Finanziell steht Hesperingen gut da. Aber ist die Gemeinde in Luxemburgs Speckgürtel fit für die Umwälzungen, die der Region bevorstehen?

Vorstadt-Feeling

d'Lëtzebuerger Land du 19.08.2011

So richtig ruhig ist es in Hesperingen im Sommer. Wenn ein Großteil der Bevölkerung aus den umliegenden Gemeinden in den Ferien ist und der Berufsverkehr an der Durchgangsstraße Route de Thionville nachlässt und dies den Anwohner sprichwörtlich Luft zum Atmen verschafft. Dann fahren Trecker durch die Straßen und man könnte meinen, alles wäre wie früher, als Hesperingen noch eine von Agrarwirtschaft dominierte Gemeinde war. Heute ist Hesperingen eine der reichen Gemeinden im so genannten Speckgürtel der Hauptstadt. Beschaulich geht es noch am „Hesper Beach“ zu, dem Schwimmbecken im Park, in dem die Daheimgebliebenen ihr Mütchen kühlen können. Viele sind es nicht an diesem Morgen, der trübe August hat nur die ganz Mutigen in den Pool gelockt.

Einige hundert Meter weiter östlich, im Rathaus, ist die Stimmung trotzdem heiter. „Wir sind optimal aufgestellt“, sagt Marc Lies von der CSV nicht ohne Stolz. Der 42-Jährige hat das Amt von seiner Vorgängerin Marie-Thérèse Gantenbein im Frühjahr 2009 übernommen, nachdem die beliebte Politikerin sich aus Altersgründen aus der Politik zurückgezogen hatte. Eine der ersten Amtshandlungen des gelernten Bankers und Ex-Sparkassenangestellten war es, die Finanzverwaltung personell zu verstärken und die Konten nach unnötigen Ausgaben zu durchforsten. „Dass wir so gut da stehen, liegt daran, dass die Einnahmen aus den Gewerbesteuern höher ausgefallen sind als erwartet“, erklärt Diane Adehm, Gemeinderätin und Finanzexpertin. Vor allem die in Howald ansässigen Fonds und Firmen haben Geld in die Kasse gespült. So konnte der Reservefonds weiter aufgestockt und konnten ausstehende Kredite zurückgezahlt werden.

Ein gutes Händchen bei den Gemeindefinanzen bescheinigt auch die politische Opposition. Aber nicht ohne Kritik. Was Diane Adehm und Marc Lies als „vorsichtige Investi-tionspolitik in wirtschaftlich schwierigen Zeiten“ verteidigen, stellt den grünen Gemeinderat Roland Tex nicht zufrieden: „Der Gemeindeführung fehlt es an Visionen.“ Als der schwarz-blaue Schöffenrat im Dezember das neue Budget vorstellte, enthielten sich die Grünen und die LSAP beim Votum: Der Haushaltsplan sei „stabil“, aber ohne „Einfallsreichtum“, kritisierte damals die LSAP-Gemeinderätin Viviane Hoffmann-Rhein.

Ein Dorn in den Augen der Opposition ist die Wohnungspolitik. Der in Alzingen wohnhafte Bahnangestellte Roland Tex erinnert daran, dass er selbst als junger Erwachsener zugezogen war. „Ohne die damalige aktive Bautenpolitik wäre mir das nicht möglich gewesen. Ich möchte, dass wir das auch unseren jungen Generationen bieten können.“

Dass ausgerechnet der Wohnungsbau Stein des Anstoßes sein soll, erschließt sich für den Ortsfremden nicht sogleich. Neue Apartmentblöcke und Einfamilienhäuser zeugen von eifriger Bautätigkeit: Hinterm Park ist eine neue Siedlung entstanden, und am Fentinger Ortsausgang wurde ebenfalls gebaut. Laut Observatoire de l’habitat ist Hesperingen nach Bartringen die Gemeinde mit der größten Bauaktivität (106 Wohnungen zwischen 2004 und 2007). Allerdings: Der meiste Wohnraum wurde von privaten Bauherren gebaut – und ist entsprechend teuer. Sozialer Wohnungsbau, kritisiert die politische Opposition, sei in Hesperange Mangelware.

Marc Lies nennt zwei Bauprojekte, die in den nächsten zwei Jahren neun Wohnungen bringen sollen, aber viel mehr vorzuweisen hat der Jungpolitiker, der an seiner Partei vor allem das „S“ schätzt, in diesem Bereich nicht. „Es ist schwer, geeignetes Bauland zu finden“, sagt er. Der Wohnungsbaupakt, den auch Hesperingen unterschrieben und der der Gemeinde mehr als drei Millionen Euro zusätzlich eingebracht hat, sieht zwar Instrumente wie das Vorkaufsrecht oder Steuern auf brachliegendes Bauland vor. Aber wie fast alle Gemeinden im Land hat auch der Hesperinger Schöffenrat bisher keinerlei Anstrengungen unternommen, um eine Spekulationstaxe einzuführen. „Das ist ein sensibles Thema“, sagt Marc Lies und begründet seine Zurückhaltung mit „fehlenden Vorbildern“. Nur: Wenn die großen Gemeinden es nicht vormachen, wer dann? Vor vielen Residenzen stehen teure Autos der gehobenen Mittelklasse, bei anderen sind die Jalousien auch am helllichten Tag herunter gelassen. Ferien oder ab nach Hause, nach Belgien, Deutschland oder Frankreich.

Dass die Gemeinde zur langweiligen Schlafgemeinde verkommen könnte, treibt auch alteingesessene Hesperinger um. Wer etwa Anwohner in Fentingen zum Bevölkerungswachstum befragt, bekommt Klagen über die gewachsene Anonymität zu hören. Lies’ Parteikollegin Adehm teilt die Sorgen von Bevölkerung und Opposition: „Wir müssen auf das soziale Gleichgewicht aufpassen“, findet sie. Immerhin: Im Gemeindeverbund Dici (Développement intercommunal et intégratif), in der sich die Gemeinden Bartringen, Hesperingen, Leudelingen, Strassen und die Stadt Luxemburg zusammengeschlossen haben, um ihre Siedlungs- und Standortpolitiken zu koordinieren und zu planen, hat sich Hesperingen engagiert, einen Handlungsrahmen zur „Förderung urbanen Wohnraums“ zu erstellen. Was damit genau gemeint ist, wurde bei der Vorstellung der Leitlinien im Juli nicht gesagt, aber Bürgermeister Marc Lies verrät so viel: Im Rahmen eines Katasters sollen Baulücken in der Gemeinde ermittelt und, in einem zweiten Schritt, bebaut werden: „Denn da liegen ja schon Infrastrukturen bereit.“ Eine gemeinsame Vorgehensweise in punkto Spekulationssteuer scheint für den Verbund aber keine Priorität zu sein.

Auf einer Bank im Park sitzt ein älterer Herr. Seinen Namen will er nicht sagen, aber über die Gemeindepolitik mehrt er sich gerne aus. Die Wohnungsnot sei kein spezielles Hesperinger Problem, „das gibt es überall“, meint er achselzuckend. Mehr Sorgen macht ihm der Straßenverkehr. „Da drüben“, und er zeigt in Richtung Hauptstraße, „geht an vielen Tagen gar nichts mehr“, sagt er mit grimmiger Miene. „Und über eine Umgehungsstraße wird seit Jahrzehnten diskutiert.“

Bevölkerungswachstum, steigendes Verkehrsaufkommen, der Ausbau der umliegenden Gewerbezonen sind Sorgen, die nicht nur Hesperingen umtreiben, sondern auch die anderen Anrainergemeinden. Der Ausbau des „Ban de Gasperich“ wird, da sind sich Politiker und Experten einig, Auswirkungen auch auf den Verkehr durch Hesperingen haben. Eingekeilt zwischen zwei Hauptverkehrs-adern gibt es wenig Ausweichmöglichkeiten, jedenfalls keine schnellen. Schon heute wälzen sich Tag für Tag Blechlawinen durch die Ortschaft und beeinträchtigen die Lebensqualität derer, die in den angrenzenden Straßen wohnen.

Die Arbeiten am Masterplan Gasperich sind voll im Gange. Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen für den Peripheriebahnhof, der Howald an die Stadt anbinden soll. Auf einen Termin festlegen, wann auch das so genannte Midfield zwischen Howald und Gasperich entwickelt sein wird, will sich Bürgermeister Marc Lies lieber nicht. „Das hängt auch vom zuständigen Ministerium ab“, sagt er ausweichend.

Angesichts des Mammut-Entwicklungsprojektes, bei dem Arbeitsplätze, Gewerbeflächen und Wohnraum für tausend neue Einwohner entstehen sollen und das umwälzende Folgen für die Stadt und die Randgemeinden haben wird, erstaunt es schon, dass die Opposition dies nicht stärker ins Fenster stellt. Die Grünen etwa kritisieren zwar die „Ideenlosigkeit“ bei der Zukunftsplanung, richten ihre Kritik aber eher auf Detailaspekte wie „zu späte“ Investitionen in die Kinderbetreuung – in Alzingen und Itzig werden Maisons relais neu- und ausgebaut, die dann etwa die Hälfte des Betreuungsbedarf abdecken sollen – oder eine „unausgegorene, Energie- und Klimapolitik“. Außer der Aussage „Wachstum kann man planen“, sagt Roland Tex im Land-Gespräch selbst nicht viel Konkretes.

Vielleicht liegt das auch daran, dass dafür die Fachkenntnis beziehungsweise die Informationen fehlen. Zwar bescheinigen sämtliche Parteien dem Bürgermeister eine transparente Politik. Sitzungs- und Budgetberichte sind im Internet zu lesen, die Opposition gesteht der Gemeindeführung zu, ein offenes Ohr für ihre Anliegen zu haben. Aber ob Studien beispielsweise zur Bauten- oder Verkehrspolitik vorliegen, wissen sie nicht. „Wir stellen uns Bürgerpartizipation anders vor“, sagt Roland Tex.

Hier scheint sich, allem modernen Anstrich zum Trotz, nicht wirklich viel geändert zu haben. Nach der Restrukturierung der Gemeindeverwaltung wurde ein SMS-Dienst eingerichtet, der es Hesperingern erlaubt, zeitnah Nachrichten über Bauarbeiten oder Verkehrsumleitungen auf dem Mobiltelefon zu empfangen. Aber wenn es darum geht, die Bevölkerung in die Zukunftsgestaltung der Gemeinde einzubinden, setzt der Schöffenrat eher auf traditionelles Ex-Cathedra. Beim Schöffenrat auf Tour erklärt die Herrenriege ihre Vorhaben, die Einwohner dürfen Fragen stellen, für Nicht-Luxemburger wird ins Französische übersetzt. Echte Bürgerbeteiligung, zumal bei einer so heterogenen Bevölkerung wie in Hesperingen, wo mittlerweile jeder Zweite keinen luxemburgischen Pass hat, sieht anders aus.

Was die Teilnahme von Nicht-Luxemburgern an den Gemeindewahlen angeht, steht Hesperingen mit über 800 Einschreibungen in die Wählerlisten besser dar als andere Gemeinden. Aber innovative Ideen zur politischen Partizipation fehlen. Warum nicht zu wichtigen Zukunftsfragen Bürgerforen organisieren oder eine Zukunftswerkstatt, wie sie den Grünen vorschwebt? Und statt über die Schwierigkeit zu klagen, Nicht-Luxemburger für die Gemeindepolitik zu interessieren, warum nicht von Anfang an einen Beauftragten vorsehen, der die Brücke zwischen Alteingesessenen und Wahl-Hesperingern schlagen könnte? Hesperingen ist nicht Köln, aber angesichts des hohen Anteils nicht-luxemburgischer Einwohner wirken die Bemühungen der Politiker – nicht nur in Hesperingen – diesbezüglich einfallslos. Auf Anregung der Opposition wurde eine verstärkte [-]Zusammenarbeit mit der Ausländerhilfeorganisation Asti vereinbart. [-]Neben Luxemburgisch-Sprachkursen und Übersetzungsdiensten stehen auch gemeinsame kulturelle Events im Programm. Ein Anfang.

Dass das genügt, um die neuen Einwohner auch längerfristig für die Gemeindepolitik zu gewinnen und vielleicht, eines Tages, politische Mehrheiten zu beeinflussen, ist fraglich – und vielleicht auch nicht von jedermann erwünscht. Gemeinderätin Diane Adehm ist derweil zuversichtlich, dass ihre Partei am 9. Oktober gut abschneiden wird. Störfeuer könnten vor allem aus einer Richtung kommen: Den größten Zugewinn bei den Wahlen 2005 erzielten die Grünen, die ihren Stimmenanteil auf 21 Prozent nahezu verdoppelten. Noch ein Beleg, wie rasch sich die Zeiten ändern.

Ines Kurschat
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