Meyer, Roland: Muedebëtzeg

Wo der Wurm so alles drin ist

d'Lëtzebuerger Land du 08.06.2012

„Muedebëtzeg“, das heißt zu Deutsch: „wurmstichig“ oder (etwas weniger genau) „faul“. Roland Meyer ist bei der Titelgebung für seinen Roman auf ein interessantes, wenig verbreitetes Wort gestoßen, das vielfältige Anwendungen zulässt. „Faul“ ist am Leben des Protagonisten das meiste: Paul ist Architekt und geht mittlerweile mit zügigen Schritten auf das Rentenalter zu. Sein Leben, seine Ehe mit Laura, sein soziales Umfeld und sogar seine Arbeit erscheinen ihm schon lange ganz, ganz fade. Der Überdruss ist so unerträglich, dass er sich regelmäßig schon beim Mittagessen mit ein bis zwei Flaschen Wein gehörig volllaufen lässt, um den Rest des Tages zu überstehen. Er trinkt zuviel, er isst zuviel, er interessiert sich für kaum etwas anderes als Pornos. Das Resultat seiner Lebensweise lässt sich schon nicht mehr verbergen: Er hat Übergewicht, ist zum Alkoholiker geworden und lebt an seiner Frau vorbei. Kurz: Paul ist im Wesentlichen ein unzufriedener, unangenehmer, alter Sack. Immerhin weiß das auch die Figur. Aus Überdruss an sich selbst und ihrem Leben schafft sie sich selber ab: Das Buch setzt mit einer Perspektivverschiebung ein, in der ein vom Erzähler mit einer aufwändigen Biografie versehener Obdachloser Paul beim Selbstmord am Strand von Cannes beobachtet. Auf den zweihundert folgenden Seiten sieht der Leser Paul dabei zu, wie er seinen letzten Tag in Cannes verbringt (essend, trinkend, an Sex mit einer Fremden denkend) und dabei auf dieses Ende zusteuert. Letztlich legt es der Autor darauf an zu zeigen, wie ein Leben, in dem ohnehin schon der Wurm ist, so faul und madig werden kann, dass es nicht mehr auszuhalten ist.

Die Katastrophe beginnt mit einem beispiellosen Selbstbetrug: Dass er nicht im geringsten in die Zielgruppe von attraktiven Blondinen gehört, ist Paul eigentlich bewusst, als er Isabel nach Hause begleitet, um dort sein Stellungs-ABC zu erweitern. Dass sie ihn danach immer wieder sehen will, wundert ihn ebenfalls. Doch selbst als Paul merkt, dass es Isabel nicht um Liebe oder Sex geht, sondern einzig und allein um sein Geld, findet er keinen Ausweg aus der Affäre. Rate für Rate zahlt er die Renovierung von einem alten Haus (wieder etwas „Wurmstichiges“), das Isabel geerbt hat. Unterdessen erfährt Laura von ihrer Brustkrebserkrankung. Aus schlechtem Gewissen verlässt Paul sie zunächst nicht. Dann geht es Schlag auf Schlag: Laura verlässt Paul für einen jüngeren Mann und wird wieder gesund, Paul lebt allein, trinkt und trinkt und trinkt und wird schließlich von Isabel verlassen, nachdem er die Renovierung abbezahlt hat.

Wo also alles der Wurm drin sein kann: in einem verkorksten Leben, in einer Beziehung, in einem alten Haus. Soweit ist die Metapher durchaus tragbar. Etwas schwieriger wird es zwar mit Lauras Krebserkrankung, – angesichts der Analogie zwischen dem verfaulten Apfel, den sie in ihrer Küche vorfindet, und der von Krebszellen befallenen Brust, hätte Susan Sontag den Roman sicher erbost gegen die Wand geworfen – , aber aus der Sicht der Figur mag der Vergleich durchaus nahe liegen. Auch dass der Autor sich bemüht, das Titelwort so fest wie möglich im Wortlaut des Romans zu verankern, wirkt verständlich, wenn er es auch dem Leser hätte überlassen können, einige Analogien selbst zu finden.

Wo die Analogie aber auf keinen Fall hätte widergespiegelt werden müssen, ist die Sprache des Romans. Es gehört schon einigen Mut dazu, eine durch und durch unsympathische Figur in den Mittelpunkt einer Romanhandlung zu stellen, umso mehr, wenn das Leben dieser Figur vor Ödnis und Sinnlosigkeit nur so strotzt. Die Schwierigkeit, die es bei einer solchen Romankonzeption zu bewältigen gilt, besteht darin, den Überdruss der Figur nicht zum Überdruss des Lesers werden zu lassen, damit der Leser das Buch nicht nach ein paar Seiten gelangweilt zuklappt (beziehungsweise verärgert gegen die Wand wirft). Die Sprache dieses Romans ist nun leider überhaupt nicht dazu geeignet, diese Schwierigkeit zu beheben: Es wimmelt vor unnötigen Wiederholungen und Pleonasmen, die den Text unnötig in die Länge ziehen. Diese sprachliche Unentschlossenheit lässt sich in vielen Details beobachten: „wéi wann d’Isabel sech hien erausgesicht, erausgepickt hätt“ (S. 193), „well se alles erreecht hunn, wat d’Liewe fir si virgesinn, reservéi[-]ert hat“ (S. 160), „hatt [huet] ugefaangen ze jäizen, ze blären, ze hurelen, ze bierelen, nom Isabelle ze ruffen“ (S. 36) usw. Sie befällt aber auch ganze Abschnitte: „hien hat d’Laura opginn, hatt sëtzegelooss. Hien hat kee Recht méi op hatt, hien hat hatt ewechgehäit, ‚entsuergt’, sech senger entleedegt. Hie war dobäi deen Aktiven, hie war de Motor an hie war verantwortlech“ (S. 192). Diese Emphasen wirken ermüdend, weil sie dem Text inhaltlich nichts hinzufügen. Da sind dann auch die Sexszenen höchstens ein schwacher Trost.

Roland Meyer: Muedebëtzeg. Roman. 215 S. Op der Lay, Esch-Sauer 2011. ISBN 978-2-87967-178-9.
Elise Schmit
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