Sozialwahlzeit ist die Zeit der großen Gewerkschaftszusammenschlüsse. Das war bei den letzten Sozialwahlen so, als im Herbst 1999 der große Privatbeamtenverband angekündigt worden war. Allerdings hielt der gute Vorsatz nicht einmal bis zu den Wahlen. Denn für die Privatbeamtenkammer kandidierte eine Confédération des employés privés (CEP), wie sich das Syndicat national des employés privés-rénovateurs (SNEP-R) umgetauft hatte, um einige zusätzliche Dissidenten der FEP aufzunehmen, und die Union des employés privés (UEP), wie die Aleba sich zur Feier des Tages in den Nicht-Bankensektoren umgetauft hatte, um ebenfalls einige FEP-Dissidenten aufzunehmen. Kontakte mit dem NGL waren rasch aufgegeben worden, weil er sich einige Wochen lang selbst als Hausgewerkschaft des ADR ausgegeben hatte. Die FEP, die sich zwei Jahre zuvor noch zur FEP-Fit et cadres aufgemotzt hatte, hatte bekanntlich nicht mehr kandidiert, weil sie nach offizieller Darstellung fünf Minuten nach Büroschluss die zur Kandidatur notwendigen Auszüge aus dem Strafregister besorgen wollte.
Und weil nächstes Jahr wieder Sozialwahlen sind, waren sie vergangene Woche unter Anführung der Aleba fast alle wieder vereint, die Splitterorganisationen mit den pompösen Namen und den eigenartigen Zisch- und Knacklauten als Kürzel. Das SNEP-R hat sich inzwischen sogar zur Confédération des employés privés – Syndicat national des employés privés-rénovateurs (COEP-SNEP-R) verbessert.
Die Fusion zu einer großen parteipolitisch neutralen Privatbeamtengewerkschaft stellten sie etwas vage in Aussicht und etwas konkreter gemeinsame Listen für die Wahlen zur Privatbeamtenkammer und -krankenkasse.
Für die nächsten Sozialwahlen haben sich die Spielregeln jedoch geändert: Es geht nicht mehr darum, von der klinisch toten FEP deren nationale Repräsentativität zu erben, sondern die Bedingungen der geplanten Gesetzesnovelle zu erfüllen. Diese Bedingungen gefallen aber der tonangebenden Aleba gar nicht, und sie mobilisiert seit Wochen gegen die Definiton der nationalen Repräsentativität, wie sie im Gesetzesvorentwurf von Arbeitsminister François Biltgen vorgeschlagen wird. Die Aleba möchte sich nicht mit der ihr auf den Leib geschneiderten sektoriellen Repräsentativität im Finanzbereich zufrieden geben, sondern strebt die nationale Repräsentativität an.
Um eine Änderung von Biltgens Vorschlag zu erreichen, zielt die Kampagne der Aleba unausgesprochen auf die DP. Die Liberalen sollen Druck auf ihren Koalitionspartner CSV ausüben, denn schließlich haben sie sich seit Jahren zu Fürsprechern einer Liberalisierung des Kollektivvertragsgesetzes gemacht. Wobei der DP eine große, neue Gewerkschaft in der neuen Mitte einmal ebenso nützlich sein könnte wie bei den letzten Wahlen die CGFP.
Doch der Vorschlag des eng mit dem LCGB verbundenen Arbeitsministers sieht hinterhältigerweise vor, dass eine wirklich national repräsentative Gewerkschaft künftig Arbeiter und Angestellte organisieren müsste. Dadurch liefe die Aleba nicht nur Gefahr, ihre letztes Jahr vom Verwaltungsgerichtshof bescheinigte nationale Repräsentativität wieder zu verlieren. Schlimmer: ihren ganzen korporatistischen Diskurs müssten die Privatbeamtengewerkschafter aufgeben. Denn mehr noch als mit der parteipolitischen Unabhängigkeit werben sie mit der Verteidigung des angeblich von Gleichmacherei und Sozialaufsteigern aus dem Arbeitermilieu bedrohten Angestelltenstatuts. Auch wenn die technische Entwicklung und die ersten Tarifverträge in großen Unternehmen die Trennung von Arbeitern und Angestellten längst überholt haben: ob in der Produktion oder der Verwaltung, alle arbeiten sie an denselben Computern.
Das mit der Modernisierung der Gewerkschaften ist eben so eine Sache. Denn irgendwie liegen auch die Ursachen für den Konkurs der Briefträgergewerkschaft im Trend der Zeit: Gewerkschaften werden heute weniger als Kampforganisationen verstanden, mit denen die Lohnabhängigen kollektiv ihre Interessen gegen die Unternehmer durchsetzten oder schützen. Dafür werden sie immer häufiger als Dienstleistungsanbieter angesehen, Pannendienste, an die appelliert wird, wenn am Arbeitsplatz etwas schief läuft, und die neue Mitglieder mit allerlei gewerkschaftsfremden Diensten locken. Der OGB-L besitzt beispielsweise sein eigenes Reisebüro Atol, die CGFP ihre Lux Voyages CGFP, doch auch der LCGB bietet Urlaubsreisen an. Der OGB-L wirbt mit Vorzugsbedingungen bei der P[&]V-Versicherung und Dexia-Bil einschließlich eigener Kreditkarten, bei OGB-L und LCGB erhält jedes Mitglied eine kostenlose Freizeitunfallversicherung, die CGFP verkauft Lebensversicherungen, Autoversicherungen und Haftpflichtversicherungen, bietet neuerdings billige Verbraucherdarlehen an und verfügt über den nun ins Rampenlicht gerückten Service placements.
Genau dieses System des Service placements versprach die Briefträgerwerkschaft noch zu verbessern, als sie 1985 aus der CGFP austrat. Bei der CGFP hätten nämlich Vorstandsmitglieder Einsicht in die Sparkonten der Mitglieder gehabt, hieß es nachträglich. Deshalb versprach die nunmehr selbstständige Briefträgergewerkschaft ihren Mitgliedern, wiederum ganz im Trend der Zeit, eine Verbesserung des Bankgeheimnisses: nur der Präsident sollte Einblick in und Verfügungsgewalt über die Konten des Anlagenfonds bekommen. Am Gericht ist es nun zu entscheiden, ob diese Alleinherrschaft über mehrere hundert Millionen Franken anderer Leute eine Versuchung war, der der Präsident ziemlich schnell erlag. War dies der Fall, dann erwarb er sich tagsüber große Verdienste um die Gewerkschaft und trieb sie gleichzeitig nachts in den Ruin.
Denn der von einem Tag zum anderen kopflos gewordene Nationalrat der Gewerkschaft beschloss am Montag auf Anraten von in privater Geschäftslogik gefangenen Anwälten, die unheilvolle Vermischung von Gewerkschaft und privaten Sparkonten auf die Spitze zu treiben und die Gewerkschaft wie eine zahlungsufähige Aktiengesellschaft zu liquidieren. Ein außerordentlicher Kongress soll Ende nächster Woche über die Auflösung entscheiden.
Danach soll versucht werden, eine Auffangstruktur zu schaffen, um die gewerkschaftlichen Interessen der Briefträger weiter zu vertreten, möglicherweise in Anlehnung an eine andere Gewerkschaft.
Und an Interessenten für die Konkursmasse der FSFL fehlt es nicht. Da wäre die CGFP, aus der die Briefträger vor 17 Jahren ausgetreten sind. Sie verfügt sogar über einen erfolgreichen Anlagenfonds, in den wohl auch manche jener Richter und Polizeibeamte einzahlten, die nun die Rechtsmäßigkeit solcher Fonds untersuchen sollen. Ob der vor rund zehn Jahren abgesplitterte Neutrale Lëtzebuerger Bréifdréierverband innerhalb der CGFP von Vor- oder Nachteil bei einer Zusammenführung wäre, ist offen, da noch immer mancherlei Ranküne besteht.
Diplomatisch unkomplizierter wäre vielleicht die Zusammenarbeit mit dem Postsyndikat, das allerdings lediglich ein Berufsverband anderer Laufbahnen bei der Post ist.
OGB-L-Präsident John Castegnaro erklärte, dass seine Gewerkschaft offen für enttäuschte Briefträger sei, ohne das Überleben der FSFL aber durch Abwerbeaktionen zusätzlich aufs Spiel zu setzen. Dass dem OGB-L nach der Übernahme des Berufsfahrerverbands Acal der FNCTTFEL ein ähnlicher Coup mit der Briefträgergewerkschaft gelingt, ist jedoch zweifelhaft. Denn viele Briefträger fühlten sich beim Streit um die Abschaffung der 5/6-Pensionen im öffentlichen Dienst vom OGB-L verraten.
Aus diesem Grund steht die FSFL dem Landesverband FNCTTFEL näher, da auch die Statuten von Bahn und Post Ähnlichkeiten aufweisen. Beide Gewerkschaften arbeiteten im Kampf um die Pensionen und bei den Gehälterverhandlungen im öffentlichen Dienst bereits eng zusammen. Inzwischen bot auch der im öffentlichen Dienst so gut wie nicht präsente LCGB den Briefträgern Hilfe an.
Doch am weitesten wagte sich die Aleba vor. Sie bot den Briefträgern gleich “son conseil et son aide financière pour la mise au point d‘une nouvelle structure syndicale digne de ce nom“ an. Offenbar verfolgt die Bankgewerkschaft eine Ersatzstrategie, wenn Biltgens Gesetz trotz allen Widerstands in der vorgeschlagenen Form gestimmt würde. Für diesen Fall will die Aleba es sich offenbar etwas kosten lassen, um in andere Sektoren vorzustoßen und so der neu definierten nationalen Repräsentativität doch nahe zu kommen.
Doch das Ergebnis zumindest der letzten Sozialwahlen zeigte, dass die meisten Wähler sich im Zweifelsfall für die großen Gewerkschaften entscheiden, von denen sie sich langfristig die sicherste Vertretung ihrer Interessen versprechen.
Mario Hirsch
Catégories: Relations sociales
Édition: 05.07.2001