Die Steuerklasse 1a meldet sich im Wahlkampf zurück

Eine menschlichere Steuerreform

d'Lëtzebuerger Land du 24.08.2018

Seit 30 Jahren geht ein Stöhnen durch die Reihen der Witwen und Witwer, Alleinerziehenden und Rentner, wenn sie an die Steuerklasse 1a erinnert werden und sich als Opfer einer schreienden Ungerechtigkeit fühlen. Nun ist die Steuerklasse 1a auch wieder ein Wahlkampfthema.

Die Steuerklasse 1a war 1990 von einer CSV/LSAP-Koalition auf Betreiben von Finanzminister Jean-Claude Juncker (CSV) eingeführt worden. Laut Motivenbericht seines damaligen Gesetzentwurfs sollte so die „ungerechtfertigte Anwendung des Ehegattensplittings beseitigt und die steuerliche Benachteiligung der Ehe im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens beendet werden“. Diese Jagd auf Ehepaare, die sich zwecks Steuerersparnis bloß auf dem Papier trennten oder scheiden ließen, war aber nur ein Vorwand, da ihre geringe Zahl in keinem Verhältnis zur Umklassierung von Zehntausenden stand.

Fast drei Jahrzehnte nachdem die LSAP-­Fraktion am 29. November 1990 einmütig die Reform gestimmt hatte, sprach LSAP-Minister Nicolas Schmit am 19. Juni 2018 bei RTL von einer „unsäglichen Steuerklasse 1a“, die „1990/91 von der CSV durchgesetzt wurde, aus ganz zwielichtigen moralischen Ursachen“, nämlich „verheiratete Leute müssen bevorteilt werden im Vergleich zu Leuten, die nicht verheiratet sind“.

Als die Steuerklassen I für Junggesellen, II für Verheiratete und III für Eltern abgeschafft wurden, schuf das Reformgesetz vom 6. Dezember 1990 die Zwischenklasse 1a (mit kleinem „a“) für unvollständige Junggesellen, zwischen der neuen Steuerklasse 1 für Junggesellen und der neuen Steuerklasse 2 für Verheiratete. Unter sie fallen Alleinstehende über 64 Jahre, Alleinerziehende und nach drei Jahre auch Verwitwete, weil all diese Gruppen zwar nicht verheiratet seien, aber ohne Ehepartner höhere Kosten zu tragen hätten. Obwohl sie die gleichen Kosten zu tragen haben wie Verwitwete, werden Geschiedene nach drei Jahren in die Steuerklasse 1 zurückgestuft, so als müsse der CSV-Staat den Bruch des Ehesakraments mit einer zusätzlichen Geldbuße bestrafen.

In die Steuerklasse 1a waren auch verheiratete Grenzpendler gekommen, die hierzulande weniger als die Hälfte des Haushaltseinkommens verdienten. Ihr Ehesakrament war dem Staat offenbar weniger wert, beziehungsweise verdächtigte er vom Prinzip her alle Grenzpendler, unvollständige Angaben ihrer Einkommenslage zu liefern.

Der Steuersatz für Klasse 1a ist der gleiche wie für die Junggesellenklasse 1; das steuerpflichtige Einkommen wird aber um ein Viertel der Differenz verringert zwischen dem Einkommen, bei dem der Spitzensteuersatz angewandt wird, und dem besteuerbaren Einkommen. Dadurch entsteht zwar eine zusätzliche Steuerprogression, aber die Steuerlast liegt deutlich näher bei der teureren Klasse 1 als bei der billigen Steuerklasse 2.

Nach Angaben der Steuerverwaltung wurden 1990 durch die Reform 46 900 Steuerpflichtige in ungünstigere Steuerklassen versetzt, darunter 36 800 Verwitwete. Die Umklassierung ersparte dem Staat laut Motivenbericht des Gesetzentwurfs jährlich 1,2 Milliarden Franken. Sie war Teil einer längerfristigen Umverteilungsaktion zwischen den Haushalten: In einer weiteren Etappe schufen CSV und LSAP 2008 die Kinderermäßigung auf der Einkommensteuer und damit die Steuerklassen 1a1, 1a2, 1a3... und 2.1, 2.2., 2.3... ab und ersetzten sie durch eine vorübergehend „Kinderbonus“ genannte Kindergelderhöhung. 2009 wurden dann weitere Kindergelderhöhungen durch Chèques-service ersetzt, um die Grenzpendler davon ausschließen zu können, und vergangenes Jahr wurden alle verheirateten Grenzpendler in die Junggesellenklasse 1a zurückgestuft, wenn sie nicht die Einkommenslage ihres Haushalts genau belegen konnten oder wollten.

Die Reform hatte seinerzeit für viele Unzufriedene gesorgt. Nach dem Protest von Gewerkschaften und ungezählten Leserbriefschreibern hatte der Echternacher DP-Politiker Jos Massard im Oktober 1990 eine Actioun fir eng méi mënsch­lech Steierreform gegründet. Vor allem DP und ADR hatten sich aus der Opposition heraus zu deren Fürsprechern gemacht, Finanzminister Jean-Claude Juncker hatte sogar geklagt, Morddrohungen erhalten zu haben, und seither werden bei jeder Steuerreform Stimmen laut, die die Abschaffung der Steuerklasse 1a verlangen. Dass sich der Unmut auch nach drei Jahrzehnten nicht gelegt hat, erklärt sich damit, dass bis heute täglich neu Witwen und Witwer erleben müssen, wie ihre Steuerlast von einem Monat zum anderen steigt, ihr verfügbares Einkommen plötzlich sinkt.

Das musste auch Viviane Hansen-Adams erleben, die vor zwei Jahren 8 540 Unterschriften für eine Petition „Géint d’Reklassement vun de Wittfraen a Wittmänner vun der Steierklass 2 an d’Steierklass 1A“ gesammelt hatte. Während einer öffentlichen Anhörung im Februar 2016 erzählte sie im Parlament, dass sie nach dem Krebstod ihres Ehemanns durch die Reklassierung nun zwölf Prozent ihres Einkommens verliere. Die Mehrheitspolitiker hatten sie damals auf die Steuerreform von 2017 vertröstet, aber die änderte nichts an der Besteuerung der Verwitweten, obwohl mit DP, LSAP und Grünen drei Parteien regierten, die die Steuerklasse 1a der CSV kritisieren.

Weil 8 540 Unterschriften aber kein Pappenstiel sind, fühlen sich nun alle Parteien gezwungen, in ihren Wahlprogrammen dazu Stellung zu nehmen: Die einen wollen sie sozial abfedern, die anderen abschaffen und die dritten wollen sie durch die Individualisierung der Besteuerung überflüssig machen.

Die CSV hält weiterhin an der von ihr durchgesetzten Steuerklasse fest. Als Zugeständnis will sie sie aber laut Wahlprogramm etwas verzögern und verbilligen: „Wir werden das Regime der Steuerkategorie 1A einer Prüfung unterziehen. Wir streben dabei eine Ausweitung des Übergangsregimes von bisher drei auf fünf Jahre an. Auch würde es eine Tarifangleichung der Klasse 1A in Richtung Steuerklasse 2 geben.“

Erstaunlicher ist, dass auch die LSAP die „unsägliche Steuerklasse 1a“ nicht abschaffen sondern verbessern will: „Die Steuerklasse 1A (Alleinerziehende, Verwitwete und alleinstehende Senioren) wird im unteren Bereich günstiger gestaltet, um die Bezieher kleiner und mittlerer Löhne und Renten zu entlasten. Die Steuergutschrift für Alleinerzieher (crédit d’impôt monoparental) wird deutlich angehoben, um das erhöhte Armutsrisiko dieser Gruppe gezielt zu bekämpfen. Durch diese Verbesserungen wird die Steuerklasse 1A an die Steuerklasse 2 angenähert.“

Die Zurückhaltung von CSV und LSAP hat sicher auch damit zu tun, dass sie aus sozial- beziehungsweise familienpolitischen Ursachen bei der Invidualisierung der Einkommenssteuer zögern. Ganz anders die liberalen Parteien DP, Grüne und Piraten, die mit der Abschaffung der Steuerklassen nach Ehestand auch die Steuerklasse 1a abschaffen wollen. Die DP verspricht: „Die DP wird zudem das Steuersystem auf den Prüfstand stellen, das gegenwärtig die Alleinverdienerehe privilegiert. Das Ehegattensplitting stammt aus Zeiten, in denen die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau anders geregelt war.“ Also setzt sich die DP „für ein neutrales Steuersystem ein, unabhängig davon wie die Menschen zusammenleben möchten. Die 2017 eingeführte optionale Individualisierung ist ein erster Schritt zu einem System, in dem die individuelle Besteuerung auch bei verheirateten oder gepacsten Paaren schrittweise verallgemeinert wird. Die DP wird den Weg einer individuellen Besteuerung konsequent weiterverfolgen und dabei sicherstellen, dass niemand etwas gegenüber seiner aktuellen Situation verliert. Dies wird auch dazu führen, dass es mittelfristig zu keiner Umklassifizierung im Todesfall eines Partners mehr kommen wird.“

Ähnlich liest es sich auch im Wahlprogramm der Grünen: „Unser Renten- und Steuersystem spiegelt ein veraltetes Rollenverständnis wider, in dem Frauen als Mütter und Anhängsel des Geld verdienenden Ehemannes angesehen werden. Dementsprechend ermutigt das System vor allem die geringer verdienenden Frauen dazu, berufliche Auszeiten während der Kindererziehung zu nehmen und anschließend in Teilzeit zu arbeiten. Dies entspricht keinem modernen Verständnis von Gleichberechtigung in Familie und Beruf und führt für Frauen häufig zu geringeren Renten und Altersarmut. Besonders alleinerziehende und geschiedene Frauen sind von dieser Ungerechtigkeit betroffen.“ Deshalb wollen die Grünen „die steuerliche Zusammenveranlagung von Verheirateten und Partnern abschaffen zugunsten einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag (nach belgischem Modell)“. Wenn es aber bloß noch eine Steuerklasse geben soll, ist kein Platz mehr für eine Zwischenklasse.

Die Piraten kündigen an: „Mir setzen eis dofir an, fir d’Steierklassen komplett ofzeschaafen an Familljen duerch Steierkrediter fir Kanner z’entlaaschten amplaz Witfraen a -männer respektiv gescheete Koppelen no 3 Joer duerch eng Réckstufung ze bestrofen.“ Deshalb schlagen sie vor, die „Steierklass 1 & 1A erof ze setzen op den Niveau vun der Klass 2. Duerno eng eenheetlech gënschteg Steierklass ze schaffen.“ Über die Kosten der Individualisierung für die derzeitigen Hausfrauenehen beziehungsweise für den Staat bei Übergangsbestimmungen schweigen sich alle Befürworter aus.

Auch die Linke will „die individuelle Besteuerung der Personen neu ausrichten. Seit Jahrzehnten wurde keine strukturelle Veränderung vorgenommen, um die Besteuerung der Personen an die Veränderung der Einkommensstruktur anzupassen, so dass der Spitzensteuersatz viel zu früh greift und nicht verheiratete, alleinerziehende, verwitwete oder geschiedene Menschen ungerecht behandelt werden“ Diese Neuausrichtung solle „den Ansatz mit verschiedenen Steuertabellen aufgeben und eine einzige Steuertabelle einführen, die die Zusammensetzung der Haushalte berücksichtigt durch eine Gewichtung mithilfe von Verbraucher­einheiten (unités de consommation)“.

So lange wollen andere Parteien nicht warten. Die ADR hat noch kein Wahlprogramm veröffentlicht, aber sie hatte am 20. Juni in einer Pressemitteilung ihre Unterstützung für die „Verwitweten und alleinerziehenden Mütter“ erklärt. Dem pflichtet ihre Abspaltung, déi Konservativ, bei: „Fir Wittleit, Elengerzéiend, a Leit iwwer sechzeg Joer, soll d’Steierklass 1A ofgeschaaft ginn.“ Auch die Kommunistische Partei verlangt kurz und bündig „die Abschaffung der Steuerklasse 1A und die Reklassierung der Alleinerziehenden und Verwitweten in Steuerklasse 2, so dass deren Steuerlast deutlich reduziert wird“.

Romain Hilgert
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