Theater

Goldgräberstimmung mit Kindern

Die Kinder tragen Masken im Aquatunnel : ein beklemmendes Erlebnis
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 10.11.2017

Kinder, Kätzchen und nackte Frauen funktionieren im Zweifel immer. Das weiß auch Serge Tonnar. Nachdem er mit Letters from Luxembourg zuletzt Flüchtlinge und ihren beschwerlichen Weg nach Luxemburg exotisch wie in einem Zirkus ausgestellt hat, mit Bonjour an Awuer Demente vorgeführt und mit der Friture Henriette um Tour sich selbst in einem Kirmeszelt abgefeiert hat, folgt nun mit Ënnert eis ein interaktives Theaterspektakel, bei dem Kinder aus dem SOS Kinderdorf durch einen Tunnel im Pfaffental führen und ein bisschen Theater spielen dürfen. Denn die Kinder haben es im wahren Leben sehr schwer, erfahren die Zuschauer immer wieder. „Man darf nicht vergessen, dass ihr Alltag nicht immer so einfach ist, so goldig wie unsere Kulisse“, wirbt auch das Journal in einer Ankündigung für das Stück.

Gelungen ist Ënnert eis insofern, als dass das Maskénada-Kollektiv es mit seinem Konzept ein Stück weit schafft, die Zuschauer in eine andere Welt zu entführen. Bei der goldenen Kuppel an der Fondation Pescatore finden sich die Zuschauer ein und werden von fabelartigen Wesen in Empfang genommen. In der Kuppel stellen sich die Besucher der Reihe nach auf und werden von dort aus ins Pfaffental gelotst. Eine süße Kinderstimme ertönt aus einem Mikrofon, das am Arm eines der Zwerg-Guides (Tammy Reichling) baumelt und gibt Anweisungen. Heitere Musik begleitet einen den Weg hinunter ins Pfaffental. Im Panorama-Lift hört man die Kinderstimme: „Keng Panik, wann ech gelift – hei passen 65 Leit eran!“

Aus dem Aqua-Tunnel unterhalb der Festungsstadt treten Nebelschwaden, während ein Kind die goldenen Regeln verliest: „Mir solle kee Kaméidi maachen!“ oder „Mir sollen net an den Hondsdreck trëppelen“. Die Zuschauer laufen der Reihe nach in den Tunnel und lassen die Dunkelheit auf sich wirken. „De gëllene Mëttelwee“ steht in goldenen Lettern an eine Wand geschrieben.

Schließlich trifft man auf die Kinder, die – ganz in Gold bemalt – rechts und links auf Bänken liegen und sich die Augen reiben, wie aus dem Winterschlaf erwachend. Auch sie werden die Zuschauer durch den Tunnel lotsen. Die märchenhafte Atmosphäre wird verstärkt durch ein Wesen mit einer venezianischen Maske, dessen unheimliches Vogelgesicht in einer Videoproduktion an einer Wand gespiegelt wird. Man stößt auf einen Tisch, der in Goldfolie eingepackt glänzt wie ein Schrein. Die Kinder kippen darauf Zucker und Cornflakes aus und mischen darin herum, als würden sie einen Kuchen backen. Die Farbe Gold begleitet einen ständig. „Well d’Kandheet ass Gold wäert, an d’Kanner si Gold wäert“, schreibt Serge Tonnar im Vorwort zum Stück.“

Auf der Suche nach der verlorenen Kindheit laufen die Besucher zum Teil gebückt durch den feuchten Tunnel und werden angehalten, vor kleinen Attraktionen und Installationen Halt zu machen. Auf Anweisungen der Guides geht man in die Hocke und blickt auf eine Mini-Fotografie-Galerie an den Wänden des Tunnels. Ein maskierter Junge sitzt auf einem vergoldeten Klo, wirft abrupt sein Comic-Heft weg und läuft davon. Die Zuschauer folgen ihm. Unter Trommeln und Geschepper geht es in die Rue des Bains. Straßenschilder lassen erkennen, unter welchem Teil der Oberstadt man sich gerade befindet. Eine Wasserinstallation weist auf die Schwimmanlage hin, drei maskierte Kinder in Arbeiteroveralls bedienen eine Maschine. Ein auf den Boden gemaltes Himmel-und-Erde-Spiel lockt junge Besucher zum Hüpfen. An der „Place d’armes“ marschiert ein Kind, einen Soldaten imitierend, und mahnt: „Place d’armes – pas d’armes!“. Bunte Luftballons und Spiele an Stelle von Waffen, lautet die Message.

Dazu werden aus dem Off moralische Texte verlesen: „Kindsein bedeutet für mich, eine gute Erziehung gehabt zu haben, das Recht auf Familie, Spaß, Freude, Streit, Pubertät, Bildung, Erwachsen werden. Das zu haben, was es für mich nicht gab...“ Dann fällt der Blick auf Stühle, angeordnet wie in einem Klassenzimmer. In einer Choreografie verrichten die Kinder ihre Aufgaben. Ein Junge nimmt an einem Klavier Platz und klimpert munter drauflos. Aus dem Off wird einem wie mit dem Hammer eingebläut: „Kind zu sein bedeutet... von Vater und Mutter in den Arm genommen zu werden und gesagt zu bekommen: Das wird besser, ist nicht so schlimm, wir lieben dich trotzdem. Jeder hat das verdient.“

Nach einem Kilometer Fußmarsch stößt man am Ende des Tunnels in eine mit Goldfolie ausgekleidete Höhle. Von der Decke baumelt eine Diskokugel. Volksbarde Tonnar packt seine Gitarre aus und trällert noch ein Lied, während die Kinder versöhnlich dazu schunkeln. In einer Choreografie singen sie gemeinsam den Kannerduerf-Song, der ihre eigene missliche Situation reflektiert: „Bei der Famill kann ech net sinn, an hunn och keng Zukunft gesinn, no laanger Rees hunn ech entdeckt. Zu Miersch e wonnerschéine Fleck...“

So wird man trotz zauberhafter Atmosphäre das Gefühl nicht los, dass die Kinder und ihr Leid hier letztlich instrumentalisiert werden, damit sich andere als „sozial“ gebärden und in den Vordergrund stellen können. Ënnert eis ist ein beklemmendes Erlebnis, das einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Ënnert eis – eine Produktion von Maskénada und dem SOS Kannerduerf. Mit Kindern aus dem SOS Kinderdorf und: Alexandra Bentz, Luisa Bevilacqua, Gianfranco Celestino, Catherine Elsen, Misch Feinen, Raphael Gindt, Tammy Reichling. Künstlerische Leitung: Serge Tonnar. Produktionsleitung: Dani Jung, Maske: Jöel Seiller, Assistenz: Ahmed Dablat. Nächste Spieltermine am 11., 12., 18., 19. und 25. November um 16 Uhr am Aquatunnel in Luxemburg-Stadt; www.maskenada.lu.

Anina Valle Thiele
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