Wirtschaftsnobelpreisträger Christopher Pissarides

Tschüss Euro?

d'Lëtzebuerger Land du 21.06.2013

„Als wir 2008 den Euro eingeführt haben, kam Jean-Claude Trichet nach Zypern und wir haben gefeiert. Rückblickend war die Feier vielleicht ein wenig verfrüht“, leitete Christopher Pissarides seinen Vortrag im Rahmen der World Anti Crisis Conference Ende Mai in Astana ein. Die Einschränkungen, welche die Gemeinschaftswährung den Eurostaaten auferlegt, seien nach hinten losgegangen, so der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2010, weil sie das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen bremsten. Die Situation ist laut Pissarides so unbefriedigend, dass man den Euro entweder koordiniert abschaffen oder aber schnell die Instrumente schaffen sollte, die der Währungszone fehlten. Für ihn sind das die Bankenunion einerseits – „ weniger kontrovers“ – und die Fiskalu­nion andererseits. Neben der zentralen Aufsicht wird laut Pissarides dringend eine Behörde gebraucht, die entscheidet, welche Banken abgewickelt werden und welche Kapitalspritzen erhalten (siehe auch Seite 28-29), eine Entscheidung, die nicht den Mitgliedstaaten überlassen werden könnte. Daneben fordert Pissarides schnellstens gemeinsame Europäische Anleihen, also Eurobonds, einzuführen.

Unter Fiskalunion versteht der Professor, dass es eine zentrale Institution gibt, welche die na­tionalen Haushalte prüft und dies sehr viel strenger, als bisher durch den Stabilitätspakt vorgesehen. „Auch jetzt schon finden über die Strukturfonds und die Stabilitätsmechanismen Fiskaltransfers zwischen den Staaten statt. Das reicht offensichtlich nicht aus, und wenn der Stabilitätsmechanismus und Eurobonds zu größeren Fiskaltransfers führen, brauchen wir mehr zentrale Kontrolle über die Haushalte“, so Pissarides. Nur so könnten die Transfers für die Geberstaaten akzeptabel gemacht werden. Für den Wirtschaftsprofessor muss es neben einem solchen Haushaltskomitee außerdem einen Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeitsrat geben, der die Strukturreformen in den Mitgliedstaaten überwacht, besonders in denen, die Hilfszahlungen der Euro-Partner, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds erhalten haben. Ein solcher Rat könnte auch dringend notwendige Investitionsprogramme der Staaten überwachen, die seiner Ansicht nach nicht in den laufenden Jahreshaushalten abgerechnet werden sollten, sondern separat. „Die Entscheidung darüber, was eine Investitionsausgabe ist und was nicht, kann man nicht den Mitgliedstaaten überlassen, weil sie sonst aus allem eine Investitionsausgabe machen.“ Die aktuelle Krisenpolitik Europas nennt der Arbeitsmarktforscher „beschäftigungsfeindlich“. Dass die Arbeitslosigkeit in Europa wegen der sozialen Vorsorgesysteme so hoch sei, ist seiner Ansicht nach „ein Mythos“. „In den Staaten mit besonders hoher Arbeitslosigkeit gibt es keine Wohlfahrtssysteme. Sie sind bankrott und sie hatten auch vorher nicht viel davon, jedenfalls nicht in dem Maß, dass sich dadurch die hohe Jugendarbeitslosigkeit erklären ließe.“ „Es gibt ganz einfach keine Jobs wegen der gesamtwirtschaftlichen Politik, die verfolgt wird. Wir brauchen dringend eine Politik, die Arbeitslose in Arbeit bringt“, kritisiert Pissarides die Austeritätspolitik in Europa. Sie riskiert seiner Meinung nach, die Reformansätze in Krisenländern wie Spanien und Griechenland zu ersticken. „Es ist wahr, dass die Arbeitsmärkte in den Südländern flexibler werden müssen, wenn das Wachstum und die Vollbeschäftigung zurückkehren sollen“, so Pissarides in seinem Vortrag. „Die beste Jobgarantie ist ein flexibler Arbeitsmarkt, der Arbeitsplätze schafft, nicht ein gesetzlicher Kündigungsschutz.“ Dadurch komme es nicht zur Langzeitarbeitslosigkeit, argumentiert der Forscher, der für einen Mindestlohn von zwischen 40 und 45 Prozent des mittleren Einkommens plädiert. Doch die Folgen der außerlegten Austeritätspolitik für die Wirtschaft in den Krisenländern seien dermaßen groß, dass sie die Reformversuche unterwanderten und es erschwerten, die notwendige Zustimmung der Sozialpartner einzuholen. Dabei zeige die Erfahrung der Agenda-2010-Reformen in Deutschland, dass solche Maßnahmen drei bis fünf Jahre bräuchten, um Wirkung zu zeigen. „Das Problem ist, dass wir eine Antibeschäftigungspolitik verfolgen, um die Schulden zu senken, und es die 17 Euroländer nicht schaffen, zu entscheiden, wo die Eurozone in Zukunft hinsteuert. Das schafft so viel Spannung in der Währungszone, dass sie von allein auseinanderbrechen könnte, wenn nicht bald koordinierte Maßnahmen getroffen werden.“

Michèle Sinner
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