Hatte es tatsächlich ein paar Monate keinen neuen „Skandal“ in der „Steueroase Luxemburg“ gegeben? Vergangene Woche war es wieder soweit. Der Spiegel, Mediapart und das Journalistenkollektiv EIC berichteten, der Autokonzern Volkswagen (VW), an dem das deutsche Bundesland Niedersachsen eine Beteiligung von 20 Prozent hält, habe ein Gesellschaftsgeflecht in Luxemburg aufgebaut, um Steuern in Deutschland und anderen EU-Ländern zu vermeiden.
Im Zentrum ihrer journalistischen Ermittlungen standen zwei Gesellschaften: Volkswagen Finance Luxemburg SA (VFL) und Volkswagen International Luxemburg SA (VIL). Beide Gesellschaften wurden 2012 gegründet. VFL ist die Gesellschaft, in der VW die Beteiligungen an großen Teilen des Konzerns konzentriert hat, von Bentley, Seat und Skoda über Volkswagen Brasilien, Frankreich, China bis nach Australien und Indien. Ende 2016 belief sich der Buchwert dieser Beteiligungen auf 4,9 Milliarden Euro. VFL hat von diesen Beteiligungen seit der Gründung 5,8 Milliarden Euro Dividenden kassiert und. An die Konzernzentrale von VW in Wolfsburg hat sie hingegen nur 3,5 Milliarden Euro als Dividenden weitergeleitet.
Keine zwei Millionen Euro Steuern hat VFL, die mit VIL eine steuerliche Einheit bildet, in den fünf Jahren ihrer Existenz bezahlt. Das liegt daran, dass die Dividenden, die in den Herkunftsländern nach Abzug der Steuern vom Gewinn übrigbleiben, in Luxemburg nicht noch einmal besteuert werden. Der Vorwurf der Journalisten an VW: Hätte der Konzern diese Dividenden direkt nach Deutschland überwiesen, wären dort Steuern angefallen.
VFL hat darüber hinaus der Finanzierungsgesellschaft VIL einen zinsfreien, wandelbaren und ungesicherten Kredit (ICLN) mit einer Laufzeit von zehn Jahren gewährt. Ursprünglich belief sich dieser ICLN auf 1,1 Milliarden Euro. VIL reicht diese Kredite weiter an die operativen Konzerntöchter. Ende 2016 hatte die Finanzierungsgesellschaft so zwölf Milliarden Euro Kredit verteilt. Auf diesen Krediten zahlten die Konzerntöchter bis Ende vergangenen Jahres 352 Millionen Euro Zinsen an VIL. Der Vorwurf der Journalisten in Deutschland und Frankreich: Diese Zinsen können die jeweiligen Konzerntöchter als Kosten vom versteuerbaren Gewinn absetzen.
Allein vergangenes Jahr kassierte VIL von Schwesterfirmen im Konzern rund 187 Millionen Euro Zinsen. Im Gegenzug verbuchte VIL rund 184 Millionen Euro „Zinszahlungen“ in den Ausgaben. Denn da, beziehungsweise obwohl der ICLN ja eigentlich ein zinsfreier, in Aktien umwandelbarer Kredit von VFL an VIL ist, legt VIL eine Reserve an, um VFL eine Wandelprämie auszahlen zu können, falls VFL den Kredit tatsächlich in Aktien umwandelt. Von den 184 Millionen Euro von VIL vergangenes Jahr verbuchten Zinszahlungen entsprechen 168 Millionen Euro Rückstellungen zur Auszahlung dieser Wandelprämie. Nach diesen Rückstellungen blieb VIL ein Gewinn von etwas mehr als zwei Millionen Euro zu versteuern.
In der Zusammenfassung ergibt die Land-Lektüre der Bilanzen von VFL und VIL demnach folgendes Bild: Bis Ende vergangenen Jahres hat VFL den zinsfreien Kredit an VIL auf 9,6 Milliarden Euro erhöht. Von anderen Einheiten der VW-Gruppe hatte sich VIL bis Ende 2016 weitere 4,6 Milliarden Euro geliehen, um auf der anderen Seite zwölf Milliarden Euro Kredite an andere Konzernteile zu vergeben (was fast den Ausgaben des Luxemburger Staates eines Jahres entspricht). Darauf hat VIL 352 Millionen Euro Zinsen kassiert, die nicht nur von den anderen Konzerneinheiten vom Gewinn abgesetzt werden, wie das Spiegel und Co berichteten, sondern wovon VIL vor allem rund 300 Millionen Euro in der Reserve für die Auszahlung der eventuellen Wandelprämie an VFL angespart hat und dadurch vor der Besteuerung schützt.
Gegenüber den Journalisten des Spiegel bestritt die VW-Gruppe nicht einen Steuervorbescheid, ein so genanntes Ruling, von der Luxemburger Steuerverwaltung bekommen zu haben. Tatsächlich gibt es in den Bilanzen Passagen, die inhaltlich an das Ruling der Finanzierungsgesellschaft eines anderen Autokonstrukteurs erinnern, an das von Fiat Finance and Trade (FFT). Darin ging es unter anderem darum festzustellen, welchen Zinssatz FFT auf den Krediten an die operativen Einheiten des Fiat-Chrysler-Konzerns verrechnen sollte, und dazu wurde unter anderem eine Abschätzung der Risiken vorgenommen, denen FFT ausgesetzt sei. Die Steuerberater von FFT kamen zur Schlussfolgerung, das Risiko für FFT sei gering, da die Gesellschaft nur Geld an Einheiten der Fiat-Gruppe verleihe und deshalb nur wenig Zinsen verlangen müsse (die EU-Wettbewerbsbehörden sind anderer Meinung und verlangen von FFT, Steuern nachzuzahlen).
Im Management-Bericht der Geschäftsführung von VIL heißt es unter anderem: „Since VIL grants
loans in principle only to VW-Group companies the credit risk is limited to the overall VW default risk.“ Überhaupt geht es im Bericht hauptsächlich darum, welchen Risiken die Gesellschaft ausgesetzt ist. „Main business risks of the company are the financial risks such as credit risks, liquidity risk, interest rate risk and currency risk.“ Auch von der Verwandlung der Laufzeiten ist dort die Rede, zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinssetzungperioden.
Kredit-, Liquiditäts- und Zinsrisiken? Das klingt alles sehr nach Bankenvokabular, und daher drängt sich wie bei FFT oder bei der insolventen Holding Espirito Santo der Verdacht auf, dass es sich bei VIL um eine Schattenbank handelt, also eine Gesellschaft, die den Aktivitäten eines Kreditinstituts nachgeht, ohne dass sie den Aufsichts- und Kapitalregeln von Banken unterliegt.
Doch laut Finanzminister Pierre Gramegna (DP) handelt es sich beim Firmenkonstrukt von VW eher nicht um eine Schattenbank sondern schlicht um ein reines Steuerplanungsmodell. Denn im April veröffentlichte das Komitee für systemische Risiken, dessen Präsident Gramegna ist, ohne viel Werbung dafür zu machen, eine bemerkenswerte Analyse über das Schattenbankwesen in Luxemburg. Analysis on the shadow banking content of captive financial companies in Luxembourg ist deshalb so interessant, weil es die erste detaillierte Analyse zum Schattenbankwesen in Luxemburg überhaupt ist und die beiden Autoren nicht nur Makrodaten analysiert haben (von denen es bisher auch recht wenig gab), sondern Mikrodaten aus den Firmenbilanzen durchkämmt haben, um das Volumen des Schattenbankwesens in Luxemburg zu ermitteln.
Sie sind dabei nach den Kriterien des Financial Stability Board verfahren und haben zwischen zwei Sorten Finanzierungsgesellschaften, immer mit einer Bilanzsumme von mindestens 500 Millionen Euro, unterschieden. Solchen, die zu einem Konzern der Realökonomie gehören, die zur Aufgabe haben, Geld innerhalb dieses Konzerns umzuverteilen und in einem geschlossenen System funktionieren. Und solchen, die an eine regulierte Finanzgesellschaft, eine Bank oder Versicherung angeschlossen sind und von denen deshalb in den Augen der Finanzaufsichtsbehörden in Krisenzeiten eine besonders hohe Ansteckungsgefahr für das Finanzsystem ausgeht. Für die Autoren besteht die gute Nachricht darin, dass es von Letzteren nur 43 mit einer Bilanzsumme von insgesamt 50,9 Milliarden Euro gibt (Luxemburgs Bip betrug vergangenes Jahr 54 Milliarden Euro) – weit weniger als befürchtet. Denn seit der Insolvenz von Espritio Santo, als der portugiesische Staat einsprang, um die gleichnamige Bank mit Steuergeldern zu retten, geht die Angst um, Luxemburg müsse in einem solchen Fall die Zeche zahlen. Die Bank gehörte einer Luxemburger Holding, die bei der EZB sogar den Status einer „bedeutenden“ Finanzinstitution hatte. Doch in ihrer dürftigen Bilanz gab es Unregelmäßigkeiten, insbesondere in Bezug auf den Fremdverschuldungsgrad, die wesentlich zum Untergang des Esperito-Santo-Imperiums beitrugen (d’Land, 10.10.2014).
Von den anderen, also Soparfis mit einer Bilanzsumme von mindestens 500 Millionen Euro, die zu einem Konzern aus der Realwirtschaft gehören, haben die Autoren 1 471 mit einer Bilanzsumme von insgesamt 5 975,6 Milliarden Euro gefunden. Zu dieser Captive-Gattung heißt es im Bericht des Komitees für systemische Risiken ohne falsche Scheu: „Soparfi are mainly set up in Luxembourg for financial egineeering and tax planning purposes. Since Soparfi fall under the general income tax law, they can benefit from the provisions of an extensive double taxation treaty network concluded by Luxembourg, and from the European Union (EU) directives on the common systems of taxation applicable in the EU (such as the Parent-Subsidiary directive and the Interest and Royalty directive).“ Gegenüber dem Spiegel hat VW argumentiert, man sei in Luxemburg, um eine doppelte Besteuerung der Dividenden zu verhindern. Im Schattenbankbericht heißt es weiter: „The Soparfi is subject to the corporate income tax, but dividends and capital gains from participating interests may also be exempted from withholding tax under certain condititions.“
Im Schattenbankbericht bestätigt man auch den Verdacht der ausländischen Journalisten, dass es sich bei diesen Firmen um reine Briefkastengesellschaften handele: „Most captive financial companies are run from a foreign head office and have virtually no physical presence in Luxembourg.“ Dass die Soparfis inzwischen zur größten Steuerzahlergruppe avanciert sind, ist den Autoren offensichtlich entgangen: „Although the sector provides some spillover effects through the financial services industry, the directs links of these entities with the domestic economy are limited as most of the activity of the group to which they belong takes place outside Luxembourg.“ Diese Gesellschaften, so die Autoren, würden hauptsächlich genutzt, um Gelder über Luxemburg zu anderen Konzerneinheiten zu schleusen, und sie gehörten zu Rohstoffgesellschaften, Lebensmittelkonzernen, Pharma- oder Telekomfirmen.
Möglicherweise auch zu Automobilkonstrukteuren? Vielleicht verläuft die Trennlinie zwischen Schattenbankwesen und Steueroptimierung auch nicht so klar. Denn zum Automobilhersteller VW gehören auch die konzerneigene Bank und eine Leasinggesellschaft. Ende 2016 hatte VIL der Volkswagenbank und der Leasinggesellschaft insgesamt 2,2 Milliarden Euro Kredite gewährt, beziehungsweise Anleiheinstrumente abgekauft. Eine Verbindung zum Finanzwesen besteht also durchaus.
Wie sie es eigentlich auch bei anderen Soparfis gibt, wenn diese beispielsweise an der Luxemburger Börse Anleihen ausgeben, um die Kredite an ihre Schwestergesellschaften zu finanzieren – auch wenn dies nicht unter die engen Kriterien des Schattenbankwesens des FSB fällt. Das Komitee für systemische Risiken interessiert sich nur für die Ansteckungsgefahr, die von Finanz-Soparfis ausgeht, nicht für das Reputationsrisiko. Aber wenn sogar die Autoren des Schattenbankberichts für das von der Zentralbank verwaltete und vom Finanzminister präsidierte Komitee finden, alle Soparfis seien Briefkastengesellschaften ohne Substanz, nur zum Durchschleusen von Geld da, wer soll dann der Regierung im Ausland abkaufen, dass Luxemburg nur noch steuerlich saubere Finanzdienstleistungen exportieren will? Das ist ungefähr so glaubhaft, als würde VW behaupten, nur abgasfreie Autos zu produzieren.