Revolution von Anfang an

Neun „konkrete“ Maßnahmen

d'Lëtzebuerger Land du 18.11.2016

Mit Etienne Schneiders Urlaubslektüre im Sommer vergangenen Jahres fing es an : Er entdeckte die Thesen des Jeremy Rifkin über die fortschreitende Digitalisierung. Mit Carlo Thelen, dem Direktor der Handelskammer, diskutierte er diese Thesen beim Besuch der Weltausstellung in Italien. Er nahm Kontakt auf und verhandelte einen Preis.

Am 24. September kündigte der Wirtschaftsminister zusammen mit Jeremy Rifkin Thelen, an, es werde unter Leitung des amerikanischen Zukunftsforschers eine strategische Studie zur Umsetzung der dritten Industriellen Revolution durchgeführt. Für diese Dienstleistung sollten Rifkin und sein Team 425 000 Euro erhalten. Ein Spottpreis, wie Rifkin sagte, demzufolge eine wirtschaftliche Revolution eintritt, wenn neue Kommunikations- und neue Transportmethoden zusammen mit der Erschließung neuer Energiequellen die Produktionsprozesse verändern. In diesem Fall meint er erneuerbare Energien und neue Vernetzungsmöglichkeiten durchs Internet.

Die Kosten für die Studie teilen sich Staat und Handelskammer, Staatsunternehmen wie die Post oder Enovos traten als Sponsor auf. Nach einem ersten Auftritt Rifkins beim Luxembourg Sus­tainability Forum im Herbst 2015 begannen die Arbeiten an der Studie unter der praktischen Leitung der Handelskammer und der Managervereinigung Inspiring more sustainibility (IMS).

Die thematische Leitung übernahm ein Steuerungskomitee, dem neben hochrangigen Beamten aus dem Wirtschaftsministerium Mitarbeiter von Handelskammer und IMS angehörten. Gewerkschaften und Vertreter der Salariatskammer waren ausdrücklich vom Steuerungskomitee ausgeschlossen. Ihnen stand die Teilnahme an den Arbeitsgruppen offen, auf die sie verzichteten. Dennoch bearbeiteten 300 Leute Themenfelder: sechs eigenständige Themengebiete – Energie, Mobilität, Bautechnik, Lebensmittelherstellung, Industrie und Finanzbranche – sowie drei branchenübergreifende Themenkomplexe – intelligente Wirtschaft, Kreislaufwirtschaft und Prosumenten – Verbraucher, die eigene Produkte erzeugen – und Sozialmodell. Im Juni fand ein Exekutivseminar unter der Leitung Rifkins statt. Im frühen Herbst lagen die Berichte der Arbeitsgruppen vor, die zusammen die 474 Seiten dicke The 3rd Industrial Revolution Strategy Study for the Grand Duchy of Luxembourg ergeben. Der Bericht kann, seit am Montag das große Vorstellungsevent in den Messehallen stattfand, wie auch eine Zusammenfassung von 136 Seiten auf www.tirluxembourg.lu heruntergeladen werden. Die Zusammenfassung hebt pro Themenblock jeweils fünf Prioritäten hervor, deren Umsetzung angepeilt wird und die von der Schaffung eines nationalen Energieinternets über die Verteilung von Mehrwertsteuernummern an die Prosumenten bis hin zu Schulkursen für den besseren Umgang mit Geld reichen.

Bei der Vorstellung der Studienergebnisse am Montag versprach Etienne Schneider die baldige Umsetzung von neun Maßnahmen: Der Einrichtung des nationalen Energie­internets, also des intelligenten Stromnetzes; die Förderung der Elektromobilität bei Personenfahrzeugen; die progressive Einführung von Mobilität als Dienstleistung, Konzept bei dem Reisende unterschiedliche Transportmittel zur Fortbewegung kombinieren; die Durchführung eines Vorzeigeprojekts in einem Stadtviertel nach sozioökonomischen und Nachhaltigkeitskriterien; die Ausarbeitung eines Fahrplans Richtung nachhaltige und nachvollziehbare Lebensmittelproduktion; gemeinsam umgesetzte Technologieplattformen für Industrie und öffentliche Forschung; Aufbau einer Plattform zur Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung; Aufbau von Kapazitäten im Bereich der Hochleistungsrechner und die Förderung der Kreislaufwirtschaft durch die öffentlichen Ausschreibungen.

Die Namen derjenigen, die in den Arbeitsgruppen mitgearbeitet haben, sind im Programmheft vom Montag veröffentlicht, allerdings ist nicht ersichtlich, wer an welchen Gruppen beteiligt war und für welche Firmen diese Personen tätig sind.

Laut Etienne Schneider soll der Bericht Grundlage für weiterführende Diskussionen sein. Er will, dass die dritte Industrielle Revolution in Schulen und irgendwann Mitte nächsten Jahres im Parlament diskutiert wird. Außerdem soll der Wirtschafts- und Sozialrat ein Gutachten abgeben, wobei die Gewerkschaften vor wenigen Wochen noch nicht mitmachen wollten.

Sollten die Vorschläge aus der Studie umgesetzt werden, rechnen die Autoren mit der folgenden Entwicklung: Die Bevölkerung soll bis 2050 auf 1,05 Millionen Einwohner ansteigen, die Stromrechnung um 821 Millionen Euro jährlich reduziert werden, die Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen und 42 500 Jobs allein in Verbindung mit der dritten Industriellen Revolution entstanden sein.

Michèle Sinner
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