Auf dem Land

Küss mich (wach)

d'Lëtzebuerger Land du 30.11.2006

Spannend, sehr spannend, "most exciting" scheint sich das britische Drama seit Jahrzehnten zu entwickeln – glaubt man der Fachliteratur oder forscht man im Internet-Sumpf. So "exciting", dass sich die Luxemburger Klein- und Kleinstbühnen immer wieder zu Inszenierungen zeitgenössischer englischer Autoren inspirieren lassen. Edward Bond, Harold Pinter, Sarah Cane – und nun ist auch die Begeisterung für Martin Crimp nach Luxemburg hinübergeschwappt. Da trifft es sich gut, dass die Dramen kurz, knapp und mit wenigen Schauspielern zu bewerkstelligen sind. Für Luxemburg ungünstig ist lediglich die Originalfassung der Werke. Englisch! (Wer versteht schon Englisch im kosmopoliten Provinzstädtchen?) Glücklicherweise ist das Theaterpublikum in den Nachbarländern ebenso wenig erpicht auf anstrengende Originaltexte britischer Dramatiker und so sind die deutschen und französischen Übersetzungen verfügbar. So wie andere Exportartikel verlieren Theaterstücke durch den Transport und die EU-genormte Verpackung (sprich: die Übersetzung) an Frische und an Biss. Was doch so "exciting" schien, ist plötzlich leise und fad. Auf dem Land ist die erste Inszenierung eines Martin-Crimp-Stücks in Luxemburg. Martin Crimp, Jahrgang 1956, sei "einer der bedeutendsten Exponenten der neuen englischen Dramatik" – laut Beipackzettel des Kasemattentheaters. Leider wirkt Germain Wagners Regiearbeit vor allem uninspiriert. Eine Theatervorstellung ohne Höhepunkte, ohne Glanzlichter der Schauspielkunst in gewollt fadem Bühnenbild. Gepflegte Langeweile beim Publikum. Was an Martin Crimps Drama spannend sein könnte, wird durch die seltsam seichte Inszenierung flach gebügelt. Auf dem Land trifft das Ehepaar Richard und Corinne auf die junge Rebecca. Diese scheint der Arzt Richard zufälligerweise am Straßenrand aufgegabelt zu haben, doch nichts ist letztendlich so wie es scheint. In der Folge der einzelnen Erzähl-Bilder schleicht sich langsam der Zweifel ein, Zweifel an Gesagtem und Verschwiegenem, an Wunsch und Realität. Bei Crimp wird aneinander vorbei geredet, die Realität schimmert zwischen den Zeilen durch. Letztendlich bleibt jeder der Protagonisten in seiner eigenen Wahrnehmung gefangen. Einsam sind sie im Stück, hölzern und ohne Relief auf der Bühne. Wut liegt in der Luft, ohnmächtige Wut. Zum Ausdruck kommt sie nicht. Auch als es zur Konfrontation mit der wahren Natur der Rebecca kommt – sie war die heimliche Geliebte des Arztes – bleibt Auf dem Land wie in der Provinzstadt: ruhig, und mit wenig Tiefgang. Dass es Crimp dabei um Existenzängste, menschliche Obsessionen und Verrat geht, bleibt irgendwo zwischen Absicht und Inszenierung stecken. Die subtilen Spannungsbögen, die sich zwischen den Protagonisten abzeichnen müssten, bleiben zu schwach in der Darstellung. Martin Crimp bietet dem Zuschauer keine klassische Erzählung als Aufhänger, die Personen kommen aus dem Nichts und sprechen in knappen Worten nur im Hier und Jetzt. Der Ausdruck kommt – oder kommt nicht – aus der Körpersprache und der Darbietung der spröden Textzeilen. Groteske Situationen und subtiler Witz gehören zu den Stilmitteln: "Küss mich" – "Ich hab dich schon geküsst". Dass es nicht der großen Mittel bedarf um ein "kleines" englisches Drama überzeugend auf die Bühne zu bringen, hatte Frank Hoffmann auf eben jener Bühne des Kasemattentheaters mit dem Harold-Pinter-Stück Asche zu Asche eindrucksvoll bewiesen. Damals, vor zwei Jahren, war Germain Wagner "nur" Schauspieler und noch nicht Regisseur. In der Darstellung des Devlin in Asche zu Asche war er damals hervorragend.

Auf dem Land von Martin Crimp, inszeniert von Germain Wagner, mit Stephan Lohse, Barbara Michel und Milla Trausch; weitere Vorstellungen im Kasemattentheater heute Abend, sowie am 2., 5., 6., 7. und 8. Dezember, jeweils um 20 Uhr. Tel : 291 281.

 

Anne Schroeder I
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