Vom Gebührenerhebungs- zum Betriebsleitsystem: Künstliche Intelligenz soll den öffentlichen Verkehr ziemlich umkrempeln und den Ärger mit E-go vergessen machen

Alter E-go

d'Lëtzebuerger Land du 28.06.2013

Im Nachhaltigkeitsministerium und beim Verkéi-ersverbond hat man durchaus Humor. „E-go plus“ wird dort das elektronische Leitsystem genannt, das ab kommenden Monat und in den nächsten Jahren Schritt für Schritt im gesamten öffentlichen Verkehr des Landes installiert werden soll. Doch mit einem Augenzwinkern heißt es gleich anschließend, E-go plus sei natürlich nur ein Arbeitstitel.

Das leuchtet ein. Zum einen wurde das „elektronische Gebührenerhebungssystem“ E-go, das 2001 der damalige Transportminister Henri Grethen (DP) in Auftrag gegeben hatte, um die Liberalen nicht nur als BTB-Verhinderer dastehen zu lassen, sondern auch als Modernisierer im Geiste der elektronischen New Economy, mit einem Gesamtkostenpunkt von fast 17 Millionen Euro zu einer derart teuren Investition in eine in der Praxis wenig zufriedenstellende Lösung, dass heute lieber niemand mehr davon spricht und der nun für das Transport-ressort zuständige Minister Claude Wiseler (CSV) vergangene Woche mit seinen Beamten pflichtschuldig den parlamentarischen Haushaltskontroll-ausschuss über „E-go plus“ informierte.

Zum anderen aber enthält RBL, das „rechnergestützte Betriebsleitsystem“, zwar eine neue „E-Ticketing-Funktion“. Aber nur unter anderem. Mit künstlicher Intelligenz soll RBL den öffentlichen Verkehr ziemlich umkrempeln.

Wenn heute in manchen, aber noch nicht in allen Stater Bussen auf Bildschirmen und per automatischer Ansage über die nächste Haltestelle informiert wird, soll das in ungefähr einem Jahr auch in sämtlichen Überlandbussen von RGTR und CFL sowie in allen Tice-Bussen so sein. Und wenn heute schon in der Hauptstadt an den wichtigsten Haltestellen elektronischen Anzeigetafeln entnommen werden kann, welche Busse als nächste verkehren, soll RBL dasselbe auch in der Region bieten; wenngleich ebenfalls nicht an jedem Bushäuschen.

Wie in Luxemburg-Stadt aber soll an den Anzeigetafeln kein elektronisch geschriebener Fahrplan aushängen, sondern eine Echtzeit-Information über die Situation der Busse im Verkehr gegeben werden: Verzögert sich ihre Fahrt aus irgendeinem Grund, weist die Anzeige eine spätere Abfahrtzeit aus; eine Verfolgung der Busse per GPS macht das möglich. Und ist RBL erst verknüpft mit dem Busleitsystem, das der Hauptstadt-Busbetrieb AVL seit einem Jahr schon hat, und mit dem Leitsystem mit dem schönen Namen Aramis, das die CFL dabei sind, für ihre Züge zu installieren, dann wird eine Echtzeit-Komplettinformation zum gesamten öffentlichen Transport bereitstehen. Zugänglich natürlich auch über die Webseite mobiliteit.lu des Verkéiersverbond und über Smartphone-Apps, wie der Verkéiersverbond verspricht.

Schöne Aussichten? Zweifellos. Zumal die Information an die Passagiere nur ein Nebenprodukt des neuen Systems ist. In der Hauptsache soll das Leitsystem ein „intelligenter“ Koordinator für den gesamten öffentlichen Verkehr im Lande werden. Spätestens 2017, wenn den bisherigen Planungen nach die erste Ausbauphase der Hauptstadt-Tram fertig sein soll, soll der Überlandbusverkehr so reorganisiert sein, wie es in dem von Claude Wiseler im vergangenen Jahr vorgestellten Mobilitätskonzept MoDu steht: Statt wie heute direkt die Hauptstadt anzufahren, sollen die RGTR-Busse dann Zubringer zu regionalen „Umsteigeplattformen“ sein (d’Land, 22.04.2012). Das Leitsystem soll dann dafür sorgen, dass dort Anschlüsse garantiert werden können. Und kommt es zu Störungen im Verkehr, soll RBL ein „intelligentes Routing“ der Fahrgäste gestatten: Bus- und Bahnbenutzer würden dann per Anzeige und per Smartphone Alternativen zu ihrer verspäteten Route vorgeschlagen.

Das ist der große Unterschied zu E-go: Das Leitsystem würde sich sich tatsächlich darum kümmern, wie Bus- und Bahnkunden am besten von A nach B gelangen, und wäre ein Mittel zum Zweck, die Mobilität zu verbessern. Wobei es nebensächlich ist, ob ein Fahrschein aus Papier oder aus einer Magnetkarte besteht.

Ein paar Hindernisse aber stellen sich heute schon, bevor RBL zum großen Koordinator im öffentlichen Transport werden kann – sogar zu einem, der auch die Autofahrer zum Umstieg anreizen soll, wenn eines Tages auf Autobahnen über die jeweils nächstliegenden Park-and-Ride-Plätze informiert wird, das dort noch verfügbare Platzangebot und die nächsten vom P&R abfahrenden Busse oder Züge. Eine andere Zukunftsvision lautet, die Passagierinformation auch grenzüberschreitend zu machen – sofern es möglich ist, auch in den Nachbarländern Echtzeit-Verkehrsdaten bereitszustellen.

Ein Problem für RBL könnte schon der ganz gewöhnliche Alltags-Binnenverkehr werden. Schon bald, denn der Plan lautet eigentlich, bis Mitte 2014 sämtliche Busse der RGTR-Fuhrbetriebe, des Tice und der CFL mit den kleinen Terminals im Busfahrer-Cockpit zu bestücken. Sie würden die Verkehrsinformationen empfangen und an die Fahrgäste weitergegeben, und über das Terminal erhielte der Fahrer von seinem Betrieb Dispatching-Anweisungen. Wer in letzter Zeit in einem Tice-Bus unterwegs war, hat die kleinen Computer mit Bildschirm im Fahrerbereich womöglich gesehen; beim Tice wurden sie bis vor kurzem ersten Tests unterzogen.

Sind alle Buse ausgerüstet, sollen Anfang nächsten Jahres ausgiebige Simulationen und Praxistests folgen. Sie sollen klären, in welchen „Zeitfenstern“ sich überhaupt Anschlüsse an den neuen Umsteigepolen garantieren lassen. Kann sein, die Fenster sind sehr eng. Wiseler und seine Beamten mussten sich das letzte Woche im Parlamentsausschuss anhören, wo etwa Felix Braz von den Grünen seine Erfahrung als früherer Infrastrukturschöffe der Gemeinde Esch/Alzette anbrachte: Auf dem Netz des Tice sei quasi kein Bus pünktlich. Denn der Süden sei dicht besiedelt, Konflikte zwischen Kommunal- und Nationalstraßen seien häufig und Baustellen desgleichen. Eigentlich müsse man erst das Netz verbessern, ehe man ein Leitsystem einführt, hatte Braz moniert.

Im Ministerium und beim Verkéiersverbond wird das ganz ähnlich gesehen. Deshalb soll nicht nur getestet werden, wie viel das Leitsystem tatsächlich versprechen kann. Wiseler bereitet sich auch darauf vor, den Busspurbau – zumindest auf den besonders wichtigen Achsen – dort, wo Gemeindeinteressen ihm entgegenstehen, von oben her durchzudrücken. Denn eines ist klar nach der Erfahrung mit E-go: Ginge das neue System online und versagte, würde nicht nur ein politisches Debakel um das Leitsystem selber drohen. RBL soll in seiner ersten Stufe vor allem deshalb Mitte nächsten Jahres starten, weil dann der Bau der Tram beginnen soll. Weil der zu Verkehrsbeeinträchtigungen führen wird, will man den Leuten nicht nur etwas Schönes und Innovatives zeigen, sondern sie mit den Problemen im Verkehr durch den Tram-Bau nicht alleine lassen. Würde RBL dabei seiner Rolle nicht gerecht, schlüge das auch auf die Tram zurück. Und dann könnte alles zur Lachnummer werden, was zum öffentlichen Transport in den letzten Jahren gesagt und getan wurde.

Diskussionsbedarf scheint es aber auch noch zu einem anderen Aspekt des Leitsystems zu geben. RBL, das mit Hardware, Betriebskonzept und E-Ticketing von der Init AG aus Karlsruhe zum Preis von 23 Millionen Euro in der ersten Ausbauphase bis 2017 realisiert werden soll, ist als „Meta-System“ geplant: Damit landesweit Anschlüsse möglichst erreicht werden, soll RBL auch in die Abläufe der einzelnen Verkehrsbetriebe eingreifen und das Dispatching von Bussen und Zügen übernehmen können. Nur im Notfall, wie man im Ministerium betont. Was organisatorisch plausibel klingt, wird in den einzelnen Verkehrsbetrieben aber nicht unbedingt so verstanden. Vom Stater Busdienst AVL etwa heißt es, das sei auch eine politische Frage.

Vielleicht könnte, noch ehe über sie abschließend entschieden wird, schon ein Ausblick auf die neue E-Ticketing-Zukunft zu haben sein. Im September, wenn der Minister zur Mobilitätswoche wie jedes Jahr gern Innovationen vorstellt, soll ein E-Ticket für Smartphones herauskommen. Anschließend soll das E-go-System „ganz stark modernisiert“ werden, wie man sich beim Verkéiersverbond ausdrückt, um nicht sagen zu müssen, abgeschafft: Der von E-go benutzte Typ Karte sei 2008 – in dem Jahr, als E-go endlich an den Start ging – für informationstechnisch „vulnerabel“ eingeschätzt worden. Deshalb würden die Karten ersetzt. Das neue E-Ticketing aber werde „Mehrwerte“ bieten. 2014 werde ein Webshop eröffnet, über den sich die Karten „nachladen“ lassen. An Haltestellen würden Nachlade-Automaten installiert, in Bussen und an Bahnsteigen neue Entwerter. Dort soll sich ablesen lassen, welches Guthaben noch auf einer Karte steckt und wann eine Fahrt angetreten wurde. Dass mit einer Karte für mehrere Personen bezahlt werden kann, soll ebenfalls möglich sein. Und um Mobilität in „Ketten“ zu realisieren, sollen die Karten eines Tages auch zum Bezahlen in Parkings, zum Leihen von Fahrrädern und Carsharing-Autos genutzt werden und beim Aufladen von Elektroautos an öffentlichen Nachladesäulen zur Identifikation des Stromverbrauchers dienen können.

Bleibt noch der Kostenpunkt des schönen neuen Systems. 23 Millionen Euro werden nicht der Endpreis sein. Sie umfassen nur die Investitionen in Phase eins bis 2017, die Init aus Karlsruhe realisieren soll. Über Phase zwei, in der auch die Tram eingebunden, später vielleicht E-Ticketing und Datenfluss grenzüberschreitend werden sollen, bleibt noch zu reden.

Mit all seinen Funktionen wird das Leitsystem aber auch personalintensiv sein. Seine Funktionskosten werden höher sein als die rund 2,5 Millionen Euro, die 2008 für E-go veranschlagt wurden. Für Wartung, Instandsetzung und den Betrieb des Meta-Netzes sieht das Infrastrukturministerium die Schaffung „einer Reihe neuer Posten“ vor. Wie lang die Reihe sein soll, hat aber nicht mal der parlamentarische Haushaltskontrollausschuss vergangene Woche erfahren – weshalb Ausschusspräsidentin Anne Brasseur (DP) noch einmal nachfragen will. Der Regierungsrat hat Schätzungen erhalten. Doch: Wie viel Personal man braucht, wird stark davon abhängen, was sich mit RBL wird realisieren lassen. Setzt Claude Wiseler eine Busspur mehr durch, kann das, muss aber vielleicht nicht weniger Personal kosten. Auch so gesehen, steht „E-go plus“ schon heute unter einem Riesenerfolgsdruck.

Peter Feist
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