ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Voodoo economics

d'Lëtzebuerger Land du 30.06.2023

Diese Woche verabschiedete das Parlament eine Erhöhung der Einkommensstufen der Steuertabelle und eine provisorische Steuergutschrift. Als kleiner Trostpreis kurz vor den Wahlen. Die Regierung plante eine große Steuerreform. Die Covid- und Energiekosten ließen kein Geld mehr übrig. Nun können sich die Parteien im Wahlkampf mit Versprechen von Steuersenkungen überbieten. Sie wissen: Nichts ist käuflicher als ein Wähler.

Den Anfang macht die CSV. „Ech hätt gären, datt an enger CSV-Regierung, wou d’CSV dran ass, datt d’Steiere fir jiddereen erofginn.“ Verspricht Spitzenkandidat Luc Frieden. Bei der Einkommensteuer würde er „den Agangssteiersaz méi spéit“ beginnen lassen. Er würde „d’Tranchë méi breet maachen“. Sie um ein Viertel auf „Tranchë vun 2 500 Euro“ vergrößern. Er würde „eng integral Adaptatioun vum Steierbarème un d’Inflatioun“ vornehmen. In die Steuerklasse 1A kämen Steuerpflichtige „haut no dräi Joer, mir wëllen dat op sechs Joer erhéichen“. Junge Haushalte bekämen „steierlech méi Ofschreiwungsméiglechkeeten“.

Für Veräußerungsgewinne auf Immobilien verspricht die CSV, „datt do e manner héiche Steiersaz ufällt“. Für Ertragshäuser würde „de Steiersaz vun der TVA vu 17 op dräi Prozent“ gesenkt. Luc Frieden verspricht, dass „déi ekologesch an déi digital Transitioun och steierlech begleed gëtt. Dat kascht ganz vill Suen“ (RTL, 19.6.23).

Der Unternehmerdachverband UEL fordert eine Senkung des „taux global de l’impôt des sociétés pour le ramener dans la moyenne internationale“ (Nos propositions en matière de fiscalité, S. 3). Luc Frieden verspricht „la réduction du taux de l’impôt sur le revenu des collectivités pour aboutir à la moyenne de l’OCDE“ (Paperjam, 20.6.2023).

Die CSV schmeißt eine Runde Steuersenkungen für das ganze Lokal. Die Kosten und die Finanzierung spielen keine Rolle. Luc Friedens Absicht ist eine andere: „Eise Modell baséiert also drop, datt mat manner Steiere méi Aktivitéit entsteet, déi kënnt de Betriber zegutt, déi kënnt den Aarbechtsplazen zegutt an domadder kommen dann och erëm méi Steieren eran“ (Radio 100,7, 20.6.2023).

Das Modell der CSV ist nicht neu. Es stammt aus den USA. Der spätere Präsident George H. W. Bush nannte es 1980 „voodoo economics“. Seit dem Bankenkrach und Covid hat es kaum noch Verfechter. Einer der letzten war der britische Schatzkanzler Kwasi Kwarteng. Er legte es dem Unterhaus im vergangenen Herbst als „mini-budget“ vor: „And our plan is to expand the supply side of the economy through tax incentives and reform. [...] And cutting taxes to boost growth“ (23.9.22). Das glaubten nicht einmal die Nutznießer: Das Pfund stürzte auf einen historischen Tiefstand ab, die Zentralbank musste mit Anleihenkäufen Pensionsfonds retten, Kwarteng und Premierministerin Liz Truss wurden aus dem Amt gejagt.

Arbeiterinnen, Angestellte, Rentner mit wenig Einkommen zahlen wenig Steuern. Sie haben wenig von Steuersenkungen. Steuersenkungen nutzen massiv den Unternehmen, den Vermögenden und den Beziehern hoher Einkommen. Die Mittelschichten bekommen Schweigegeld.

Steuersenkungen verringern die Staatseinnahmen, vergrößern das Staatsdefizit. DP, LSAP, Grüne und CSV einigten sich auf einen Saldo von mindestens null Prozent und eine Schuld von höchstens 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. De Stabilitéitsprogramm 2023 sieht für nächstes Jahr ein Defizit von –1,7 Prozent vor. Die Staatsschuld soll bis 2027 auf 29 Prozent steigen (S. 26). Da bleibt wenig Spielraum.

Die Maastricht-Kriterien lassen bei Steuersenkungen nur einen Ausweg zu: Ausgabenkürzungen. Gemeint sind Ausgabenkürzungen für die abhängigen Klassen, beim Sozialstaat. Damit die besitzenden Klassen weniger Steuern zahlen müssen. Vodoo economics plus Schuldenbremse schaffen einen künstlichen Sachzwang. Damit der Staat von unten nach oben umverteilen kann.

Romain Hilgert
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