Metall-Gewinnung aus Pflanzen wird zu einer Ergänzung für traditionellen Bergbau

Blüh auf!

d'Lëtzebuerger Land du 31.05.2024

Prächtig leuchtende, süß duftende Blütenpolster, dazwischen Bergleute mit Unkrautharken und Gartenscheren – sieht so die Zukunft des Bergbaus aus? Tatsächlich will der Stahlhersteller Aperam jetzt Nickel vom Acker gewinnen. Jäten und Pestizide sind dabei wahrscheinlich nicht einmal nötig. Spezielle Pflanzen kommen gut allein zurecht: Metallophyten wachsen auf nährstoffarmen Böden, wo sonst kein Kraut gedeiht, und ihre Blätter sind für Fressfeinde ungenießbar. Vielleicht fallen beim Verbrennen der Biomasse sogar noch Ökostrom und Dünger für andere Gewächse an. Langsam wird es auch Zeit für umweltfreundliche Metall-Ernte.

Als die Botanikerin Ornella Vergnano anno 1948 in der Toskana Pflanzen fand, die pro Gramm Trockengewicht bis zu 10 Milligramm Nickel enthielten, wollte das niemand glauben. Schwermetalle sind für die meisten Lebewesen tödlich, einmal abgesehen von Spurenelementen. Etwas besser erging es dem Studenten Alan Baker, der in den 1970er Jahren in stillgelegten Bergwerken bei Sheffield auf verseuchten Böden Gewächse bemerkte: Er fand in dem Agrarwissenschaftler Rufus Chaney immerhin einen Mitstreiter, der keine Rechenfehler vermutete.

Baker und Chaney entwickelten ein Verfahren, vergiftete Böden mit Hilfe von Pflanzen für die Landwirtschaft nutzbar zu machen und dabei Metalle zu gewinnen. Selbst dieser doppelte Gewinn lockte aber lange niemanden. Erst im Jahr 1995 konnte mit Geld der US-Firma Viridian Resources das „Phytomining“ patentiert werden. Dann passierte… gar nichts. Die Investoren nutzten die Methode nicht, blockierten jedoch die weitere Entwicklung. Erst als 2015 das Patent auslief, kam wieder Schwung in den vegetabilen Bergbau.

Weltweit forschen nun mehr als 20 Arbeitsgruppen zu Pflanzen, die nicht nur organische Sprengstoff- oder Erdöl-Rückstände, sondern auch Metall-Ionen, zuweilen sogar radioaktives Cäsium aus der Erde ziehen und in ihren Zellen einlagern können, ohne selbst Schaden zu nehmen. An der Universität für Bodenkultur in Wien, der Universität Montpellier, im EU-Projekt Plantmetals und anderswo werden jetzt zum Beispiel Herbarien mit XRF-Röntgenfluoreszenz-Spektrometern gescannt. Wenn sich in Eukalyptus-Blättern Goldpartikel finden, liegt der Verdacht nahe, dass der Baum mit seinen tiefen Wurzeln an eine Goldader gestoßen ist.

Mittlerweile sind über 700 Hyperakkumulator-Pflanzen bekannt, vor allem aus den Familien der Kreuzblütler und der tropischen Phyllanthaceae. Von Natur aus wachsen sie gerne auf Serpentinböden, die reich an Chrom, Kobalt und anderen giftigen Wertstoffen sind. In ihren Blättern kann mehr Metall konzentriert sein als in der Erde unter ihnen. Forscher der Universität Bochum fanden an der tschechischen Grenze Hallersche Schaumkresse (Arabidopsis halleri) mit einem Trockengewicht-Anteil von 5,4% Zink und 0,3% Cadmium. Antony van der Ent, ein Wissenschaftler der Universität Wageningen, entdeckte in Malaysia an den Abhängen des Kinabalu-Bergs einen Strauch, dessen Saft von Metall intensiv blaugrün gefärbt wird: Die Blätter enthalten 2,8 Gewichtsprozent Nickel. Zu Ehren der Phytomining-Pioniere taufte er das erstaunliche Geschöpf Phyllanthus rufuschaneyi.

Das EU-Projekt Life-Agromine, das von der Université de Lorraine koordiniert wurde, hat von 2016 bis 2021 einen ganzen Phytomining-Zyklus praktisch erprobt, und zwar für die bisher am besten erforschte Nickel-Gewinnung. Als besonders geeignet erwies sich dafür Alyssum murale: Mauer-Steinkraut blüht sehr schön und verbreitet sich zunehmend als Zierpflanze – galt auf Feldern aber bislang nur als wertloses Unkraut. Von Versuchsparzellen in Griechenland, Spanien, Österreich, vor allem aber in Albanien wurden pro Jahr gut 2 Tonnen Biomasse geerntet und verbrannt. Das zur Verwertung gegründete Start-up Econick hat dann aus der Asche mit Schwefelsäure jeweils etwa 15 Kilo hellblaue Nickelsalze und graues Nickeloxidpulver extrahiert.

Fazit der Phytominer aus Nancy: Die heute bekannten Metallophyten können mit Spitzhacke, Sprengstoff und Bagger preislich nicht konkurrieren. Sie sind aber „eine nicht-zerstörerische Alternative“ zu verwüsteten Mondlandschaften und giftigen Abraumhalden. Sie haben auch wirtschaftlich „ein starkes Potential“, wenn hochwertige Metalle, etwa Seltene Erden, in geringen Konzentrationen über große Flächen verteilt sind. Herkömmlicher Nickel-Bergbau lohnt sich derzeit bei Erzen ab ungefähr 1 % Nickelgehalt - die Asche von Metallophyten enthält 25 bis 30 %. Aufzucht, Ernte und Verarbeitung von Pflanzen ist zwar nicht umsonst, andererseits entfallen Kosten für Abfallentsorgung, Boden-Entgiftung, Wasserreinigung und Renaturierung.

Der erste Kunde von Econick war die Kristallerie Daum. Bei einer kleinen Glasskulptur à 540,- Euro sollte es auf einen Zuschlag für umweltfreundliche Zutaten nicht ankommen. Tatsächlich ist die mit Bio-Nickel grau gefärbte Schildkröte „Luth“ nun zumindest im Online-Shop ausverkauft. In der freien Wildbahn wird Nickel allerdings nicht in erster Linie für Luxusprodukte gebraucht, sondern für die Stahlveredelung, zum Beispiel für Batterien, Turbinen oder auch Münzen. Die Hersteller von Legierungen sind weit von Endkunden entfernt. Vielleicht nehmen sie trotzdem einen Bio-Aufpreis in Kauf, wenn Nebenprodukte wie Kali-Dünger oder Abwärme einen Ausgleich schaffen. Oder sie arbeiten daran, die Kosten für Öko-Metalle zu senken.

Um 100 Kilo rostfreien Edelstahl herzustellen, braucht Aperam 8 Kilo Nickel. Aperam besitzt keine eigenen Minen. Der Nickelpreis schwankt wild. Legendär der „Nickel-Squeeze“ vom März 2022: in zwei Handelstagen eine Verteuerung um 250 %. Dass die Börsen in London und Chicago neuerdings russisches Nickel ganz ausschließen, beruhigt die Versorgungslage nicht unbedingt. Dazu kommt ab 2026 das „CO2-Grenzausgleichssystem“ der EU (CBAM). Aperam will „klimaneutral“ werden und erprobt in Brasilien bereits Holzkohle. Da erscheint Phytomining gar nicht mehr so verrückt: Im vergangenen Jahr hat der in Luxemburg ansässige Konzern mit Econick ein Joint-Venture namens Botanickel gegründet.

Bis zum Jahr 2030 will Aperam vollständig auf Recycling- und Bio-Nickel umsteigen. Dabei sollen Metallophyten rund ein Viertel des heutigen Primär-Nickels ersetzen. Die Asche der verbrannten Biomasse soll von Recyco, einer Aperam-Filiale, in Saint-Denis bei Paris zu Ferronickel verarbeitet werden. Botanickel will dafür „auf einigen 10.000 Hektar“ Metallophyten anbauen und „einige hundert Kilo Nickel pro Hektar und Jahr“ ernten. Wo welche Pflanzen geerntet werden, will Aurélien Buteri, der Leiter des Projekts, nicht genauer verraten. Botanickel hat aber auf der Insel Borneo eine Filiale gegründet: Wer sich auf die gerade ausgeschriebene Stelle als „Metal Farming Plantation Manager“ bewerben will, sollte bereit sein, seinen Wohnsitz nach Turuntungon beim Kinabalu-Berg zu verlegen.

Offen bleibt vorerst die Frage, wie grün der Bio-Bergbau wirklich wird. Bereits heute wird ein Fünftel allen Kupfers mit „Biomining“ gewonnen: In Chile und Finnland wird Erz zu riesigen Halden aufgeschichtet und dann mit Hilfe von Bakterien ausgelaugt. Greenpeace ist allerdings dagegen, denn kontaminierte Wasserströme lassen sich schlecht kontrollieren. Gentechniker machen sich weniger Sorgen zu Kollateralschäden: Besonders Amerikaner und Chinesen arbeiten an Metallophyten mit mehr Biomasse, schnellerem Wachstum und höherem Metallgehalt. Die Designer Giovanni Innella und Gionata Gatto planen auch schon für den Bio-Goldrausch: In ihrem Projekt „GeoMerce“ haben sie an Hyperakkumulator-Pflanzen Metallsensoren befestigt, die gleichzeitig die Preise der Londoner Metallbörse abrufen und so den aktuellen Wert der Gewächse berechnen. Der Blumentopf wird zum Finanz-Asset.

Südlich von Thionville wurde in Uckange beim ehemaligen Hochofen U4 ein Versuchs- und Demonstrationsfeld zu Bodensanierung und Phytomining angelegt:

Martin Ebner
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