Join Wireless setzt auf 4G und will zum europäischen Anbieter werden

Schnelle neue Mobilfunkwelt

d'Lëtzebuerger Land du 06.09.2013

Nächste Woche, wahrscheinlich am Mittwoch, wird die EU-Kommission ihre Pläne für den Mobilfunkmarkt vorstellen. Hauptsächlich geht es darum, ob die Kommission die Roaming-Tarife weiter senken, beziehungsweise abschaffen wird oder nicht. Neelie Kroes, zuständige Telekom-Kommissarin sagt ja, weil den Verbrauchern weiterhin zu viel verrechnet werde. Das Gegenargument der Mobilfunkkonzerne lautet: Sie brauchen das Geld, das mit dem Roaming verdient wird, um in ihre Netze zu investieren. Google-Chef Eric Schmidt meinte vergangenes Jahr, die Konzerne würden zu Tode reguliert. Dabei ist es nicht unbedingt so, dass die Branche am Bettelstab ginge. Anfang dieser Woche hat Vodafone 45 Prozent der gemeinsamen US-Tochter für 130 Milliarden Dollar an Verizon verkauft. Ein Hinweis, dass zumindest außerhalb der EU noch viel Geld im Mobilfunk zu verdienen ist.

Frank Fischer, Claude Lüscher und Pascal Koster gehören zu denen, die in der EU-Regulierungswelle für die Telekombranche der vergangenen Jahre Chancen erkennen. Die drei Unternehmer, die beiden ersteren mit IT-Background (Tecsys, Exigo, It-Works), Letzerer mit Erfahrung in der Mobilfunkbranche (Tango, Voxmobile) haben mit ihrer Firma Join Wireless am 10. August von der na­tionalen Regulierungsbehörde ILR die Lizenz als Mobilfunkanbieter erhalten. Join Wireless nutzt dabei die EU-Bestimmungen, nach denen Anbieter mit bestehendem Antennen-Netz, ähnlich wie bei anderen Infrastrukturnetzen wie Strom- und Gasleitungen, anderen Zugriff auf ihr Netz geben müssen. „Wir hatten nie vor, ein eigenes Netz aufzubauen“, erklärt Frank Fischer. Stattdessen hat Join Wireless mit der Post ein Mobile-Network-Virtual-Operator-Abkommen abgeschlossen, mietet also Kapazität im Netz von Luxgsm.

In der Welt von Join Wireless nutzen Kunden Smartphones, Tablets und Laptops quer durch Europa, egal ob zuhause, im Büro oder unterwegs zum Arbeiten. Der neue Anbieter setzt auf den neuen Standard der vierten Generation 4G, auch LTE genannt, der beim Datentransfer Geschwindigkeiten von 100 Megabit pro Sekunde verspricht, was schneller als die Durchschnittsgeschwindigkeit ist, die Endkunden aktuell auf Wireless-Anschlüssen zur Verfügung steht. „Das wird die Art und Weise, wie Kunden ihre mobile Geräte benutzen, dramatisch ändern“, ist Frank Fischer überzeugt. Anders als der 3G-Standard werde das rasante neue Netz den Kunden eine wirklich professionelle Nutzung ihrer Geräte erlauben, statt dass die Geschwindigkeit gerade dazu reicht, die Adresse eines Restaurants auf dem Weg dahin zu prüfen. Das ist für Join Wireless wichtig, weil die Firma kein reines Mobilfunkunternehmen ist, sondern sich als „ IT-Unternehmen versteht, das das Mobilfunknetz als Transportmittel nutzt“, wie es Fischer ausdrückt.

Zielgruppe von Join Wireless sind Firmenkunden, kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), denen Join Wireless Cloud-Lösungen anbieten will, auf die sie über das 4G-Netz zugreifen können. Statt dass ein KMU mit zehn Mitarbeitern, zehn PCs, ein bis zwei Servern, für jeden Mitarbeiter Software-Lizenzen kauft und einen Informatiker einstellt, der alles zum Funktionieren bringt, mietet sie via Service-Level- Agreement die Server und Software-Lizenzen beim Cloud-Anbieter, spart sich so Fixkosten und den Informatiker. „Das ist eine Diskussion, die derzeit in allen KMU geführt wird.“ Im Ideal­fall von Join Wireless kauft der Kunde ein 4G-Abo mit Datentransferkapazität, die ihm erlaubt, auch von seinen 4G-fähigen mobilen Geräten aus auf seine gemietete Speicherkapazität zuzugreifen, und erhält auch die Software-Lizenzen, das Ganze aus einer Hand.

Auf die Idee sind auch schon andere gekommen. Große Anbieter, mit denen Join Wireless im vergangenen Jahr, seit Fischer, Lüscher und Koster an ihrem neuen Unternehmen arbeiten, diskutiert hat, fänden das Konzept gut, sagt Fischer. Und sie bescheinigten Join Wireless einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Die Schnelligkeit bei der Umsetzung. Wolle ein Großunternehmen wie Vodafone das gleiche Konzept umsetzen, brauche es dazu zwei bis drei Jahre. „Als Start-up sind wir da schneller“, so Fischer. Der Knackpunkt: Das Abrechnungs- und Terminierungssystem. Bei den historischen Konkurrenten seien das über Jahre gewachsene Riesensysteme, auf den derzeitigen Stand der Technologie und der Nutzung ausgerichtet und außerdem zwischen den verschiedenen Ländern, in denen eine Firma präsent ist, nicht untereinander verbunden. Der Entscheidungsprozess und die tatsächliche Umsetzung eines neuen Systems im multinationalen Großkonzern brauche seine Zeit, während Join Wireless, frei von historischen Zwängen, sein maßgeschneidertes System schnell einsatzbereit habe, so das Kalkül.

Auch darin will sich Join Wireless von der Luxemburger, wie auch von der internationalen Konkurrenz unterscheiden: Sie will Luxemburg als Plattform für den Ausbau in Europa nutzen. In möglichst vielen Ländern will Join Wireless jeweils eine Lizenz als MVNO, sich als Anbieter etablieren und dabei die bestehenden Netze anderer Anbieter nutzen. Aber: Die Abrechnung, die Verwaltung wird jeweils über Luxemburg abgewickelt. Der operative Start in Luxemburg ist für November geplant, in Belgien sind die Verhandlungen so weit fortgeschritten, dass als Starttermin das Frühjahr 2014 ins Auge gefasst wird. Kurz darauf sollen die Schweiz und Österreich folgen. Die Verhandlungen in Frankreich und in anderen südlichen Ländern laufen, in Deutschland sieht man gute Chancen für einen Markteinstieg, zählt Fischer auf. Während er das macht, wird deutlich, dass die drei Unternehmer kein weiteres Voxmobile, sondern ein europäisches Riesenprojekt planen. Auch deswegen ist die Entwicklung des Terminierungssystems, über das einerseits die Kundenrechnungen, andererseits die Netznutzung von Join Wireless bei den anderen Anbietern abgewickelt wird – auf allen möglichen Antennen weltweit, je nachdem wo die Kunden sind –, so schwierig. „Das ist die größte, teuerste und komplexeste Investition für uns“, so Fischer. Ausgerichtet ist das ausbaufähige System in einer ersten Phase auf zehn Millionen Kunden. Kostenpunkt: um die 30 Millionen Euro. Eine Summe, welche die drei Partner nicht alleine stemmen können, weshalb „geplant ist, einen Teil des Kapitals an einen Partner zu verkaufen, der hilft, die Sache operativ zu beschleunigen und zu finanzieren“. Auch in den jeweiligen Ländern, in denen Join Wireless sich niederlässt, will man strategische Partner suchen, „weil dafür mehr als Taschengeld gebraucht wird“, sagt Fischer. Für die lokale Präsenz werden jeweils Lokale und Personal zur Kundenakquise gebraucht. Für den Aufbau der Firmenzentrale rekrutiert Join Wireless derzeit über die Webseite Jobsatjoin.com 100 Mitarbeiter, für den Ausbau nach Belgien werden weitere 100 gebraucht. Seit die Seite vor anderthalb Wochen live geschaltet wurde, sind 300 Bewerbungen eingegangen. Wenn wie geplant weitere, große Länder folgen, werden die Mitarbeiterzahlen quer durch Europa in den vierstelligen Bereich steigen.

Das Geschäftsmodell der Firma baut auf drei Hauptbereichen auf. Erstens: die Flatrate für alle Kunden quer durch Europa. Am Roaming ist Join Wireless nur insofern interessiert, als man überlegt, ein Package für Kunden aus nicht-europäischen Drittstaaten zu entwickeln – wer beispielsweise einen chinesischen Reiseveranstalter als Kunden gewinnen könnte, oder Reisewebsites, die das Europa-Roaming wie den Mietwagen als Zusatzangebot zum Flugticket und Hotelgutschein verkaufen würden, könne trotz EU-Roaming-Regulierung noch Geld verdienen, meint Fischer. Zweitens: das Cloud-Angebot für die KMU. „Wir glauben, dass in diesem Bereich extrem viel passieren wird in den kommenden Jahren, sowohl in Luxemburg als auch im Ausland“, sagt der Partner. Drittens: das Machine-to-machine-Segment. „Das ist einer der Telekom-Bereiche, der weltweit am schnellsten wächst“, so Fischer. Was man sich darunter vorstellen soll? Einen Getränkeautomaten beispielsweise, der via Sim-Karte der Zentrale Bescheid sagt, dass das Limo-Fach leer ist und aufgefüllt werden muss. Oder die mit Sim-Karte ausgestatte Alarmanlage, die Familie und Freunden via SMS aufs Handy warnt, dass der Alarm am Fenster X ausgelöst wurde. Feuermelder, die per SMS Nachricht geben, dass sie noch funk­tionieren oder dass es brennt. Hundehalsbänder mit Sim-Karte, die den Hundehalter ermitteln lassen, wohin sich der beste Freund aus dem Staub gemacht hat. Zwar sind die Margen im M-2-M-Segment klein, dafür ist der Markt aber umso größer. „Unser Geschäftsplan sieht vor, dass wir bis nächstes Jahr 1,5 Millionen solcher Sim-Karten verkaufen. Und ich glaube, dass wir dieses Ziel weit übertreffen werden“, so der selbstsichere Fischer. Warum beispielsweise Feueralarmhersteller aus Frankreich ein Interesse daran haben könnten, eher eine Join-Wireless-Karte zu kaufen als die, eines französischen Mobilfunkanbieters? Weil sich die Feuermelder dann, wie das Handy eines Urlaubers, im Roaming jeweils das stärkste Signal aussuchen, statt im Funkloch des heimischen Anbieters ohne Netz zu sein ...

Michèle Sinner
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