Die Krise ist vorbei

Gezeitenwechsel

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2011

Was bisher geschah: In der tiefsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten kündigte die Regierung nach dem Vorbild anderer Länder ein antizyklisches Konjunkturprogramm an. Es bestand aus einer langen Liste von öffentlichen Investitionen und Zuschüssen, von denen viele ohnehin geplant waren. Vor einem Jahr wurde dann der als Höhepunkt der Staatskunst beschriebene Ausstieg aus der Krise eingeleitet, die antizyklische Sparpolitik. Statt die Staatsfinanzen bis zum Ende der Legislaturperiode wieder ins Lot zu bringen, verursachte der Ausstieg erst einmal eine Koalitionskrise und den Abbruch der Tripartite-Verhandlungen.

Vergangene Woche wurde nun schon die dritte Etappe eingeleitet. Am Montag kündigte LSAP-Fraktionssprecher Lucien Lux freudig nicht das Ende der Krise an, wie vielfach treuherzig behauptet, sondern den für das Ende der Legislaturperiode geplanten Ausstieg aus dem Ausstieg. Am Freitag – dem 15. Juli 2011 – war dann der Gezeitenwechsel, der Wechsel von Ebbe und Flut in der Staatskasse. In der Mittagsstunde legte CSV-Finanzminister Luc Frieden der Öffentlichkeit seine schönen Zahlen vor, einen Anstieg der Steuereinnahmen im ersten Halbjahr um stolze 752 Millionen Euro. Zwei Stunden später unterzeichneten die CSV-Minister François Biltgen und Octavie Modert ein Gehälterabkommen und eine Gehälterrevision mit der CGFP.

Das Gehälterabkommen sieht eine Jahresprämie und eine Punktwerterhöhung vor, nachdem Premier Jean-Claude Juncker noch vor einem Jahr in seiner Erklärung zur Lage der Nation gemeint hatte, dass es „bis zum Ende der Legislaturperiode keine Punktwerterhöhung geben kann“. Außerdem sieht das von einer zufriedenen CGFP unterzeichnete Gehälterabkommen die „suppression à partir du 1er janvier 2012 de la contribution de crise de 0,8%“ vor. Wobei man sich wohl auswählen darf, ob man es bemerkenswerter findet, dass die authentische Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes nun Tarifhoheit für die Gesamtbevölkerung hat oder dass nur sechs Monate nach der Einführung einer offenbar ziemlich überflüssigen Steuer schon wieder ihre Abschaffung beschlossen wird – so hatte man sich das „europäische Semester“ jedenfalls nicht vorgestellt. Aber in Wirklichkeit hatte die Regierung den Gewerkschaften auch schon in der „Bipartite“ vom 29. September 2010 die Abschaffung der Krisensteuer für 2012 in Aussicht gestellt und tut es, weil es so schön ist, bis zu den Gemeindewahlen wohl noch ein paar Mal.

Das sieht alles nicht gerade kohärent aus. Die Anhänger von Komplotttheorien dürften darin eine langfristige machiavellistische Strategie christlich-sozialer Finanzkoryphäen zur Manipulation der Wählerschaft erkennen. Realistischer scheint aber, davon auszugehen, dass die Koalition ratlos zwischen Unternehmer- und Gewerkschaftsinteressen, Wahlterminen und Stabilitätsprogramm hin und her irrt und, in Churchills Worten, nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum stets das Richtige tut nach der Erschöpfung aller Alternativen.

Doch jene, die versprechen, es besser zu tun, scheinen vom gleichen Kaliber. DP-Präsident Claude Meisch wollte am Montag bei der Bilanzpressekonferenz seiner Partei die gestiegenen Steuereinnahmen vernünftiger anlegen als CSV und LSAP, nämlich zur Reduzierung des Defizits, zur Senkung der Steuern, zur Speisung des Schuldenfonds, zum Bau dreier Lyzeen und neuer Wohnungen, zur Finanzierung der Energiewende, der Forschung, der Universität und des öffentlichen Transports. So dass er noch vor dem Fingerfood die 752 Millionen Euro schon mindestens dreimal ausgegeben hatte.

Romain Hilgert
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