Finanztransaktionssteuer

Ausgetrickst

d'Lëtzebuerger Land du 06.07.2012

Vor zwei Monaten hatte Jean-Claude Juncker noch einmal am 8. Mai in seiner Erklärung zur Lage der Nation das Parlament beschworen, dass „unser natürlicher, unser logischer und unser erzwungenermaßen notwendiger Platz dort ist, wo Europa stattfindet. Sonst fallen wir aus der Wirklichkeit von morgen heraus. Europa ist ein wesentlicher Bestandteil der Luxemburger Staatsräson.“ Deshalb gelte auch „grundsätzlich: Luxemburg muss sich immer mit an die Spitze der europäischen Integrationsbewegung stellen“.

Das war, von Schengen über den Euro bis zur gemeinsamen Verteidigungspolitik, bisher immer der Fall und sollte auch für die Zukunft so gelten, wenn unter dem Druck der Schuldenkrise die nach dem Ende des Kalten Kriegs überstürzt erweiterte Union sich wieder in ein Kerneuropa und ein Randeuropa zu zersetzten droht.

Doch nur zwei Monate nach dem feierlichen Bekenntnis in seiner Erklärung zur Lage der Nation hörte sich das schon anders an. Vor dem Parlament bestätigte Juncker am Dienstag, nach dem  „wichtigen Gipfel“ vom Wochenende: „Luxemburg hat beschlossen, nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilzunehmen.“ Jene verstärkte Zusammenarbeit, mit der ein Teil der  EU-Staaten eine Finanztransaktionssteuer einführen will, um den unschönen Eindruck zu verwischen, dass die kleinen Leute einseitig die Kosten der Schuldenkrise aufgebürdet bekommen.
Die einst als Tobin-Steuer und Robin-Hood-Taxe belächelte und romantischen Globalisierungsgegnern zugerechnete Finanztransaktionssteuer soll nun auf Druck Deutschlands und Frankreichs Wirklichkeit werden. Die deutsche Regierung ist in der Schuldenkrise auf die Unterstützung der sozialdemokratischen und grünen Opposition angewiesen, um parlamentarische Mehrheiten für Gesetzes- und Vertragsänderungen zusammenzubekommen, und musste deshalb als Gegenleistung die Einführung einer Finanztransaktionssteuer versprechen. In Frankreich ist es der neue sozialistische Präsident und seine Regierung, die zeigen wollen, dass sie nicht nur ihre Wähler, sondern auch die Banken zur Kasse bitten. Wobei in hierzulande der böse Verdacht umgeht, dass Deutschland und Frankreich auch einer Finanztransaktionssteuer einführen wollen, um nebenbei dem Luxemburger Finanzplatz das Wasser weiter abzugraben oder ihn zumindest auszutricksen – selbst wenn davon bloß die Londoner City profitieren würde.

Mindestens neun Staaten müssen die Europäische Kommission beauftragen, Vorschläge für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auszuarbeiten. Bei einem Finanzministertreffen Ende vergangenen Monats hatten sich Deutschland und Frankreich, aber auch Österreich, Belgien, Portugal und Slowenien bereit erklärt, eine Finanztransaktionssteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit einzuführen. Bei einem merkwürdigen Vierertreffen in Rom meldeten auch Italien und Spanien an, dass sie mitmachen. Der für Steuern und die Zollunion zuständige Kommissar Algirdas Šemeta kündigte inzwischen an, dass mindestens elf Staaten ihre Teilnahme an der verstärkten Zusammenarbeit angekündigt haben.

Dass nun eine verstärkte Zusammenarbeit von EU-Staaten ohne Luxemburg zusammenkommen soll, hat den Premier „prinzipiell Überwindung gekostet, weil ich immer fand, dass Luxemburg immer dabei sein muss, wo mehr Europa stattfindet“. Es ist auch eine politische Niederlage für die Regierung. Weil Luxemburg dadurch sein Statut als Pionier der europäischen Integration in Frage stellt. Weil es, wie im Kampf um Bankgeheimnis und Informationsaustausch, wieder einmal die Interessen des Finanzplatzes vor seine europäischen Ideale zu stellen scheint. Und weil die Regierung eine peinliche Kehrtwende in der Frage der Finanztransak­tionssteuer nahm.

Noch vor zwei Jahren war Jean-Claude Juncker nämlich nicht nur im Ton der katholischen Sozial­lehre und des angeblich letzten Kommunisten ein leidenschaftlicher Befürworter einer Finanztransaktionssteuer. Er war damals sogar bereit, sie im kleinen Kreis einzuführen. Am 6. Juni 2010 erklärte er TV5 Monde: „Si les Britanniques, pour les raisons qui seront les leurs, refusaient de nous accompagner, je suis, je l’ai dit à l’Eurogroupe, en faveur de l’introduction d’une taxation sur les transactions financières au niveau du seul Eurogroupe.“

Der Wirtschaftswissenschaftler Albert O. Hirschman machte in The Rhetoric of reaction (1991) am Beispiel der Französischen Revolution die Argumentation deutlich, wie Reformgegner politische Maßnahmen verwerfen, die offen abzulehnen sie sich nicht trauen: Sie loben zuerst die gut gemeinte Absicht, um die angeblichen Folgen dann als „pervers“, „zwecklos“ und „gefährlich“ darzustellen.

Also beteuerte Jean-Claude Juncker am Dienstag zuerst: „Die Luxemburger Regierung ist prinzipiell für eine Finanztransaktionssteuer, wenn sie breit genug auf geografischer Basis aufgesetzt wird.“ Es sei nämlich „nötig, die hoch risikobehafteten Finanzprodukte extra zu besteuern“. Denn „der internationale Finanzsektor muss einen größeren Beitrag zur Mitfinanzierung der Folgen der Krisenbewältigung“ leisten.

Um dann die solchermaßen gelobte Finanztransak­tions­steuer als pervers darzustellen, denn sie entfaltet laut Juncker „keine Wachstumsdynamik“, sondern „in einzelnen Ländern eher das Gegenteil“. Statt die wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern, droht sie also, sie zu verschlechtern. Eine Finanztransaktionssteuer scheint auch zwecklos, denn die „Taxe d’abonnement ist bereits eine Belastung“. Nach Darstellung des Premiers hat Luxemburg also irgendwie und schon längst vor allen anderen eine Finanztransaktionssteuer. Schließlich stellte er eine Finanztransaktionssteuer auch als gefährlich dar, „das Risiko scheint mir unverhältnismäßig“.

Für den Premier geht es bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer „nicht um Luxemburger Banken, sondern um Beiträge, um elementare Solidaritätsleistungen des internationalen Finanzkapitals“. Das sehen auch fast alle anderen Parteien so, bei denen das Lavieren der Regierung auf viel Verständnis stößt.

Die Vollbremsung mit anschließender politischer Kehrtwende der Regierung erklärt sich mit der plötzlichen Angst um die Zukunft des milliardenschweren Geschäfts mit Investitionsfonds (d’Land, 22.6.12). Obwohl LSAP-Vizepremier Jean Asselborn noch im Mai am Treffen der Europäischen Sozialistischen Partei in Brüssel teilnahm, die erneut die Einführung einer Finanztransaktionssteuer verlangte, meinte er am Mittwoch auf Nachfrage, dass das Unternehmen „derzeit für Luxemburg zu riskant“ sei. Es könnte das Geschäft mit Investitionsfonds akut bedrohen. Nach Schätzungen der Bankenvereinigungen stünden bis zu 8 000 Arbeitsplätze hierzulande auf dem Spiel, und am Ende könnte nur die Londoner City profitieren. Deshalb habe weigere sich auch die irische Regierung, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen.

LSAP-Präsident Alex Bodry gab am Dienstag dem Premier Recht, dass Luxemburg für die Steuer, aber gegen ihre Risiken für den Finanzplatz sei. Dafür forderte er CSV-Finanzminister Luc Frieden auf, endlich Berechnungen vorzulegen, wie sich eine solche Steuer auf die Taxe d’abonnement auswirkte. Aus der Opposition heraus schien Claude Meisch (DP) den Rückzug der Regierung für so selbstverständlich zu halten, dass er gar nicht weiter darauf einging. Selbst Gast Gibéryen (ADR) teilte die Meinung der Regierung, und auch die Grünen verlangten nicht um jeden Preis eine Finanztransaktionssteuer, sondern rieten der Regierung aus taktischen Gründen, versuchsweise bei der verstärkten Zusammenarbeit mitzumachen, um die Diskussionen beeinflussen zu können.

Diese Idee „hatte ich auch, mitzumachen und zu schauen, was geschehen kann“, meinte Jean-Claude Juncker. Aber dann habe er sie „aufgegeben nach Gesprächen mit vielen Leuten in Europa und auch zu Hause“. Vor allem waren „die offiziellen Vertreter der ABBL [...] dagegen“. Obwohl er sich „überfragt“ nannte, „wenn es um die Einschätzung der Risiken geht, wenn Luxemburg mitmachte bei der verstärkten Zusammenarbeit“. Die Regierung könne die Auswirkungen „auf die Industrie der Investitionfonds“ nicht vorhersehen. Wenn sie „die Taxe d’abonnement abschaffen muss, ohne millimetergenau abzuschätzen, was wir an Stelle bekommen“, erscheint ihr das zu riskant.

Erst einmal an der verstärkten Zusammenarbeit teilzunehmen und mitzudiskutieren, hat auch für Jean Asselborn wenig Sinn: „Die neun oder zehn, die da mitmachen, sind fest entschlossen, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Deshalb lassen sie sich auch nicht zu Alternativen, wie einer Bank Levy, überreden.“ Für Jean-Claude Juncker besteht das Problem darin, dass „die Kommission zuerst einen Brief braucht von denen, die mitmachen, über den Inhalt, was Gegenstand der verstärkten Zusammenarbeit sein soll“. Und wenn der Luxemburger Vertreter sage, dass „die Investitionsfonds nicht darunter fallen sollen, die anderen acht aber dafür sind, dann kommt es“. Doch zum Trost könnte das Fehlen der Steuer hierzulande eine kleine Souvernäitätsnische öffnen.

Romain Hilgert
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