Budgetreisen

Einmal um die ganze Welt

d'Lëtzebuerger Land du 20.05.2010

New York, Rio, Tokio. Was genau kostet die Welt? Das hier sein, dort sein, dabei sein. Tel Aviv, Stockholm, Madrid oder Sofia, Pristina, Manchester. Ziele gibt es viele, manche charmant wie eine Frühlingsbrise, andere so abgelutscht wie ein Himbeer-Drops. Die Wahl liegt zwischen englischer Arbeitersiedlung, osteuropäischer Plattenbauvorstadt oder südfranzösischem Edelstrand. Die Weltkrise bedeutet nicht, dass man nichts mehr von der Welt mitbekommen oder einem der Schick osteuropäischer Vorstadtflughäfen für immer und ewig verborgen bleiben muss. Man muss nur buchen.

Denn jedes Fernweh kostet höchstens neunzehnkommaneunundneunzig Euro. Glaubt man den unzähligen Billigfliegern, lässt sich die Welt für einen Zwanziger erkunden, zumindest im Umkreis von vier Flugstunden. Alles Weitere macht für die Budget-Airlines keinen Sinn. 19,99 für den Schnapp geht es beispielsweise ab Köln/Bonn nach Reykjavik oder nach Israel oder wenn man nach Südfrankreich will, nach Norditalien oder auf Griechenlands schönste Inseln. Ab Charleroi sind die Vorstädte von Barcelona, Oslo und London zu erreichen.

Neunzehnneunundneunzig. Sternchenvermerk: Wenn man nur mit Handgepäck reist und auf einen reservierten Sitzplatz verzichtet. Die Sache mit dem Sitzplatz ist schnell verziehen, denn die Zahl der Stehplätze ist in Flugzeugen äußerst begrenzt. Nur der Aufschlag für den Koffer – zehn Euro pro Gepäckstück und Strecke etwa bei Germanwings – der bleibt, denn aufgrund der Sicherheitsbestimmungen dürfen Flüssigkeiten nur in begrenzter Menge und gut sichtbar ins Handgepäck. Also den Koffer zubuchen, und doch noch den Sitzplatz und das Happy-Snack-Angebot für die dreieinhalb Stunden nach Skandinavien, damit die Reise entspannt beginnt. Und irgendwann will man doch wieder nach Hause. Alles in allem 83 Euro Reiseentgelt für ein Wochenende in der Mitternachtssonne. Einzige Voraussetzung: Man ist flexibel und Reisezeiten am nächsten Abend sind kein Hindernis.

Über das Internet wird die Wohnung in einem ruhigen Vorort der isländischen Hauptstadt gebucht, dazu noch das Ticket für den Transport vom Flughafen in die Innenstadt – mit zweistündigem Stopp an der sagenumwobenen und viel gerühmten Blauen Lagune auf dem Rückweg zum Flughafen bei der Heimreise. Island ist gut organisiert. Der Isländer ebenfalls, denn ihn schreckt es nicht, wenn Gäste nachts um halb drei an Haustüren schellen, um Schlüssel abzuholen. Billigfliegende haben andere Vorstellung von Tag und Nacht und Höflichkeit. Doch in Reykjavik scheint noch die Sonne und das Leben ist ein leichtes.

Seit dem Island-Crash im letzten Sommer sind Reisen in den hohen Norden erschwinglich geworden. Da bleibt Budget auch wirklich Budget. Oberstes Gebot: Bitte zahlen Sie in Euro! Auch das ist regelbar, erspart es einem doch die Geldwechselei und macht zudem fitt im Kopfrechnen, wenn man schon den einfachen Brühkaffee aus Islandkronen in Europaeuro umrechnen muss. Eine Übervorteilung ist nicht im Etat vorgesehen. Als Billigfliegender erliegt man schnell, sehr schnell der eigenen Illusion, dass alles, aber auch alles, gnadenlos billig sei oder sein muss.

Mit den Billigfliegern wurde Europa zur Malebenso-Destination, einfach mal hin und weg. Einfallen und auffallen. Anschnallen, abfliegen. Gestern noch Reykjavik am nördlichen Ende des Kontinents, am nächsten Wochenende dann Party in Tel Aviv, bevor in Zentraleuropa die Decke auf den Kopf fällt. Mit den Budgetairlines wurde auch der Luxustripp sozialdemokratisiert. Mailand, Paris, Barcelona für jedermann. Es ist nicht mehr nur die Unternehmergattin, die mal eben kurz zum Schuhe shoppen an die Côte d’Azur jettet. Nun sitzt auch der Rest vom Dorf zwei Reihen hinter ihr und freut sich diebisch darüber, den Flug drei Euro günstiger bekommen zu haben.

Doch die Unternehmergattin braucht sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen, dass die mitfliegende Schar ihr auch die Schuhe streitig macht, denn die begnügt sich meist mit dem Aufsuchen der üblichen Filialläden auf Gottes weiter Welt. Ein T-Shirt vom H[&]M-Wühltisch in Helsinki hat doch tausendmal mehr Charme und Chic als ein ähnliches Hemd aus Saarbrücken.

Hartgesottene Billigjetter verbleiben an den jeweiligen Zielflughäfen und schneiden sich so ihr Stück von der Globalisierung ab. Damit bleibt es auch ausnahmslos günstig, auch wenn die Aussicht nicht erhebend ist und das kulturelle Angebot gegen Null tendiert. Andere Airlines bieten den Partyflug als Event und bringen den Gesellschaftstanzwagen der Bahn über die Wolken. Wehe dem DJ, der Turbulenzen übersehen hat und seine Tanzschaft zum angeschnallten Sitzen auf schnell zu säubernden Sitzen verdonnert. Am Flughafen steht dann der Bus zur Großraumdisko bereit: die Musik soll dort angeblich eine ganz andere als in Mitteleuropa sein, und das Bier aus Diekirch oder Bitburg schmeckt in der Gischt Ibizas ganz, ganz anders.

Der Weg bleibt das Ziel, und er ist spartanisch. Schon auf dem Hin- und Rückflug. Kein Bordkino, kein Entertainment, keine Flugbegleiterin, die gerne noch mal nachschenkt. Stattdessen kommen über das Bordmikrofon ständig neue Werbebotschaften – für das Getränkeangebot des Fliegers, für das Vielfliegerprogramm und noch eine Kreditkarte, dann mehrmals die Anpreisungen des fliegenden Dutyfreeshops, des Verzehrshops, des Erfrischungsshops und schließlich nochmals der Hinweis auf die Kreditkarte mit all ihren Vorzügen. Billigreisen auf Pump. Mit der Geldkarte der Airline gibt es immerhin den Sitzplatz in den ersten vier Reihen umsonst und der mitfliegende Koffer darf 30 Kilogramm wiegen. Bezahlt werden muss trotzdem.

Dermaßen auf die Härte des ununterhaltsamen Reisens zurückgeworfen, besinnt man sich auf die Fortbewegung an sich, erkennt die Poesie der Positionsbestimmung, die ständig über die Bordmonitore – dort, wo früher der Film flimmerte – angezeigt wird. Oder man sieht sich an der unten liegenden Landschaft satt, sofern man überhaupt etwas erkennt.

In Reykjavik lässt sich mitnehmen was geht. Ein Kunstfestival, ein Kultur-Café, ein CD-Laden, ein Restaurant, ein Club, die Mitternachtssonne gibt es gratis dazu, wie auch die Frische, die kühle Frische, den Nieselregen und jede Menge Isländer. Die Woche darauf, mal eben so nach Tel Aviv. Es soll die heißeste Stadt am Mittelmeer sein, Bombenstimmung in jedweder Hinsicht, mit Strand und ein wenig fremdländischem Flair. Geschichte, Kultur, Politik sind längst auf der Strecke geblieben. Der Flug ans südöstliche Mittelmeer scheint begehrt zu sein, denn für zwanzig Euro ist nicht viel drin. Hier verlangt der Budgetflieger dann doch schon achtzig Euro für die einfache Passage. Dann bleibt der Koffer zu Hause, am Strand braucht es nicht viel und Zahnbürsten gibt es auch in Israel zu kaufen.

Ein Hostel für zwanzig Euro die Nacht. Wie genau definiert sich die Leichtigkeit des Seins bei der Matratzenwahl? Okay, die ersten drei Stunden des Kurzaufenthalts vergehen dabei, die notwendigen Utensilien für das Nächtigen zu erstehen, dann die Suche nach der Absteige und das erschöpfte Sinken in die Laken. In zwanzig Stunden steht ohnehin der Rückflug an. Und die Erinnerung wird später in wilden Fantasien schwelgen und dabei verschweigen, dass die Stadt für den Eiligbilligreisenden nur den Anblick einen Ventilators im Hotelzimmer übrig hatte.

Dann doch lieber in die Vollen und auf, ab und davon. Warum die Globalisierung nicht beim Wort nehmen: Neue Kleider gibt es selbstredend aus Mailand. Morgens hin. Abends zurück. Dazwischen mit dem Mietwagen die Outlets italienischer Nobeldesigner abgegrast. Der Anzug von Trussardi, der Mantel von Armani, die Hemden von D[&]G. Der Rückflug wird zum Schaulauf der schönsten und größten Einkaufstüten. Das Flugpersonal ist vorbereitet und legt die Bags fachgerecht vorsichtig. Zum Flug kommt die Klamotte dazu. Und irgendwann auch der Druck, der Wunsch, der Wahn, jede Destination der Budgetflieger ausprobiert haben zu müssen, denn schließlich liegt in der Ferne die Würze gegen die Langeweile der eigenen Häuslichkeit und man spart bei Mittelfernreisen doch erheblich gegenüber einer Bahnfahrt von Luxemburg nach Lyon, Ludwigshafen oder Lüttich. Und was genau sind eigentlich ökologische Bedenken?

Martin Theobald
© 2024 d’Lëtzebuerger Land