Über einen solchen Satz schüttelt man gerne den Kopf, da er in seiner scheinbaren Widersprüchlichkeit eine Dummheit, ja eine Absurdität darstellt. Allerdings ist er kaum weniger abstrus als die Feststellung, dass die Sonne auf- oder untergeht, wo es doch unserer Erkenntnis entspricht, dass unser Erdteil bei der Umdrehung der Erde sich der Sonne zu- oder von ihr abwendet. Diese Erklärung ist keine Entschuldigung, sie verweist einfach auf den Unterschied zwischen der Alltagssprache und dem Stand des Wissens. Die Sprache transportiert in ihrer Metaphorik oft Residuen aus überkommenen Bewusstseinsbeständen und wird dann gebraucht, um Empfindungen zu artikulieren, die sonst nicht ausgedrückt werden. So mag es vorkommen, dass man das Gefühl des Dankes in Worten oder einer Sprache ausdrückt, die dem Wissen nicht mehr entsprechen.
Die Absurdität des Titelsatzes drückt sich in folgender Frage deutlich aus: Wie soll man Gott danken, wenn man nicht an ihn glaubt? Hier haben wir es „seit dem Tode Gottes“ mit einem allgemeinen Problem in Bezug auf Dank zu tun. Das hat Hans Magnus Enzensberger in einem Gedicht mit dem aufschlussreichen Titel Empfänger unbekannt - Retour à l’expéditeur folgendermaßen ausgedrückt:
Vielen Dank für die Wolken.Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn und für allerhand andre verborgne Organe,für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.Herzlichen Dank dafür, daß mir das Feuerzeug nicht ausgeht,und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,für die Zahlen und für das Koffein,und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller,gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,für den Schlaf ganz besonders,und, damit ich es nicht vergesse, für den Anfang und das Ende und die paar Minuten dazwischen inständigen Dank,meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.
Kommen wir noch einmal auf den Atheisten zurück. Das Wort A-theist besteht aus dem „wegnehmenden“ A-, dem alpha privativum, und dem Wort Theos, Gott. Um Gott leugnen zu können, muss es eine Vorstellung von Gott geben, die man negiert. Folglich kann, wer nicht an Gott glaubt, dieser Vorstellung sehr wohl dankbar sein, von der er sich gelöst hat, da sie widersprüchlich, unsinnig und absurd ist. Somit wird dann der Titelsatz gar nicht so unsinnig: Man verdankt allen bisherigen Vorstellungen von Gott, dass sie entgegen ihrer Absicht unhaltbar sind und notwendigerweise Gottes Abwesenheit, seine Nichtexistenz nach sich ziehen. Das ist eine sinnvolle Definition des Atheismus.
In diesem Satz steckt aber auch eine sozial-historische Entwicklung des einzelnen. Der Mensch wird in frühester Jugend mit der Vorstellung Gott konfrontiert. Fast jeder Atheist k o m m t insofern von Gott h e r, aber er kommt auch l o s von Gott, indem er gott-los wird. Sein Atheismus belegt im Wort „gottlos“, dass er die falsche Vorstellung Gottes überwunden hat. Wenn es nun wirklich unabhängig von dieser Vorstellung Gott geben sollte, wäre der Titelsatz immer noch problemlos, weil dieser Gott auch ohne den Glauben der Atheisten auskäme, wenn dieser seinen Dank ausspricht.