Der Erziehungsminister will Eltern fördern, damit sie ihre Kinder stärker beim Lernen unterstützen. Doch auch Schulen müssen umdenken, sich weiter öffnen und auf Eltern zugehen

Reiche Eltern für alle!

d'Lëtzebuerger Land du 06.11.2015

Sie heißen Helikoptereltern und sie machen den Lehrern das Leben schwer, weil sie ihre Kleinen einfach nicht loslassen können. Zunächst schlug in Deutschland die Frankfurter Allgemeine Zeitung Alarm, dann widmete Der Spiegel seine Titelstory den Überfliegereltern. Sogar in Frankreich hat die Online-Zeitung Slate.fr überfürsorgliche Eltern, die jeden Schritt ihrer Kinder nervös kontrollieren und sie auf Höchstleistung trimmen, als Bedrohung für den Schulfrieden ausgemacht.

In Luxemburg dagegen klingt der Tenor, wenn in der Öffentlichkeit über Eltern gesprochen wird, meistens anders: Nicht über zu viel Einsatz für die Kleinen, sondern über zu wenig Interesse wird geklagt. Eltern würden sich nicht genügend in die Erziehung einbringen und ihre Kinder beim Lernen zu wenig unterstützen, so der Vorwurf von Schule und Politik. Internationale Studien wie die OECD-Bildungsstudie Pisa, aber auch nationale Analysen wie der Bildungsbericht 2015 zeigen: Das Elternhaus ist für den schulischen Erfolg oder Misserfolg eines Kindes ganz entscheidend. In Luxemburg gilt das ganz besonders. „Es gibt sicher Eltern, die jede Verantwortung am Schultor abgeben. Bei uns melden sich aber vor allem Eltern, die sich gerne mehr einbringen würden, sich jedoch von Lehrern ausgebremst fühlen“, schildert Jutta Lux-Hennecke von der Elterndachorganisation Fapel die konkurrierenden Sichtweisen auf das Problem.

Das Erziehungsministerium hat nun eine Eltern-offensive ins Leben gerufen. Mit der Initiative „Die Elternpartnerschaft. Auf dem Weg zu einer echten Kultur der Zusammenarbeit mit den Familien“ will das Ministerium Elternhaus und Schule respektive Kindergarten einander näherbringen. Eine Arbeitsgruppe feilt seit vergangenem Jahr an einem entsprechenden Konzept. Die Idee sei, sagt Chef-Koordinatorin Flore Schank vom Erziehungsministerium, „Elternbeteiligung durch alle Bereiche durchzudeklinieren“. Die sei nämlich „transversal zu verstehen“.

So sollen Kinderbetreuungseinrichtungen ab September 2017 verpflichtet werden, sich im Rahmen der Qualitätssicherung Gedanken darüber zu machen, wie sie Eltern besser in den Betreuungsalltag einbinden können. Nur Tagesstätten, die ein Elternkonzept vorweisen, würden künftig staatlich gefördert. Dabei geht es um gemeinsame Aktivitäten von Erziehern, Kindern und Eltern ebenso wie um zugänglich gestaltete Informationsveranstaltungen und ähnliches mehr. Außerdem soll sich jede Einrichtung ein Kooperationskomitee geben, das gemeinsam mit den Eltern programmatische Schwerpunkte entwickelt.

Auch in der Grundschule und später im Lyzeum sollen die Eltern stärker beteiligt werden als bisher, wobei das Konzeptpapier diesbezüglich bislang recht dünn ausschaut. Außer dem Versprechen, die Rolle der Eltern in der Orientierungsprozedur aufwerten zu wollen, also beim Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe, sowie ihr demokratisches Mitspracherecht innerhalb einer nationalen Elternvertretung zu stärken, steht in dem Papier kaum Konkretes. Man sei dabei, die Maßnahmen auszuarbeiten, erklärt Flore Schank. Komisch nur: Weder die Fapel, noch die Ausländerorganisation Asti oder die portugiesische Gemeinschaft sind in die konzeptuellen Arbeiten einbezogen. Es scheint, als habe das Ministerium sein eigenes Leitmotiv der besseren offenen Zusammenarbeit noch nicht verinnerlicht. Sowohl Fapel als auch Asti haben langjährige Erfahrungen in der Elternarbeit.

„Allein auf die Repräsentativität in Entscheidungsgremien zu setzen, ist nicht ausreichend“, betont derweil Débora Poncelet. Die Bildungswissenschaftlerin von der Uni Luxemburg forscht gemeinsam mit ihren Kollegen Christophe Dierendonck und Sylvie Kerger am Institut Lifelong Learning zu Eltern und Schule. Dass Kinder mit Eltern, die sie beim Lernen unterstützen können, schulisch besser abschneiden, sei erwiesen, bestätigt sie. Doch wie Eltern dabei unterstützt werden können, wie eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Kindergarten/Schule am besten funktioniert, hänge von vielen Faktoren ab.

„Es gibt kein Patentrezept, das sich aus dem Hut zaubern lässt, ebenso wenig wie es die Gruppe der Eltern gibt“, unterstreicht Poncelet. Hierzulande stammen viele Mütter und Väter nicht aus Luxemburg, sie kennen das Bildungssystem nicht, sie sprechen zuhause kein Luxemburgisch und haben oftmals selbst nur eine lückenhafte Schulbildung genossen. In der Hauptstadt gibt es Wohnviertel, in denen eher gut Betuchte wohnen, während rund um den Bahnhof ärmere Haushalte leben. Im Süden wohnen viele Arbeiterfamilien. Deshalb sei es wichtig, dass Schulen „am besten lokal“ für sich maßgeschneiderte Lösungen fänden, so Poncelet.

Den oft geäußerten Vorwurf, dass insbesondere Mütter und Väter von Einwandererfamilien sich nicht für den Werdegang ihrer Kinder interessieren, will die Wissenschaftlerin nicht stehen lassen. Umgekehrt werde ein Schuh draus: Weil diese Mutter und Vater arbeiten müssten, um ein ausreichendes Auskommen zu haben, fehle oft die Zeit, sich um den Lernprozess des Sohnes, der Tochter mehr zu kümmern. Grundsätzlich wollen die meisten Eltern, dass es ihren Kindern gut geht. Doch Elternhäuser, in denen ein Partner, meist die Mutter, daheim bleibt, können ihre Kinder besser unterstützen als Familien, wo beide Partner arbeiten. Eine Analyse der Uni Luxemburg aus dem Jahr 2008 wies nach, dass Mütter noch immer den Löwenanteil der Kindererziehung übernehmen. Das gilt auch für den Besuch von Elternabenden und die Betreuung der Hausaufgaben. In Luxemburg kommt hinzu, dass die Eltern oft die Sprache nicht verstehen, in der unterrichtet wird. Das wird spätestens bei den Hausaufgaben zu einem echten Problem. Zumal, wenn das Geld für Nachhilfe fehlt.

Das Ministerium will hier ansetzen und gemeinsam mit den Gemeinden Unterstützungskurse für Eltern organisieren. Dort sollen sie lernen, wie sie ihre Kinder trotzdem beim Lesen und Rechnen unterstützen können. Außerdem sollen Sprachkurse die „linguistische Kompetenz“ der Eltern verbessern helfen.

Das ist sicher gut gemeint, könnte jedoch auch nach hinten losgehen. „Die Eltern, die man erreichen will, haben wahrscheinlich keine Zeit“, so Fapel-Präsidentin Jutta Lux-Hennecke skeptisch. Für Elternabende werden häufig Zeiten gewählt, die am Abend tätige Eltern kaum wahrnehmen können. Überhaupt scheint der Akzent der Elternoffensiveeher auf den „bildungsfernen“ Eltern zu liegen, so als wären diese Mütter und Väter das Problem und nicht strukturelle Benachteiligungen, wie Armut und Sprache. Wenn Mütter und Väter am Elternabend fehlen oder nicht zur Einweihung des neuen Schulhofs kommen, kann das daran liegen, dass sie keine Zeit finden – oder dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben: sei es während ihrer eigenen Schulzeit oder in der Gegenwart. Überhebliche, unbewegliche Lehrer, die nicht aus ihrer gutbürgerlichen Welt hinausdenken wollen und kritische oder orientierungslose Eltern von vornherein als unbequem oder lästig ansehen, sind wenig hilfreich, wenn es darum geht, Hemmschwellen zwischen Eltern und Schule abzubauen. Eltern erleben immer wieder, dass Lehrer oder andere Eltern, die sonst stets betonen, wie wichtig Französisch und Deutsch seien und wie zentral die Mehrsprachigkeit für das Selbstverständnis sei, sich sprachlich nicht umstellen wollen, wenn Eltern kein Luxemburgisch verstehen. Selbst Schulzeugnisse sind mitunter nur schwer lesbar. Die 40 Stunden jährlich, die Lehrer laut Grundschulgesetz verpflichtend für Elterngespräche aufbringen müssen, sind da ein Türöffner. Glücklicherweise wird dies von den meisten Lehrern ebenfalls positiv bewertet. Andererseits müssen auch Eltern verstehen, dass eine Schule, wenn sie fair funktionieren soll, Regeln braucht, die für alle gelten.

Von einer Willkommenskultur, wo Eltern die Kinder nicht nur am Schuleingang abliefern und zwei bis drei Mal im Jahr mit dem Klassenlehrer über die Leistungen und das Betragen ihres Kindes sprechen, sondern sich an der programmatischen Entwicklung beteiligen, sind die meisten Schulen weit entfernt. Andere haben sich schon auf den Weg gemacht – nur hört man wenig von ihnen. Drei solche Schulen haben Poncelet und ihr Team begleitet, mit überwiegend positiven Ergebnissen. „Wenn Lehrer und Eltern offen für einander sind und verstehen, dass sie beide bei der Erziehung ihres Kindes eine wichtige ergänzende Rolle spielen, dann haben am Ende alle etwas davon“, wirbt die Wissenschaftlerin für gegenseitiges Verständnis. Die Erfahrungen sollen nun in eine Art Leitfaden für eine erfolgreiche Elternarbeit einfließen.

Jutta Lux-Hennecke von der Fapel begrüßt derlei Ansätze, fordert aber mehr. Ihr schweben Familienbildungsstätten nach deutschem Vorbild vor: Dort begleiten Pädagogen und Psychologen Eltern auf Wunsch von der Geburt an, beraten sie in Entwicklungs- und Erziehungsfragen ihrer Kinder. „Eine Verpflichtung wäre Unsinn. Der Staat kann Hilfestellungen geben.“ Lux-Hennecke plädiert dafür, Kurse und Hilfsmaßnahmen in mehreren Sprachen zugänglich zu machen. „Ich bin mir sicher, dass wir ein hervorragendes Angebot auf die Beine stellen könnten.“ Die Fapel hat ihre Idee Familienministerin Corinne Cahen vorgetragen und noch ein weiteres Anliegen vorgebracht: Um die Bindung zur Familie zu stärken, sollte es verboten sein, Kinder unter einem Jahr in der Krippe unterzubringen. Doch während wissenschaftlich unbestritten ist, dass die ersten Lebensmonate eines Babys sowie fürsorgende Eltern für seine Entwicklung extrem wichtig sind: Dass Kinder per se einen Nachteil haben, wenn sie in eine Krippe kommen, scheint heute nicht mehr der Fall zu sein. Mal ganz abgesehen davon, dass es sich nicht jede Familie leisten kann, wenn der Partner für ein Jahr aus dem Erwerbsleben auszusteigt.

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Ines Kurschat
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