Seit Montag sind zwei neue Evaluationsberichte über die Universität Luxemburg publik1. In dem einen liest man, es sei nicht ungewöhnlich, dass „an einer so jungen und aktiven Universität verschiedene Prozesse interner Kommunikation, Entscheidungsfindung und Zuerkennung von Führung noch nicht in allen Einzelheiten definiert sind“. Denn solche Unklarheiten ließen „Raum für Wachstum“, und stark gewachsen ist die 2003 gegründete Uni ja, die heute 6 200 Studenten und 1 500 Mitarbeiter zählt, darunter 1 100 Forscher.
In dem zweiten Evaluationsbericht steht die bemerkenswerte Feststellung: Rechne man Uni.lu, die drei öffentlichen Forschungszentren mit „Luxembourg Institute of“ am Namensanfang und den nationalen Forschungsfonds FNR zusammen, dann komme die Summe aus Aktivitäten und Budgets ungefähr einer „mittelgroßen“ französischen oder deutschen Universität gleich.
Das illustriert ziemlich gut, dass die jüngste Evaluation der Uni in ihrer Bedeutung weit reicht. Alle vier Jahre muss Uni.lu sich laut Universitätsgesetz einer externen Bewertung unterziehen. Die von Hochschul- und Forschungsminister Marc Hansen (DP) am Montag veröffentlichte lief im vergangenen Jahr ab. Aber sie ist nicht nur besonders umfangreich – der eine Bericht ist der Führung der Uni gewidmet, für den zweiten wurden ihre 13 Forschungsbereiche durchleuchtet –, sie fällt auch in politisch bewegte Zeiten: Dieses Jahr müssen der nächste Vierjahresplan und das nächste Vierjahresbudget zwischen Regierung und Universität ausgehandelt werden. Bis dahin muss unter anderem entschieden sein, ob eine Medical School an der Uni eingerichtet werden soll, sofern die Regierung diese Frage, die sie seit zwei Jahren vor sich herschiebt, nicht ihrer Nachfolgerin vermachen will.
Gleichzeitig arbeitet die Uni an einer Strategie, die bis in die Mitte der 2020-er Jahre reichen soll. Außerdem soll das Universitätsgesetz novelliert werden. Schon unter der vorigen Regierung wurde daran gearbeitet, die Reform aber vorläufig auf Eis gelegt, als vor zwei Jahren der neue Rektor Rainer Klump sein Amt antrat, um ihn durch die politische Diskussion über die Führung der Uni nicht gleich zu schwächen.
Minister Hansen hob am Montag hervor, dass
„70 Prozent der Forschungsbereiche der Universität exzellente Resultate“ vorweisen könnten. Sie seien „gut“ im Einwerben von Drittmitteln für ihre Forschung und „international sichtbar“. Das Personal der Uni sei „sehr motiviert“, die Arbeitsbedingungen seien „sehr günstig“. Die jährlich rund 150 Millionen Euro, die der Universität aus der Staatskasse zufließen, seien „gerechtfertigt“, wie die Evaluation gezeigt habe, und „eine Investition in die Zukunft“. Zu achten sei vor allem auf „klare Forschungsstrategien“, eine „Qualitätssicherung“ und eine „bessere Einbindung der Studenten in Entscheidungsprozesse“.
Allerdings ist das nicht alles, und hinter Begriffen wie „Forschungsstrategien“ und „Qualitätssicherung“ verbergen sich durchaus große Baustellen. Fragen kann man sich auch, warum das Ministerium die Forschung gesondert untersuchen ließ und nicht die Lehre. Das stehe in vier Jahren beim nächsten Durchgang an, sagte Marc Hansen am Montag. Aber sein Nachfolger könnte das vielleicht nicht so sehen. War die Bewertung der Forschung demnach dringlicher?
Gewissermaßen schon. Das Aufbauwerk Uni.lu geschah vor allem in Forschungsbereichen und mit dem Vorsatz, eine „Forschungsuniversität“ zu schaffen, weil der von der CSV in den Jahren der Diskussion pro und kontra Uni eine Zeitlang benutzte Begriff „Eliteuniversität“ zu gewagt klang. Heute zeigt sich: Die 13 Forschungsbereiche von Uni.lu, darunter das interdisziplinäre Zentrum für IT-Sicherheit SnT und das Zentrum für Biomedizin LCSB, sind nicht nur unterschiedlich „gut“. Sie werden auch unterschiedlich geführt, sind bald mehr, bald weniger Beeinflussungsversuchen von Politik und Wirtschaft ausgesetzt und schlagen sich zum Teil noch mit der Vergangenheit herum.
Letzteres scheint stark auf die Ingenieurwissenschaften zuzutreffen, eigentlich ein Schlüsselbereich im wirtschaftlich diversifizierungswilligen Land, das sich auf die nächste „industrielle Revolution“ vorbereitet: Die Gutachter stellten fest, der Bereich stecke in „ernsthaften Schwierigkeiten“. Er sei gespalten in Mitarbeiter aus dem früheren In-
stitut supérieur de technologie (IST), die „vor allem lehren, aber kaum forschen“, und in ausgewiesene Wissenschaftler. Beide Seiten verstünden sich nicht. Weshalb ein Audit der Abteilung durchgeführt und sie anschließend „restrukturiert“ werden sollte.
Man kann diesen Zustand beklagen. Allerdings trauern viele Betriebe „dem alten IST“ nach, das wie eine deutsche Fachhochschule in dreijährigen Studiengängen Ingenieure ausbildete. Groß angelegte Weiterbildungsinitiativen wie die des Handwerkerverbands deuten an, dass die Bachelors industriels, die die Uni verlassen, nicht zahlreich genug sind. Die Uni aber bietet noch andere, akademischere Technik-Studiengänge an. Nicht alle sind gut besetzt. Doch es sind vor allem die wenig forschenden Mitarbeiter im Bereich Ingenieurwesen, die viel Lehrbelastung auf sich nehmen. Das Problem ist demnach komplex.
Forschung hier, Lehre dort ist oft ein Thema im Forschungs-Evaluationsbericht, der nicht immer nur von Forschung spricht: Die Professoren der Bereiche Mathematik und Physik zum Beispiel lehren offenbar sehr viel, die aus der Abteilung Life sciences auch. Das drückt nicht unbedingt auf die Forschungsqualität – Mathematik und Physik etwa wird sehr hohes Niveau bescheinigt –, äußert sich jedoch in Problemen an anderer Stelle: Lehren können auch Forscher, die Postdoktoranden sind. Sie aber werden im Bereich Mathematik bald knapper, denn der nationale Forschungsfonds FNR bezahlt Postdoktoranden nur noch in Public-private partnerships mit der Wirtschaft. Abgesehen davon, klagen Postdoktoranden an Uni.lu generell über Unsicherheit: Die Aufstiegsmöglichkeiten sind unklar. Weshalb zum Beispiel die Luxembourg School of Finance hochkarätige Mitarbeiter häufig wieder verlassen, sobald sie eine interessantere Stelle finden. Für die Gutachter ist nicht zuletzt deshalb die LSF noch nicht „exzellent“.
Ein anderes Problem sind die noch immer verbreiteten, auf maximal fünf Jahre befristeten Verträge für junge Forscher. Sie waren 2008 über das „Forschergesetz“ unter anderem mit der Begründung eingeführt worden, als kleines Land benötige Luxemburg besonders viel personelle Erneuerung, an der Uni wie an den öffentlichen Forschungszentren. Heute hält nicht nur der Führungs-Evaluationsbericht, den ein Gremium der European University Association über Uni.lu angefertigt hat, dieses Argument für „nicht mehr stichhaltig“. Auch die Forschungs-Evaluation, die die Luzerner Beratungsfirma Interface zusammengestellt hat, bezweifelt, dass die Regelung „der Uni dienlich“ ist. Interface evaluiert seit zwölf Jahren die Forschung hierzulande.
Das könnte eine der Fragen sein, mit denen die Universitätsleitung sich beschäftigen muss. Andere betreffen das Tun und Lassen der elf Forschungsbereiche an den Fakultäten und das der beiden interdiszipinären Zentren, zu denen nun noch das Zentrum für Zeitgeschichte hinzukommt. Denn: In den meisten Fakultäts-Forschungsbereichen wird die akademische Freiheit hochgehalten. Sie werden oft selbstverwaltet geführt, die Forschungsgruppenleiter sind eher Koordinatoren als Chefs. Dagegen unterstehen die interdisziplinären Zentren dem Rektor, sie haben Direktoren und es gilt ein Top-down-Prinzip.Von den Forschungsleistungen von SnT und LCSB waren die Gutachter begeistert. Das SnT nennen sie gar ein „Rollenmodell“. Doch aufgefallen ist ihnen, dass das SnT „abhängig“ ist von den Professoren des Fakultäts-Bereichs Computerwissenschaften (CSC), und es sei „unklar“, welche Forschungsleistung eine des SnT und welche eine des CSC sei. Klärungsbedarf gibt es auch im Gebiet Life sciences: Dort besteht einerseits der Fakultäts-Forschungsbereich gleichen Namens, der sich auf Krebs spezialisiert hat, andererseits das 2009 über Jeannot Kreckés „Biotech-Initiative“ mit viel Geld ganz neu geschaffene LCSB, das an neurodegenerativen Erkrankungen forscht. Gegenüber dem LCSB würden sich die Wissenschaftler der Fakultät wie „Bürger zweiter Klasse“ vorkommen. Nicht zuletzt, weil die LCSB-Forscher noch wenig aktiv in der Lehre für Bachelor- und Master-Studenten in den Life Sciences sind; Forscher des SnT, sofern sie nicht Computerwissenschaftler der Fakultät sind, lehren übrigens ebenfalls nicht viel. Die „Rollen und Pflichten“ der Mitarbeiter der so angesehenen interdisziplinären Zentren sind bisher nicht klar definiert, was die Gutachter bemängeln. Am LCSB haben sie erfahren, so mancher Wissenschaftler sei bereit zu lehren, wolle aber vorher eine Aussicht auf Aufstieg an der Uni. Womit sich ein Kreis zu fehlenden Karrierepfaden und befristeten Verträgen schließt. Doch generell besteht bisher kein direkter Zusammenhang zwischen Forschungsbereichen und Studiengängen. Im Beisein des Ministers erklärten die Gutachter am Montag, es sei „nicht festzustellen, inwiefern die Lehre an der Forschungsuniversität Luxemburg tatsächlich forschungsbasiert“ ist. Das sei „beunruhigend“.
Mitunter sind auch die Forschungsinfrastrukturen unzureichend – oder alt: Die der Physiker auf dem Campus Limpertsberg ist in so kritischem Zustand, dass sich nach Ansicht der Gutachter „Sicherheitsrisiken“ stellen; im Bericht steht der unschöne Begriff „chemical hazard“. Der Umzug dieses Bereichs nach Belval wird sich noch einige Jahre hinziehen.
Ein wichtiges Thema in der Evaluation ist die Autonomie der Uni. An der Humanwissenschaftlichen Fakultät etwa wird beklagt, dass gute Historiker an das neue Institut für Zeitgeschichte abgestellt werden. Es wird ganz richtig erkannt, dass dieses Institut auf eine rein politische Entscheidung der Regierung zurückgeht. Den Bereich Wirtschaft und Management der Uni plagen ähnliche Sorgen: Das Luxembourg Centre for Logistics, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Massachusetts Institute of Technology, habe man von der Regierung „übergestülpt bekommen“. Womöglich beeinträchtigt es die Forschungsautonomie des Bereichs?
Der Führungs-Evaluationsbericht scheint solchen Kritiken Recht zu geben. Etwa, wenn er anmerkt, Ad-hoc-Verträge, die staatliche Stellen mit Forschungsbereichen abschließen, könnten diese „von ihren Kernaktivitäten“ entfernen. Doch die Gutachter sind sich natürlich im Klaren, dass Uni.lu als einzige Uni im Land vielfältigen Erwartungen ausgesetzt ist. Dass nach wie vor eine Konkurrenz um Forschungsdrittmittel mit den drei Forschungsinstituten besteht, ist ihnen ebenfalls nicht entgangen, wo doch der ganze Sektor nur so groß ist wie eine mittelgroße Uni im Ausland. Politisch wesentlich für die Zukunft von Uni.lu wird daher das neue Universitätsgesetz sein: Die Gutachter meinen unter anderem, die starke Rolle des Aufsichtsrats, des Strategieorgans der Uni, sei in deren Startphase sinnvoll gewesen. Für die nun anstehende „Konsolidierung“ sollte der Aufsichtsrat Befugnisse abgeben und im Gegenzug der Universitätsrat, ein gemischtes Gremium, dem unter anderem auch ein Studentenvertreter angehört, gestärkt werden.
1 Die Evaluationsberichte sind unter wwwen.uni.lu/university/official_documents in der Rubrik „External Evaluations“ zu finden.