Mit Marco Koeune leitet erstmals ein Bio-Bauer die DP-nahe Baueren-Allianz. Im Wahlkampf könnte das dem Öko-Image des Premiers behilflich sein

Blau und bio

Marco Koeune wünscht sich eine gemeinwohlorientierte Landwirtschaft und ein Ernährungsministerium
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 04.08.2023

Auf dem Hof in Harlingen hängt der Bauch eines Lamms zwischen seinen Hinterbeinen. Der Darm ist gerissen. Das junge Tier kann nicht mehr essen – es muss eingeschläfert werden. Zehn Minuten später trifft die Tierärztin ein. „Auch das gehört zu unserem Beruf“, sagt Marco Koeune. Seit einem Monat präsidiert er die Baueren-Allianz und seit den letzten Kommunalwahlen im Juni ist er DP-Bürgermeister von Harlingen. Dort liegt sein Biohof A Mechels, der seit 1998 bio-zertifizierte Lebensmittel herstellt. Marco Koeune erlebte das Auf und Ab des Agrarsektors von klein auf. Seit Dezember werden in A Mechels keine Kühe mehr gemolken. Als die Kühe allesamt an einem Tag den Betrieb verließen, war es für eine kurze Zeit, als hätte der Hof seine Seele verloren, erinnert er sich. „Das war das, was ich seit meiner Kindheit kannte – jeden Abend die Kühe von der Wiese zum Melkstand treiben.“ Der Landwirt hat ein helles Hemd und eine dunkelblaue Jeans für den Fototermin mit dem Land angezogen. Auf seinem Kopf trägt er eine Kappe mit der Aufschrift „Mind Trip“.

Finanziell und arbeitstechnisch war die Milchkuh-Haltung nicht mehr tragbar. Dabei hatten sie in Harlingen noch in einen Melkroboter investiert. Überhaupt betrachtet der Allianz-Präsident die Entwicklungen in der Milchwirtschaft mit gemischten Gefühlen. Zu viel Rohmilch gehe unverarbeitet über die Grenze; für die hiesigen Bauern bleibe kein Mehrwert hängen. Darüber hinaus ist der Futterbedarf bei Milchkühen hoch. „Die Holstein-Friesian werden heute vor allem mit eiweißhaltigem Sojaextraktionsschrot gefüttert, das aus Brasilien importiert wird. Das heißt jeder Milchbetrieb zählt eine Art Außenstelle in Brasilien“, rechnet Marco Koeune vor. Er setzt heute auf eine vielfältigere Bewirtschaftung. Vor ein paar Wochen sind Wasserbüffel aus der Eifel auf dem Hof eingetroffen. Ihr selektives Fressverhalten hat positive Auswirkungen auf die Biodiversität und beugt Verbuschungen vor. Dadurch bleiben nasse Standorte offen, die von Vögeln als Brut- oder Rastplatz genutzt werden können. Das Hauptstandbein des Hofes bildet jedoch nicht die Nutztierhaltung, sondern der Anbau von Dinkel, Brau- und Brotweizen. Marc Becker ist seit fünf Jahren sein Assoziierter. Mit seiner Lebensgefährtin Ghislaine Franck betreibt er zusätzlich einen Reiterhof mit Pferdepension.

2009, 2013 und 2018 war Marco Koeune DP-Kandidat für die Parlamentswahlen; für 2023 wurde er allerdings nicht aufgestellt. Camille Schroeder, der 35 Jahre lang die Bauerngewerkschaft leitete, nahm zweimal als DP-Kandidat am Wahlkampf teil. Laut ihren Statuten ist die Allianz parteiunabhängig und gibt keine Wahlempfehlung für Oktober ab. Die Nähe zu den Bloen ist aber unübersehbar. Auf der Titelseite der Zeitschrift Allianz-Info von diesem Juli wird Xavier Bettel zitiert: „Zesumme suerge mer derfier, dass de Secteur agricole och an Zukunft attraktiv bleiwt a passe gläichzäiteg op eist Klima an eis Natur an eis Ressourcen op.“ Im Januar wurde auf Initiative der Baueren-Allianz ein Agrarsommet abgehalten, um die Meinungsverschiedenheiten zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium sowie Bauerngewerkschaften rund um das Agrargesetz zu schlichten. Dabei setzte die Baueren-Allianz auf Xavier Bettel als Mediator zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Der Draht zum Premier läuft nicht über Umwege – auf der Facebook-Seite der Allianz lässt sich keine größere Veranstaltung der Gewerkschaft auffinden, auf der der Premier nicht in die Kamera lächelt.

Das Frontpersonal der DP steht häufig in der ersten Reihe. So auch auf dem vergangenen Sommerfest: Neben Xavier Bettel tauchen hier Fernand Etgen, Claude Lamberty, Max Hahn, Gusty Graas und André Bauler auf. Auch Luc Emering tummelte sich auf dem Sommerfest. Der DP-Schöffe und Bio-Bauer aus Dippach musste diese Woche den Vorsitz der Landjugend aufgeben, weil er auf der Zentrumsliste zur Wahl steht. Nachdem Xavier Bettel im Januar zwischen den unterschiedlichen Agrarparteien vermittelt hatte, zeigte sich Emering zufrieden. Im Herbst noch hatte er den Landwirtschaftsminister angegriffen: Falls das Agrargesetz nicht anders ausgerichtet werde, „dann muss damit gerechnet werden, dass der Sektor sich zeitnah wehren wird“. Und zwar auf eine Art, dass niemand den Minister um seinen Posten beneiden wird, drohte der Jungbauern-Präsident. Weitere Verbindungen ins DP-Lager bestehen über den DP-Bürgermeister von Mersch und ehemaligen Verkaufsleiter bei Total, Michel Malherbe. Dieser gestand Camille Schroeder einen Ölrabatt für die Mitglieder der Coop, der Allianz-Kooperative, zu. Um die Jahrtausendwende hatte der DP-Abgeordnete Mil Calmes (den man „de grénge Bloen“ nannte), mittels Marco Koeune ein offenes Ohr für die Belange der Baueren-Allianz. In den 1990-er und 2000-er-Jahren fing zudem der Agrarwissenschaftler und Landwirt Charles Goerens Stimmen aus Teilen der Bauernschaft für die DP ein. Da Landwirte sich als Unternehmer verstehen, bestand immer ausreichend Andock-Potenzial an die liberale Partei.

Die Baueren-Allianz etablierte sich 1988. Nachdem bereits 1984 der Fraie Lëtzebuerger Bauernverband (FLB) unter Roby Mehlen (damals noch CSV) anfing, gegen die Monopolstellung der Bauernzentrale aufzubegehren, organisierte sich die Allianz als dritte Gewerkschaft. Sie opponiere gegen den „mit eiserner Faust und einer gradezu legendären Verachtung für die politische Landesführung regierenden Bauernführer Berns“, schrieb damals d’Land. Die Baueren-Allianz vereine Milchproduzenten, die an die vom „Berns-Konglomerat“ einverleibte Luxlait lieferten und „die für die Befreiung ihrer Molkerei aus der Bauernzentrale-Umklammerung kämpfen“, so d’Land weiter. In diesem Spannungsfeld zwischen dem politisch-wirtschaftlichen Imperium unter der Führung von Mathias Berns und dem FLB, das teilweise auch ein Konflikt zwischen konservativen Kleinbauern und großen Härebaueren war, lancierte sich die Allianz als moderate Zwischenstimme – so das Eigenverständnis der jüngsten Gewerkschaft. Die Konflikte, die unter den Bauern als „de Baurensträit vun den 1980-er“ bezeichnet werden, sind seit 2008 passé. Seitdem bilden die drei Gewerkschaften eine Liste für die Wahlen der Landwirtschaftskammer. „Wir sind nur noch 1 692 Betriebe laut den Statec-Zahlen von 2021, da macht es Sinn zu kooperieren“, meint Marco Koeune.

Dennoch bestehen Unterschiede zwischen den Gewerkschaften.Während die Bauernzentrale suggeriert, Landwirt/innen aus post-industriellen Ländern seien auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig, positioniert sich die Allianz unter ihrem neuen Präsidenten vorsichtiger. „Die Regionalität ist die richtige Antwort auf die Globalisierung und den Klimawandel“, führt Koeune aus. Man müsse zurück zu einer Kreislaufwirtschaft, in der darauf geachtet wird, dass mehr Futter auf dem eigenen Standort produziert wird. „Ich will die Landwirtschaft meiner Kindheit allerdings nicht romantisieren – wir dürfen nicht rückwärtsgewandt denken.“ Trotzdem erinnert sich der Landwirt gerne an seine Kindheit und Jugend. Im Frühjahr und Sommer, wenn die Heuernte eingefahren wurde, saßen am Mittagstisch mindestens zwölf Personen. „Et war flott deemools. Haut sinn se zu manner an iessen an der Hee-Saison éischter eng Pizza um Trakter.“ Der Allianz-Präsident zeigt sich insbesondere optimistisch was die Entwicklung von Nischen angeht. In den letzten Jahren hätten experimentierfreudige Landwirte neue Märkte erschlossen: Daniel Rossler in Knaphoscheidt hat beispielsweise seine Schweineställe auf die Produktion von Bio-Pilzen umgebaut, und im Süden werden seit einigen Jahren Quinoa-Ernten erzielt. Der „Fësch-Haff“, der auf Aquaponik-Verfahren setzt, startete 2022 in Greiveldingen. Hierbei wird die Aufzucht von Wassertieren an den Gemüseanbau gekoppelt.

Dass das Betriebswachstum auf mehreren wirtschaftlichen Puffern beruhen kann, weiß auch der Biobauer Luc Emering: Er verarbeitet seinen Weizen zu Nudeln, die er selber vermarktet, wie auch Hähnchenfleisch und Feldgemüse. In einem „Background“-Gespräch hatte er von Claude Haagen verlangt, sich verstärkt für die Agri-Photovoltaik einzusetzen – die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Strom- und die Nahrungsmittelerzeugung. (Der Enthusiasmus ist mittlerweile gebremst, weil die Anlagen sehr teuer sind). Auch Camille Schroeder wollte sich auf neue Pfade lancieren. 1994 gründete er die Agroénergie SA, eine Genossenschaft zur Förderung von Biodiesel in der etwa 500 Bauern auf 200 Hektar begannen Raps anzubauen. Der „Energiewirt“ Camille Schroeder überzeugte die DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer ein Drittel ihrer Busflotte auf Rapsöl umzustellen. Das Biodiesel-Experiment wurde später eingestellt – der ökologische und ökonomische Nutzen blieb umstritten.

Wirtschaftlich gesehen, befänden sich die Landwirte in einem Hamsterrad, erläutert Marco Koeune. „Lebensmittel dürfen nicht zu teuer werden, da sie überlebensnotwendig sind – das ist eine politische Entscheidung.“ Zugleich beobachtet man, dass die Rohstoff-Lieferanten im Vergleich zu Lebensmittelverarbeitern weniger Marktmacht haben – deshalb gehen die hohen Margen an die Veredler und nicht an die Bauern. „Angesichts dieses Problems regt die Allianz im Vorfeld der Nationalwahlen an, zu überlegen wie ein gemeinwohlorientiertes Wirtschaften aussehen könnte, bei dem verstärkt Dienstleistungen erfasst werden, die über den Ertragswert hinaus gehen. Wir denken hier an Natur- und Wasserschutz.“ Im Klartext heißt dies, die im Sinne des Umweltschutzes Arbeitenden sollten höher bezuschusst werden. „Wir erhalten Subventionen, aber das Budget für die Ecoschemes und andere Umweltmaßnahmen ist nahezu ausgereizt – nun mangelt es den im Landbau Tätigen an Planungssicherheit.“ Der Bio-Hof A Mechels liegt im Einzugsgebiet des Stausees und für Koeune spielt der Trinkwasserschutz eine wichtige Rolle. Deshalb präsidiert er die 2015 gegründete Laku (Landwirtschaflech Kooperatioun Uewersauer), die Informationsveranstaltungen zum Thema der gewässerverträglichen landwirtschaftlichen Flächennutzung organisiert. Er habe Zeit, um sich in politische Dossiers einzuarbeiten, weil er ledig sei und sie zu zweit den Betrieb leiten: „Bei deene Jonke kënnt vill zesummen, wann ee wëll Zäit mat senge Kanner verbrénge, bléiwt keng Zäit méi, fir sech politesch ze engagéiren.“

Vor den Wahlen bringt die Baueren-Allianz überdies den Vorschlag eines Ernährungsministeriums ins Gespräch, in das die Landwirtschaft und die Landesplanung eingegliedert sein sollten. „Dieses Ministerium könnte beispielsweise eng mit Restopolis zusammenarbeiten“, erläutert Marco Koeune. Restopolis könnte möglicherweise auch als Abnehmer von lokal produzierten Milch- und Fleischersatzprodukten aus beispielsweise Lupinen und Erbsen fungieren, um so in einer ersten Anbauphase den Landwirten entgegenzukommen. „Ich bin kein Vegetarier, aber ich esse gelegentlich gerne vegetarisch“, sagt Marco Koeune. Er sei überdies dafür, dass Kantinengänger fleischlose Mahlzeiten neben den bekannten Fleischgerichten auffinden.

Am Neujahrsempfang der Allianz behauptete Xavier Bettel: „Die Politik und die Landwirte sind keine Gegner, sondern Partner, weil sie dieselben Ziele in der Klimapolitik verfolgen.“ Mit dem neuen Allianz-Präsidenten hat er einen grénge Bloen an seiner Seite, der das auch so sieht.

Stéphanie Majerus
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