Steckel, Margret: Rosen, Rosen

Ikebana fürs Lebensende

d'Lëtzebuerger Land du 11.05.2000

Margret Steckel, geboren 1934 in Mecklenburg, seit 1983 mit der Familie in Luxemburg ansässig, gehört zu den profiliertesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen, die derzeit hierzulande schreiben und publizieren, und es wäre müßig, ihre reiche Bibliographie im Detail auszubreiten. Margret Steckel schreibt ausgewogen, intelligent und in dem Stil, den man uns in der Schule als "den guten" oder den "klassischen" erklärt hat. Ob die drei Erzählungen, die sie in ihrem neuesten Buch bei den Éditions Phi herausgegeben hat, wirklich "klassische Novellen" sind, wollen wir dahingestellt lassen. Sie gehören jedenfalls zum Spannendsten, was wir dieses Jahr die Freude zu lesen hatten. 

Margret Steckels Erzählweise wird von Kritikern und Klappentextern gerne als "auslotend" und "wahrhaftig" beschrieben, aber das tut ihnen etwas Unrecht. Sie sind nämlich, in Aufbau und Sprache, mit der Akribie und der Leichtigkeit einer großen Ikebana-Meisterin komponiert. Jedes Element deutet das nächste an, Aspekte überlagern sich, feine Untertöne kippen mal ins Bedrohliche, mal ins Versöhnliche. Margret Steckel analysiert nicht wie eine Psychologin ein Individuum analysieren würde, sie kreiert kleine Gruppen von zart angedeuteten Persönlichkeiten, und beobachtet ihre "Interaktion" mal liebevoll, mal analytisch, nie teilnahmslos, lässt ihre Atmosphären sich aus der Logik der Situation entwickeln, in einer Art "huis clos", in dem alles möglich ist. Das ist zwar nicht so "neu", aber wer sich in dieses Buch hineinliest, wird des öfteren überrascht werden. Denn auch beim Ikebana wird manchmal unbarmherzig geknickt, so wie im richtigen Leben.

Rosen, Rosen ist eine klassische Klischeegeschichte aus gehobenem nordischen Milieu. Was denkt die Frau, wenn plötzlich ein riesiger Strauß Rosen ins Haus kommt?

Genau. Nur, daß der Kerl den Nerv hat, die "Neue" mit nach Hause zu bringen, und, tolerant wie die Frau von Stand nun eben ist, gießt sie sich gemeinsam mit Ehemann und Nebenbuhlerin erstmals einen Cognac ein. Und dann wird geredet, gekämpft und gesoffen, bis einer verloren hat. Das ist an sich nicht neu, und auch nicht spannend. Aber wie die Autorin dann die "Puppen" in ihrem Theater herumtanzen und reden lässt, ihre Überlegungen andeutet, erforscht, formuliert, wie dieser "Pas de Trois" vor den Augen des Lesers getanzt wird... Nun, es ist nicht an uns, Leute für Literaturpreise anzupreisen, besonders wenn sie schon mehrere haben.

Die irrwitzigste und bösartigste Story, die mir in den letzten Jahren unter die Augen gekommen ist, heißt Der Ausflug und ist mit Sicherheit keine Novelle. Eigentlich passiert nichts besonders Schreckliches, nur dass ein durchgeknallter Student seine Freundin erwürgt. Geschichten dieser Art schreibt das Leben leider täglich, und in der Sensationspresse steht dann meisten "Unfassbar!" Das Unheimliche an dieser Geschichte ist die Art und Weise, wie Margret Steckel sich an dieses Unfassbare heran tastet, es vorbereitet, andeutet, den Leser fintenreich an der Nase herumführt, bis er, zusammen mit dem Opfer, ohne rationale Erklärung, das Ende erreicht hat. 

Man kann die "Bestie" im satten Styl eines Hannibal Lector darstellen oder es ganz anders versuchen. Mir scheint, dass der Autorin der "andere Versuch" brillant gelungen ist. Bis auf einen dummen, kleinen Patzer: Wenn ein dickleibiger Italiener einen Falschparker anbrüllt, schreit er bestimmt nicht "Nada ! Nada!" sondern, vielleicht, "Niente!" 

Alter und Tod kann man auf  unterschiedlichste Art und Weise darstellen. In der dritten Novelle, Versöhnung am Ende der Reise, holt eine Familie die Mutter in einem Altersheim ab. "Ständig sei ihr kalt, dabei überheize man das Zimmer, das ganze Heim, man könne es nicht länger als eine halbe Stunde bei ihr aushalten! Und wenn nicht das eine, dann das andere. Das Essen sei eintönig, fade. Schrumpfhirne wollen kauen; eine böse Bemerkung, lachend aus den Hals gehustet." Und irgendwo, auf einer Autobahn, nimmt dann die Tochter Abschied von ihrer Mutter. Am Ende der Reise ist, in ihrer intimen, unaufgeregten Art, eine überaus aufregende, politisch brisante Geschichte.

Margret Steckel: Rosen, Rosen. Drei Novellen, Éditions Phi; ISBN 3-88865-185-9

Jean-Michel Treinen
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