen. „Die dänische Gipfel-Präsidentschaft nahm in Kopenhagen ein paar große Staaten zusammen und stiftete unter ihnen einen Konsens. Der aber ging vor allem den kleinen Inselstaaten nicht weit genug“, erinnert sich Ferrone.

Dagegen wurde vor dem Pariser Gipfel unter den Teilnehmerstaaten ermittelt, was für Reduktionsverpflichtungen sie eingehen wollten. Die wurden zusammengefasst und am Ende abgemacht, dass alle fünf Jahre kontrolliert würde, wie weit man kollektiv gekommen ist. Für Andrew Ferrone ist das der springende Punkt: „In Kopenhagen wurde das Zwei-Grad-Ziel festgehalten, immerhin. In Paris dagegen wurde vereinbart, alle fünf Jahre eine globale Bestandsaufnahme zu machen, nach der sich zeigen muss, ob der Druck auf alle zu erhöhen ist, um die Erwärmung auf zwei Grad oder 1,5 Grad zu limitieren.“ Alle Beteiligten auf diesen gemeinsamen Nenner eingeschworen zu haben, sei ein „diplomatisches Meisterstück der Franzosen“ Denn weil bei Klimagipfeln das Konsensprinzip gilt, kann jedes Land eine Lösung blockieren; eine Großmacht ebenso wie ein Inselstaat, was 2009 in Kopenhagen geschah. So betrachtet, sieht Ferrone ziemlich viel Fortschritt in der Klimapolitik. Die ist ein träges System, wie auch der Planet eines ist.

Letzteres kann es so schwierig machen, über konkreten Klimaschutz zu reden. „Selbst wenn wir sofort alle Treibhausgasemissionen auf null senkten, ginge die Erderwärmung noch 20 bis 30 Jahre lang weiter“, sagt Andrew Ferrone. Wird das Ziel „Zero carbon“ im Jahr 2050 erreicht, werde vielleicht erst eine, vielleicht auch zwei Generationen später eine Wirkung zu verspüren sein. Und wenn bis 2050 die Emissionen weiter stiegen? Ein IPCC-Szenario geht davon aus, dass in den Alpen Schnee bis 2050 bliebe, würde die Erwärmung unter 1,5 Grad gehalten. Ein anderes schließt nicht aus, dass er dann verschwunden sei. Klimamodellierung ist stets eine Arbeit mit „Bandbreiten“ von Unsicherheit. Das macht die Klimapolitik einerseits angreifbar, andererseits kruzial.

In Luxemburg ist das auch so: Noch lasse sich wenig sagen, inwiefern Wetterphänomene auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Die Temperatur im langjährigen Mittel hat sich erhöht, um 1,3 Grad seit Beginn der Aufzeichnungen vor 150 Jahren in der Hauptstadt. Auch die Zahl der Tage mit Starkregen, das heißt, mehr als zehn Liter pro Quadratmeter, sind in Luxemburg-Stadt, das als Referenz dient, weil dort die Aufzeichnungen begannen, von 15 Tagen im Jahresschnitt der Fünfziger auf 18 Tage heute gestiegen. Dagegen lassen sommerliche Hitzewellen und Trinkwasserknappheit sich noch nicht in einen Zusammenhang mit Klimawandel bringen: „Die Jahres-Niederschläge können um mehr als den Faktor zwei variieren. Ein Langzeittrend, der statistisch signifikant wäre, zeigt sich aber noch nicht“, sagt Andrew Ferrone.

Weil die Luxemburg sich wie alle EU-Staaten bis Ende des Jahres einen Energie- und Klimaplan geben und darin detailliert auflisten muss, wie der nationale Beitrag zur Erfüllung des Klimaziels der EU bis 2030 erreicht werden sollen, und weil die Regierung sich zum „Null-Emissionsziel“ bis 2050 bekannt hat, wird zurzeit unter anderem darüber diskutiert, welche Rolle der Landwirtschaft dabei zukommen soll. Und bereits im vergangenen Jahr wurde ein Plan zur Anpassung an die nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels publiziert.

Diese Fragen beschäftigen Andrew Ferrone und seine Abteilung stark. Allenfalls der Weinbau könnte aus steigenden Temperaturen ökonomisch Vorteil ziehen, weil hochwertigere Rebsorten gepflanzt werden könnten, „die vor
30 Jahren undenkbar schienen in Luxemburg“. Vorausgesetzt, es folgen nicht auch Schädlinge, an die noch niemand denkt. Für die anderen Agrarsektoren dagegen sieht es nicht gut aus. „Auch weil in Luxemburg traditionell so gut wie nicht künstlich bewässert wird und das auch für die Zukunft keine Option darstellt“, einerseits der Topografie wegen, anderseits mangels Wasserquellen, die das erlauben würden. Höchstens im Gemüsebau ließe sich darauf zurückgreifen, im Ackerbau dagegen sei eine Möglichkeit, „resilientere“ Sorten anzubauen.

Wie die Landwirtschaft zur Emissionssenkung beitragen soll, ist noch nicht ausdiskutiert. „Ich kann dazu nichts sagen, das ist noch intern“, erklärt Ferrone. Generell ist die Bedeutung des Agrarbereichs groß: Ganz gleich wie viel Treibhausgas künftig ausgestoßen wird, wird es darauf ankommen, davon so viel wie möglich aus der Atmosphäre „zurückzuholen“ – durch Wiederaufforstung von Wäldern zum Beispiel, aber auch, indem Vieh öfter auf der Weide grasen lässt, statt es im Stall zu halten und dort zu füttern. Auf solche „Kohlenstoffsenken“ müsste auch zurückgegriffen werden, um sich emissionsintensive Industrien weiterhin leisten zu können, sagt Ferrone: „Bei der Zementproduktion zum Beispiel fällt nun mal CO2 an, das ist prozessinhärent.“

Eine interessante Frage im Zusammenhang mit der CO2-Kompensation durch die Landwirtschaft sei die nach der Tierproduktion und den Ernährungsgewohnheiten der Leute. „Global betrachtet, würde es wahrscheinlich die Emissionen senken, wenn die Menschen weniger Fleisch äßen. Ob das auch in Luxemburg der richtige Weg wäre – da bin ich mir nicht so sicher.“ Im Unterschied zur Milchproduktion, die „ziemlich intensiv“ erfolge, sei die Fleischproduktion hierzulande bereits jetzt recht extensiv. Was hergestellt wird, sei qualitativ hochwertig, gerade wegen der extensiveren Viehhaltung. „Würde, mal angenommen, in Luxemburg mehr vegetarische Ernährung propagiert, würde man dem extensiver funktionierenden Teil der Landwirtschaft Potenzial nehmen. Gleichzeitig stiege vermutlich der Milchverbrauch, und der intensiver funktionierende Zweig würde betont.“

Und die Kondenssteifen der Flugzeuge? Für seinen PhD hatte Andrew Ferrone ermittelt, dass sie die Wirkung des aus den Triebwerken abgegebenen CO2 verdoppeln. Effizientere Turbinen seien leider keine wirkliche Abhilfe: Sie geben weniger CO2 ab, aber auch kältere Abgase, die mehr Kondensstreifen bilden. Was die Luftfahrtbranche „ausgesprochen ungern“ höre.

Peter Feist
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