Luxemburger Filme auf der Berlinale

Films made in Luxemburg

Guy Arendt, André Jung, Georges Santer
d'Lëtzebuerger Land du 17.02.2017

Brot für die Welt. Das ist ein Hilfswerk der evangelischen Kirche in Deutschland. Man verbindet mit ihm die eindringlichen Aufrufe zur Fasten- und Adventszeit, sich für die Ärmsten der Armen in aller Welt einzusetzen, für die Hungernden und für die Bedürftigen. Es finanziert sich durch Spenden und Kollekten in den Gottesdiensten, aber auch durch Bußgelder, Nachlässe und sonstige Zuwendungen. Das Werk sammelt jedes Jahr rund 75 Millionen Euro an Hilfsgeldern ein, mit denen es sich seine Themen Bekämpfung von Hunger, Prophylaxe sowie Bekämpfung von HIV und Aids, Förderung von Bildung und Gesundheit finanziert. Umso mehr überraschte es, als am vergangenen Samstag im größten Filmsaal der Berlinale das Logo von „Brot für die Welt“ im Abspann eines Films auftauchte: Felicité, belgisch-deutsch-französisch-libanesisch-senegalesische Koproduktion lief im Wettbewerb um den Goldenen Bären für den besten Film des Filmfestivals. Ein dünner Streifen, der im Kongo spielt, damit man den fünf Produktionsländern gerecht wurde. Im Abspann dann der Dank dem ungewöhnlichen Unterstützer.

Denn es geht ums Geld, um den schnöden Mammon. Die Internationalen Film-festspiele in Berlin sind nicht nur der Ort der hehren Filmkunst und der schönen Menschen, sondern auch die Stätte des knallharten Geschäfts. Während mehr oder weniger bedeutende und bekannte Schauspieler auf dem roten Teppich frieren, wird auf dem European Film Market (EFM) um Filmrechte verhandelt und auf dem Co-Production Market der Berlinale nach internationalen Investoren und Förderern gesucht. Nach Geld für den Film.

In diesem Jahr war auch die luxemburgische Samsa-Film eingeladen, eines ihrer neuen Projekte vorzustellen: Dead Noon. Es wird der erste professionelle Spielfilm des luxemburgischen Film- und Videokünstlers Jeff Desom, der voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres in die Kinos kommen soll. Dead Noon, der Name erinnert an den Genre-Klassiker High Noon, stilprägender Western-Klassiker aus dem Jahr 1952 mit Gary Cooper und Grace Kelly in den Hauptrollen. Auch Desom möchte mit seinem Werk in den wilden Westen zum Ende des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit, in jener Welt entwickelt sich eine Vater-Sohn-Geschichte, so das Gerüst der Geschichte, in der ab einem gewissen Zeitpunkt alles schiefläuft, was schiefzulaufen vermag, und ein Zug nicht abfahren wird. Es klingt ein wenig nach einer „Es war einmal“-Geschichte, über die sich der Staub der Prärie erhebt, in der lässige Frauen und Männer den Westen Nordamerikas besiedeln, doch Desom steht kaum für die Winnetou- oder C’era una volta il West-Romantik eingeölter Indianeroberkörper und einprägsamer Mundharmonikamelodien, denn für eine Filmkunst, weitab von einer herkömmlichen Schwarz-Weiß-Zeichnung. Dagegen spricht sein bisheriger Werdegang. Der Luxemburger studierte Regie am Arts Institute im britischen Bournemouth und machte früh durch seine Kurzfilme auf sich aufmerksam. Für The Plot Spoiler aus dem Jahr 2006 erhielt er den Preis als bester luxemburgischer Kurzfilm, sein Abschlusswerk Bloksky wurde vor zehn Jahren mit dem Akira Kurosawa Award ausgezeichnet. Weitere Preise reihten sich ein. Nun auf die große Leinwand. In Spielfilmlänge. Zu Recht und mit Spannung.

Ein Projekt des kommerziellen Kinos, wie Bernard Michaux von Samsa Film zugesteht. Sieben Millionen Euro soll der Film kosten. Eine beachtliche Summe für ein Erstlingswerk. So auch der Stand der derzeitigen Planung. Ein Aufwand, den die luxemburgische Filmproduktionsfirma alleine nicht stemmen kann und sich deshalb auf die Suche nach internationalen Investoren macht. Der Berlinale Co-Production Market ist dabei ein Instrument, ein wichtiges. Bis zum Herbst vergangenen Jahres konnten sich Projekte bewerben, 32 von ihnen wurden ausgewählt und nach Berlin eingeladen – zum Speed Dating um internationale Förder- und Investorengelder. „Das läuft im Halbstundentakt, in dem immer wieder das Projekt anderen Investoren und Förderern präsentiert wird“, berichtet Michaux. Doch es sei allemal günstiger und intensiver, als um den halben Erdball zu jetten, um irgendwo auf dieser Welt in einem Hotelzimmer einen möglichen Geldgeber zu treffen. Und auch allemal einfacher, denn auf dem Weg der Kalt-Akquise Geldgeber für das Werk zu gewinnen. Die Nominierung für den Co-Production Market in Berlin sei für das Projekt eine erste, wichtige Auszeichnung gewesen, denn es zeigt, dass ihm manches zugetraut wird.

Samsa-Film hat mit Dead Noon viel vor: ein Film für den internationalen Markt. Made in Luxembourg. Schon die Tatsache, dass man denjenigen Casting-Director engagieren möchte, der bereits für Mission Impossible-Filme das Ensemble zusammenstellte, zeigt, wohin der Streifen dreht und nach welchen Sternen er greift. Aspirant für Cannes, Berlin oder Venedig sei das Werk hingegen nicht, so Michaux. Denn kommerzielle Filmabsichten vertragen sich selten mit den großen Filmfestivals. Mit an Bord bei der Finanzierung ist der Filmfund Luxemburg, als Initialförderer. Das zahlt sich aus, doppelt: Zum einen für den Filmfund, der sich auf der internationalen Bühne noch stärker etabliert, und zum anderen auch für das Filmland Luxemburg. Denn Filmförderung ist keine Einbahnstraße, kein Spendieren von Fördergeldern, sondern achtet genau auf das Return-on-Investment der Förderung. Effekte von bis zu 300 Prozent werden mitunter angepeilt. Ein Anlass für Deutschland, seine Filmförderung auf 70 Millionen pro Jahr aufzustocken, hinzu kommen dann noch die Programme der einzelnen Bundesländer sowie der Fernsehanstalten. Zum Vergleich: Taiwan ohne nennenswerte Filmindustrie hat eine Filmförderung aufgelegt, der für Filme in Spielfilmlänge rund 950 Millionen Neue Taiwanesische Dollar auslobt, umgerechnet knapp 29 Millionen Euro. Umgerechnet fünf Millionen Euro gibt das Land für Kurzfilme dazu. Doch die Filmförderung durch viele Partner birgt auch ein Risiko, wie Michaux von Samsa-Film gesteht: Denn wenn ein Geldgeber nicht mehr möchte, kann das gesamte Projekt scheitern. Und außerdem müsse man auch den unterschiedlichen Wünschen und Anforderungen der einzelnen Investoren entsprechen.

Dass Samsa international kann, hat es unter anderem mit Irina Palm bewiesen, der vor zehn Jahren im Wettbewerb der Berlinale lief. Dessen Macher Sam Garbarski war in diesem Jahr mit Es war einmal in Deutschland in der Sektion „Special“ auf der Berlinale vertreten. Ebenfalls eine Samsa-Produktion. Doch wurde diese stark auf den deutschen Markt zugeschnitten. Das zeigt sich vor allen Dingen an der Besetzungsliste, auf der Moritz Bleib-treu in der Hauptrolle steht. Wofür die Sektion „Special“ bei der Berlinale steht, lässt sich nicht genau erfassen: außergewöhnliche Neuproduktionen heißt es, Filme von oder über Persönlichkeiten, die mit der Berlinale Kamera ausgezeichnet werden. Im Wettbewerb ergießt sich die Berlinale in ihren Ritualen. Politischer Anspruch wird hin und wieder über künstlerische Ambition gestellt. Die Welt ist schlecht, wenn nicht noch schlechter, was in ebensolchen Bildern gezeigt werden muss. Und es besteht keine Aussicht auf Besserung, denn sonst gäbe es im kommenden Jahr kein Filmfestival.

Martin Theobald
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