Si ce n'est toi

A strange thing

d'Lëtzebuerger Land du 09.06.2005

In Luxemburg suchen viele kleine Bühnen nach Stücken. Nach Stücken, die ihren räumlichen (und finanziellen) Gegebenheiten entsprechen: zwei bis drei Schauspieler, ein Tisch, zwei Stühle, wenig Technik. Hat schon jemand sie gezählt, die Eine-Frau-ein-Mann-ein-Tisch-zwei-Stühle-Bühnen? Kulturfabrik, Kasemattentheater, Centaure, TOL, TNL, Neumünster und... Die Bühnen suchen Intendanten, die Intendanten suchen Stücke, und gar verzweifelt sucht man manches Mal das Publikum. Das immer gleiche Publikum hat nach einigen Saisons den Reigen der zeitgenössischen Dramatiker durchlaufen, hat die immer gleichen Schauspieler in unterschiedlichen Rollen in unterschiedlicher Tagesform erlebt. Und weiß nun zu entscheiden zwischen dem gängigen Luxemburger Mittelmaß und den wahren Höhepunkten der kleinen Theater. Spätestens seit das Große Theater der Stadt Luxemburg wieder großes Theater bietet, müssen sich die Kleinen mit ihren Pinter-, Tschechow-, Beckett-Inszenierungen mächtig ins Zeug legen, um die Vorstellungen beim nun mehr wählerischen Publikum zu verkaufen. Eine der beiden großen Bühnen des Landes, die des Escher Stadttheaters, hat sich für ein Eine-Frau-zwei-Mann-Stück ganz klein gemacht. Zu Ende der Saison empfängt man die Zuschauer zu einer Inszenierung auf der Bühne des großen Saals. Auf dem Programm steht Si ce n'est toi des englischen Dramatikers Edward Bond. Auf der Bühne stehen ein Tisch, zwei Stühle, für drei Schauspieler. In Szene gesetzt wurde das Stück von Carole Lorang, die mit dem Dramaturgen Mani Müller zusammenarbeitet. Die beiden haben sich sicherlich recht lange mit dem Werk des bekannten britischen Autors auseinandergesetzt, bis sie sich an die Inszenierung des komplexen Stoffs heranwagten. Edward Bond jagt sein Ruf voraus. Bond gilt als düster, als schwierig, als brutal. Der Ruhm des 1934 geborenen Autors gründete sich zuerst auf einen Skandal. Am 3. November 1965 erschütterte Bond das Londoner Publikum mit der Erstaufführung von Saved. Eine gewisse Art der Zensur hatte schon vorher zugeschlagen, weil man die im Stück enthaltene Szene der Steinigung eines Säuglings fürs Theater verbieten wollte. Die Kritiker waren "horrified", das Publikum verließ den Saal scharenweise. Doch es gab kein Zurück mehr. Bond hatte den Stein des Anstoßes geworfen, die Diskussion um das Sein und den Sinn des modernen Theaters war entfacht. Seit jener Zeit bemüht sich der emsige Autor um Erklärungen zu seinen Stücken. Die jeweiligen Regisseure seiner Stücke versuchen, die dunkle Dramen-Welt Bonds dem Publikum zu vermitteln, während die Kritiker bis heute an jeder neuen Kreation des Engländers Kritik anbringen. Zumindest sollte man sich mental ein bisschen auf Bond einstellen, bevor man sich zum Kulturgenuss zurücklehnt. Si ce n'est toi ist dunkle Zukunftsprognose: im Jahre 2077 situiert, erlebt man eine Welt, in der eine totalitäre Macht die Menschen jeglicher Privatssphäre, ihrer eigenen Vergangenheit und der klassischen Familienstruktur beraubt hat. Sara (Bach-Lan Lêbathi) lebt mit ihrem Mann Jams (Frank Sasonoff), einem autoritätshörigen Aufsichtsbeamten, in einem unpersönlichen Lebensraum. Ein Leben nach Vorschrift, ein Dasein unter der permanenten Kontrolle der Regierungsmacht. In dieses reglementierte Leben dringt ein Fremder ein. Der ungebetene Gast bringt in seinem Gepäck die Horrorvisionen der Außenwelt mit. Und ein (verbotenes) Bild aus der Vergangenheit: Ist Grit (Olivier Foubert) Saras Bruder? Edward Bond nannte das im Jahre 2000 entstandene Stück "a strange thing: a combination of farce and something else". Eine Erklärung, die sich jeder Erklärung entzieht. Auch von Komik spricht Bond in Texten im Zusammenhang mit "Have I none". Er vermutet, dass der Mensch in jener Zukunft sein Heil in einem Leben gefunden hat, in dem seine eigene Vergangenheit keine Rolle mehr spielt und die Entscheidungen von außen getroffen werden. Objektive Kritik an der Escher Inszenierung fällt schwer angesichts der Komplexität des Stoffs. So viele Fragen wirft das Thema auf, so wenig Antworten gibt der Autor. So unreal, und auch so unrealistisch, scheint die Szenerie. Manche Szenen sind brillant (und ansatzweise komisch), doch schnell wird man wieder mit dem verloren wirkenden Agieren der einzelnen Personen konfrontiert. Die Motivation der Charakteren zu verstehen, ist ein fast unmögliches Ansinnen für den Zuschauer. Warum ist die Frau der Zukunft ein so unterwürfiges Weib? Was trieb den vermeintlichen Bruder zu seiner gefahrvollen Reise? Wie kam es zu dieser unheilvollen Machtstruktur, die Massenselbstmorde verursacht? So viel Sekundärliteratur Bond auch zum Verständnis aufbieten mag, seine Gedankengänge vom Heute zur Zukunft sind nicht wirklich nachvollziehbar. Natürlich darf Theater aufrüttelnd sein, schwierig sein, nachdenklich sein. Doch es fehlt irgendwie "something else", damit die "farce" greift. Mag sein, dass die Inszenierung in französischer Sprache auch nicht ganz unproblematisch ist. Edward Bond im Original ist wahrlich mehr subtile Komik.

Si ce n'est toi von Edward Bond, Inszenierung von Carole Lorang, Dramaturgie von Mani Müller, Szenographie von Jeanny Kratochwil, mit Bach-Lan Lêbathi, Frank Sasonoff und Olivier Foubert. Weitere Vorstellungen am 16. Juni und am 17. Juni im Escher Stadttheater. Reservierung: Tel : 54 03 87.

 

 

Anne Schroeder I
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