Intreviw mit Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) zu seinem Maßnahmenpaket für mehr Wettbewerbsfähigkeit

Prozeduren-Millefeuille

d'Lëtzebuerger Land du 26.07.2013

D’Lëtzebuerger Land: Herr Schneider, Ihr Papier haben Sie selbst als Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit angekündigt. Darin geht aber beispielsweise von der Produktivitäts- oder Kostenentwicklung überhaupt nicht die Rede.

Etienne Schneider: Meine Ideen dazu habe ich im Rahmen der Orientierungsdebatte im Parlament (am 16. Mai, Anmerkung der Redaktion) vorgestellt. Ich habe mich im Parlament darauf beschränkt, über die Aspekte zu reden, die ich in meinem Ressort beeinflussen kann, muss allerdings sagen, dass ich darauf kaum konkretes Feedback bekommen habe. Weil die Materie in meinem Papier relativ komplex ist, wollte ich das dort ausklammern und erst einmal den Regierungskollegen mit auf den Weg geben. Auch weil es sich dabei ausschließlich um Sachen handelt, die außerhalb meines Kompetenzbereichs als Wirtschaftsminister liegen. Ich kann mich allerdings schlecht vors Parlament stellen und über Reformen von Gesetzen reden, die meine nicht sind. Das ist etwas schwierig in diesem Land.

Sie sagen, Sie haben bisher nicht einmal eine Eingangsbestätigung von den Regierungskollegen erhalten. Mag das daran liegen, dass Sie in Ihrem Papier teilweise sehr hart mit Ihren Regierungskollegen ins Gericht gehen?

Eher mit ihren Gesetzestexten als mit ihnen selbst. Das liegt daran, dass sich die Kollegen oft nicht bewusst sind, wo es klemmt. Wir haben in Senningen kurz darüber gesprochen, aber eine offizielle Reaktion habe ich nicht erhalten. Als ich gesehen habe, dass bei dem von Jean-Claude Juncker einberufenen Rundtisch nicht alle diese Themen behandelt wurden, habe ich einen Rappel geschickt. Wenn Sie wissen wollen, warum sie mir nicht geantwortet haben, müssen Sie die Ministerkollegen fragen. Fakt ist, dass ich bisher keine einzige offizielle Reaktion erhalten habe. Außer, dass sie sich darüber aufregen, dass ich mich in ihre Ressorts einmische.

Sie nennen den Sektorplan Schützenswerte Landschaften „überflüssig“. Sie greifen das Konzept der Landesplanung, Ressort des Nachhaltigkeitsinisters, im Kern an.

Überflüssig? Nein – aber es gibt darin Bestimmungen, die zu weit gehen, die verhindern, dass öffentliche Infrastrukturarbeiten durchgeführt werden können. Die Wettbewerbsfähigkeit ist außerdem nicht nur das Problem des Wirtschaftsministers, sondern der Regierung insgesamt. Jeder muss in seinem Ressort dafür sorgen, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Wir sind allerdings in einer Logik, in der jeder seine Dossiers verteidigt und es keine gemeinsame Position dazu gibt, wie dies geschehen soll. Solange das so bleibt, kommen wir nicht weiter. Deswegen sage ich sowohl in der Regierung auch als in Brüssel, dass wir uns endlich auf prioritäre Politikfelder einigen müssen, in der EU und auf nationaler Ebene. Meiner Ansicht nach müssen dies die Wettbewerbsfähigkeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die öffentlichen Finanzen sein, um den Sozialstaat aufrechterhalten zu können. Wenn wir das gemacht haben, müssen wir darauf achten, dass alle andere Maßnahmen, die wir ergreifen, im Einklang mit diesen vorrangigen Zielen stehen: Wachstum und Jobs zu schaffen, jungen Leuten eine Zukunftsperspektive zu geben und dadurch auch Steuereinnahmen zu generieren, die der Sozialstaat braucht, um zu funktionieren.

Es gibt doch auf EU, als auch auf nationaler Ebene Wachstumsstrategien und -ziele.

Wenn ich in Brüssel mit dem Industriekommissar rede, sagt der: „Die Industrie hat absolute Priorität.“ Wenn ich die Umweltkommissarin treffe, sagt die: „Der Umweltschutz hat absolute Priorität“, wenn ich mit dem Zuständigen für die Familie spreche, sagt der natürlich, das habe Vorrang. Das ist ein echtes Problem. Irgendjemand muss den Mut haben, nur einige Prioritäten festzuhalten. Europa steht nicht gut da. In den Krisenländern werden ständig extreme Einschnitte gemacht, weil dem Sozialstaat das Geld fehlt. Angesichts dessen muss man sich fragen, wohin Europa steuert und ob wir nicht dabei sind, die europäische Idee aufs Spiel zu setzen, weil die Bürger irgendwann den Glauben und das Vertrauen verlieren. Deshalb muss man im Detail der Paragrafen darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit nicht verloren geht. Sie lässt sich nicht mit Schlagwörtern verbessern.

Ihre Maßnahmen könnte man so interpretieren, als ob es für Sie zu viel Umweltschutz gibt und dieser der Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet werden sollte.

Es gibt nicht zu viel Umweltschutz, es gibt zu viele Doppelungen in den Umweltschutzbestimmungen. Wenn ich eine Industriezone einrichte, müssen schon bei der Umklassierung einer Grün- in eine Aktivitätszone alle Umweltgenehmigungen eingeholt werden, was Jahre dauert. Warum muss dann jede Firma, die sich dort niederlassen will, die gleichen Prozeduren noch einmal durchlaufen? Wenn eine Habitatzone ausgewiesen wird, wird die Prozedur auch nicht für jede neue Parzelle komplett von vorn angekurbelt. Mit geht es nicht darum, einen Kahlschlag im Umweltschutz durchzuführen. Mir geht es darum, den Millefeuille von Prozeduren, den wir aufgebaut haben, abzutragen. Deshalb muss der Umweltschutz an sich nicht beeinträchtigt werden.

Wie konkret beeinträchtigen denn diese doppelten Prozeduren die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum?

In Prozenten kann ich das nicht ausdrücken, aber es sind Probleme, auf die wir regelmäßig stoßen. Als konkretes Beispiel kann ich den Fall eines US-Unternehmens nennen, das sich in Europa niedergelassen hat. Wir haben lange verhandelt, am Ende waren Luxemburg und die Niederlande in der Endauswahl für den Europastandort. Die Firma ist in die Niederlande gegangen. Entscheidend war für sie, dass sie binnen sechs Monaten mit dem Bau der Anlagen beginnen konnte. Mit unseren Prozeduren war es unmöglich, auf einer staatlichen Industriezone binnen so kurzer Zeit die benötigten Genehmigungen zu erhalten. Da sehe ich die Wettbewerbsfähigkeit durchaus beeinträchtigt.

Ihr Papier handelt in weiten Teilen von der barrierefreien Durchführung von Infrastrukturprojekten, die im öffentlichen Interesse sind. Auch in Grünzonen. Dafür soll nach ihrer Vorstellung keine Baugenehmigung von den Bürgermeistern notwendig sein, damit sie nicht lokale vor nationale Interessen stellen.

Bei Eisenbahnlinien oder bei Autobahnen gilt dieses Prinzip schon. Warum also nicht beim Bau neuer Strom- oder Gasleitungen? Wenn ich auf einer Strecke dafür von jedem Bürgermeister eine Genehmigung brauche und einer verweigert sie, sind wir jahrelang damit beschäftigt, diese einzuholen. Siehe die Situation in Sassenheim.

Dort geht es um die Stromleitung von Arcelor-Mittal, einem Privatunternehmen.

Das Projekt ist dennoch von nationaler Bedeutung, weil neben der Arcelor-Mittal-Leitung die Anbindung des nationalen Netzes an das französische Netz verlegt wird. Das ist wichtig, weil wir Stau auf den Leitungen aus Belgien haben. Wenn es Stau auf der Stromleitung gibt, werden die Transportkapazitäten an den Meistbietenden versteigert. Das erhöht die Kosten für die Kunden, in diesem Fall hauptsächlich für die Elektrostahlwerke, die dadurch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wenn also der nationale Netzbetreiber Creos sein Netz ausbaut und die Verbindungen verbessert, steigert das die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Luxemburg, weil die Energiepreise sinken.

Sie schlagen auch einen Systemwandel bei der Kommodo-Gesetzgebung vor, die erst vor zwei Jahren reformiert wurde. Anscheinend nicht weitreichend genug?

Ich gebe ein Beispiel: Jedes Bürogebäude mit Klimaanlage braucht ein Kommodo. Bevor das durch ist, können die Bauarbeiten nicht anlaufen. Die Vorschriften für die Klimaanlagen ändern sich allerdings nicht; was sich von Projekt zu Projekt ändert, sind lediglich das Bauvolumen und dadurch die Stärke der Anlage. Weshalb legen wir also nicht einfach präzise Normen für Klimaanlagen fest, streichen die Kommodoprozedur und verlangen vom Bauherrn einen Sachverständigennachweis, dass die Auflagen erfüllt sind? Wenn wir diese Art von Kommodokategorien durch Normen ersetzen würden, würde das zu prozeduralen Erleichterungen für die Unternehmen führen und außerdem die Beamten der Umweltverwaltung entlasten, die mehr Zeit hätten, um sich auf die wirklich schwierigen Fälle zu konzentrieren.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Vorschläge noch vor den Wahlen aufgegriffen werden?

Leider eher gering.

Michèle Sinner
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