Mandy Arendt ist die erste Bürgermeisterin des Landes mit einer Parteikarte der Piraten. Ein Portrait

Quereinstieg

Mandy Arendt im Gemeindesaal von Colmar-Berg
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.07.2023

Aufstieg Konventionell kann man Mandy Arendts Weg in die Politik nicht nennen. Das versucht sie auch nicht zu verstecken. Als Tochter einer Zeitungsausträgerin und eines Mechanikers ist sie in Niederkorn, Tüntingen und Vianden großgeworden. Ordentlich und viel zu arbeiten war in der Familie wichtig. Als sie mit 15 Jahren zum ersten Mal ein Kind bekam – mittlerweile hat sie zwei, davon eins unter zwei Jahren –, musste dann genau das passieren. Sie absolvierte erst eine Ausbildung zur Frisörin („e ganz haarde Beruff“), um kurz darauf ein Studium zur Sozialpädagogin in Lüttich zu beginnen. Zurzeit arbeitet sie in Ettelbrück mit Flüchtlingen. Der Umgang mit Menschen habe ihr immer schon sehr gelegen, erzählt sie im Gespräch mit dem Land.

Die 27-Jährige, Louis-Vuitton-Handtasche und spitze Ballerina-Schuhe, ist erst seit etwas mehr als anderthalb Jahren in der Gemeindepolitik aktiv und trotzdem prompt die erste Piraten-Bürgermeisterin geworden. Als im November 2021 Komplementarwahlen in der Majorzgemeinde Colmar-Berg anstanden und der Abgeordnete Marc Goergen einen Aufruf startete, meldete sie sich und wurde innerhalb kürzester Zeit zur Sprecherin der sogenannten Jopis (Jonk Piraten). An der Seite von Sven Clement geht sie im Oktober als Spitzenkandidatin für den Bezirk Zentrum in die Kammerwahlen.

Sie selbst sei ein gutes Beispiel dafür, dass eine Teen Mum zu sein, jemand nicht unbedingt daran hindere, „im Leben weit zu kommen“. Politik sei nie ein Thema zuhause gewesen, es habe im Gegenteil viel Misstrauen geherrscht, berichtet sie. „Ich habe mich immer sehr dafür interessiert und dann hat sich das so ergeben.“ Auf ihrem Instagram-Profil findet man vor ihrer Nominierung in den Gemeinderat keinerlei politische Stellungnahmen, sondern vorrangig Urlaubsfotos. Was hat sie politisiert? Vor rund zwei Jahren ist in der Gemeinde eine Liste mit vollständigen Kindernamen und dem Ort, an dem sie aus dem Bus aussteigen, veröffentlicht worden. Das störte sie sehr: „Es war klar, dass die Piraten die einzige Partei sind, die den Datenschutz so sehr priorisieren.“

Entzauberung Auf einem Bein von Mandy Arendt steht Hakuna, auf dem anderen Matata – eine Referenz an Der König der Löwen –, was soviel wie „alles gut“ bedeutet. Weitere Tattoos, etwa Rosen und eine Frau mit großen Brüsten, zieren Mandy Arendts Oberarm. Letztere solle „Weiblichkeit darstellen“. Sie bezeichnet sich als bodenständig, weil sie sich mit sehr wenig zufriedengebe. Sie gibt ein Beispiel: Sie habe einen schönen Stift geschenkt bekommen, aber könne auch mit einem normalen Stift unterschreiben. Sie schätze das, was sie bereits habe. In ihrer Freizeit verbringt sie Zeit mit ihrer Familie, ihrem Hund und ihren beiden Katzen und trinkt gerne ein Glas Rosé. Ihr Ventil sei „schwätzen, schwätzen, schwätzen – a laachen“. Mandy Arendt kann man als eine Art leibhaftige „Working-Class“-Charmeoffensive bezeichnen. Sie hat ihre Chance gewittert. Dabei kann man auf den ersten Blick nicht viel meckern. Stets freundlich – im Gespräch betont sie, wie wichtig ihr ein respektvoller Umgangston ist –, léif, auf jede Frage eine zugewandte Antwort, bei der man das hineininterpretieren kann, was man will. Sie mischt sich unter Jung und Alt, hört den Problemchen und Wehwehchen der knapp 2 300 Anwohner/innen zu. „Kürzlich hatten wir hier ein Hamen-Essen, da meinten die Bomis zu mir: Das haben Sie gut gemacht, wir zählen auf Sie!“

Dass es an politischer Tiefe, ja an Programm fehlt und Willkür the name of the game der Partei ist, dass das jedoch nicht unbedingt ein Problem sein dürfte, sondern Mandy Arendt sich trotzdem gute Chancen für die Kammerwahlen ausrechnen darf, scheint nach den Erfolgen der Piraten bei den Gemeindewahlen festzustehen. Rezente Umfragen sagen den Piraten eine Verdreifachung der Kammermandate voraus. Die Master-Demagogen, die dem Populismus eine gänzlich neue Visage mit Namen Transparenz und Datenschutz verpasst haben, die beeindruckende Rekrutierungskampagnen und einen fokussierten Imageaufbau hingelegt haben, kommen gut an. Bei den Enttäuschten Luxemburgs, die „post-ideologisch“ unterwegs sind, bei nicht-bürgerlichen Protestwähler/innen, die zurecht monieren, die etablierten Parteien würden sich immer mehr angleichen. 2011 schrieb Claude Gengler, ehemaliger Direktor des Quotidien und nun politischer Berater der Piratenpartei in dieser Zeitung: „Schließlich sollten Piratenparteien nicht zu Auffangbecken für frustrierte Anhänger oder Abweichler anderer Parteien degenerieren. (…) Die Piraten sollte man nicht künstlich groß reden; weg reden bringt aber auch nichts. Sie möchten als richtige Parteien wahrgenommen und gewählt werden.“ Bleibt festzustellen: In jedem Fall ist es ein Auffangbecken geworden. Offensichtlich stören sich weder die Parteispitze noch die Wähler/innen daran, dass bei der Antrittsrede eines neuen Piraten-Gemeinderatsmitglieds – Tammy Anna Broers in Esch – nicht viel mehr kommt als vom Handy abgelesene Plattitüden: „Fréier konnten d’Kanner dobausse spillen, elo net méi. Mer brauche méi Sécherheet (…) an eppes fir elengerzéihend Mammen.“ Im Gegensatz zu Mandy Arendt werden offenbar nicht alle ausreichend gecoached.

Opportunismus Marc Goergen nennt seine Partei „eine Software, die sich stets erneuern muss“, weil sie noch nicht lange existiert. Es klingt positiv, dabei weiß immer noch niemand so ganz genau, wo die Partei zu verorten ist. Eine Schwierigkeit für die etablierten Lager, wenn es um Konsens- und Koalitionsfähigkeit geht. Mandy Arendts Erfolg auf lokalem Niveau liege nicht unbedingt daran, dass sie eine Parteikarte hat, meint Goergen, sondern erkläre sich durch ihren Fleiß. Sie selbst versteht den Vorwurf von programmatischer Willkür nicht. „Wer ein bisschen herauszoomt, sieht schon, dass Politik eine große Mischung aus Ideen ist, wo es viele Überschneidungen gibt.“ Wenn alles und das Gegenteil wahr sein können, kann man sich wie einst Pippi Langstrumpf die Welt machen, wie sie einem gefällt.

Auf europäischem Level haben sich die Piraten in Luxemburg, Island und Tschechien in den Parlamenten etabliert. Seit Dezember 2021 besetzen Ivan Bartoš und Jan Lipavský, beide Piraten, zwei Ministerposten in der tschechischen Regierung – ein historisches Ereignis für eine Bewegung, die sich europaweit insgesamt bisher stark als Opposition und Alternative zum Status Quo der etablierten Parteien stilisierte.

Ein gewisser Stolz und erstarktes Selbstvertrauen angesichts der guten Resultate in den Gemeindewahlen ist der Partei hierzulande auch anzumerken. Im schicken, mit Efeu ausgekleideten Innenhof des Restaurants Plëss haben die beiden Piraten-Abgeordneten Sven Clement und Marc Goergen diese Woche ihre parlamentarische Bilanz gezogen und sich auf den Oktober eingestimmt. Ohne Mandy Arendt, die arbeiten musste – als Bürgermeisterin für Colmar-Berg stehen ihr lediglich 13 Stunden politischer Urlaub zu. Über einem vegetarischen Mittagessen rechnet Sven Clement vor, inwiefern die Roy-Reding-Affäre (siehe Seite 7) seiner Partei durch Restsitze in die Hände spielen könnte. Die Zersplitterung der politischen Landschaft und die Kleinstparteien sind für die Piraten von Vorteil.

Auf einem blauen Plakat in der Ecke steht „Gratis Wifi – well jiddereen e Recht op Internetzougang huet“. Daneben steht Sven Clement und zählt die Skandale auf, die die Regierung sich geleistet habe: Gaardenhaischen, Superdreckskëscht, Science Center, Film Fund, E-Santé. Marc Goergen und er brüsten sich mit ihrer hohen Anwesenheitsrate in der Kammer und den vielen von ihnen gestellten parlamentarischen Anfragen. Da rezente Umfragen den Piraten einen großen Erfolg im Oktober voraussagen, werden die beiden Politiker nun nach roten Linien für potenzielle Koalitionen gefragt. Mit einer ADR, déi Lénk, Mir d’Vollek oder Liberté Chérie werde man nicht zusammenarbeiten, antwortet Clement. Eine Verdopplung der Mandate könne man personell sehr gut tragen.

Fragt man die Anwärterin Mandy Arendt nach ihren politischen Vorbildern, nennt sie die Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP). Die souveräne Pandemie-Managerin sei bewundernswert. Auf internationaler Ebene findet sie Michelle Obama „super“. Sie sei das, was man sich als Partnerin eines Politikers vorstellt, und habe sicherlich auch die Politik ihres Mannes beeinflusst, da sie „immer an seiner Seite“ gewesen sei.

Wahlfreiheit Familienpolitik ist dann auch das Steckenpferd, das Mandy Arendt in den Wahlkampf trägt; quasi das Pendant zu Daniel Frères‘ Tierschutz, Jean Heuschlings Fokus auf Alleinerziehende und Tommy Kleins Bürgerbeteiligung. Sie zeigt sich auf der Jif, auf Familienfesten im Park ihrer Gemeinde. Um Familie und Beruf zu vereinbaren, müsse man Zeitmanagement beherrschen, auch ihre Mutter helfe ihr sehr viel, sagt sie. Sie ist davon überzeugt, das auch mit einem nationalen Mandat hinzubekommen. Das politische System müsse überdacht werden, wenn sich mehr Frauen engagieren. Genau wie die ADR und die CSV fordern die Piraten eine finanzielle Kompensation für Eltern, die ihre Kinder zuhause betreuen wollen, ein „ausgezahlter Chèque Service“. Es gehe darum, die Wahl zu haben, den Leuten das zu bieten, was sie brauchen. „Man müsste sich mal hinsetzen und schauen, ob es angebracht ist, dass eine Frau alles alleine tragen muss. Aber letztendlich trifft man solche Entscheidungen im Privaten. Die Politik sollte sich raushalten“, erklärt sie.

Vor Mandy Arendt war Christian Miny, ein junger Forstingenieur, Bürgermeister von Colmar-Berg, davor hatte der ehemalige LSAP-Abgeordnete Fernand Diederich 18 Jahre lang das Sagen. Was will die Piratin, die auch die erste Frau auf dem Posten ist, in dieser kleinen Gemeinde anders machen? In Colmar-Berg eine Crèche zu eröffnen, liege ihr besonders am Herzen, damit „Kinder in der eigenen Gemeinde betreut werden können“. Die neue Maison Relais soll ihre Türen im September 2024 öffnen, die Schule wird derzeit renoviert. Das nächste buzzword, Digitalisierung, fällt. Immerhin müsse man seine politischen Aufgaben auch von der belgischen Küste aus erledigen können. Fernand Diederich hält ihr einen Mangel an Erfahrung vor, sie kenne das „Terrain“ ganz und gar nicht. Er kandidiert nun prompt bei Fokus, um Arendt zu blockieren.

Bei einem Spaziergang durch den Park in Colmar-Berg zeigt sich, woran sich in kleinen Ortschaften tatsächlich die Geister scheiden. Auf einer Anhöhe neben einem Teich steht ein Windbaum, eine 8,5 Meter hohe Metallstruktur, die aus Wind Strom produziert. Er dreht sich noch nicht richtig. Es wurde verpasst, den Menschen zu erklären, warum das so ist, erzählt Mandy Arendt. Daraus schlage die Opposition dann Kapital. Das nächste Schlagwort der Piraten fällt alsbald: Bürgerbeteiligung. „Man hat hier ein wenig vergessen, die Menschen zu fragen, was sie denn überhaupt wollen“, sagt sie und lächelt.

Sarah Pepin
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