Während der Vorbereitung dieser Veranstaltung wurde ich gefragt, ob ich einen Beamer benötige. Architekten haben ja die Angewohnheit, ganz viele hübsche Bilder zu zeigen – eine Angewohnheit, der ich heute widerstehen möchte, auch weil das Thema leider etwas deprimierend ist. Ich würde sagen deprimierend, aber nicht hoffnungslos.
Wenn ich ein Bild gezeigt hätte, dann das von einer Anzeige, die ich kürzlich in der Zeitschrift Wunnen sah. Hier werden von einem Entwickler zwei Doppelhaushälften angeboten, beide um die 250 Quadratmeter, weiß verputzt, mit uninspiriert eingezeichneten Fenstern, das Flachdach grau, ebenso wie der Vorgarten. Holzläden bei den Fenstern springen einem als vermeintlich ästhetisches Highlight angesichts der allgemeinen Tristesse entgegen und sollen die Nachhaltigkeit des Projekts bezeugen. Tatsächlich hat das Haus eine deprimierende Anmutung, aber vor allem ist es viel zu groß, ohne jegliche städtebauliche Qualität, ohne jeglichen ökologischen Anspruch, und unfassbar teuer. So fragt der Entwickler sage und schreibe 2,4 Millionen Euro für die eine Doppelhaushälfte und knapp
2,7 Millionen für die andere ab.
Dieses Bild ist symptomatisch dafür, was der freie Markt in Luxemburg die letzten Jahre mit wenigen Ausnahmen baut. Davon könnte ich hunderte Fotos zeigen, die ich während meiner Fahrradtouren durchs Land mache: zu groß, zu viel Grund und Boden in Anspruch nehmend, viel zu teuer, und durchgängig Sondermüll, mit dem sich spätere Generationen rumschlagen müssen. Sie kennen diese Projekte zu Haufe, sicherlich auch in ihrer eigenen Gemeinde. Sie machen – manchmal in etwas kompakterer Form – zusammen mit den Häusern, die Privatleute für sich bauen, das absolute Gros des hiesigen Wohnungsbaus aus, wo die öffentliche Hand insgesamt – also Gemeinden und staatliche Fonds zusammen weniger als zwei Prozent aller Wohnungen besitzen.
Erlauben Sie mir, kurz darauf einzugehen, wie es so weit kommen konnte. Wir sind tatsächlich sehenden Auges in diese Situation reingeschliddert. Bereits in den 1990er Jahren war klar, dass Luxemburg, um das Sozialsystem und um vor allem das extrem komfortable Rentensystem zu finanzieren, kontinuierlich auf Wachstum setzen muss. In einem Bericht für die Regierung von 1996 heißt es grosso modo, dass Luxemburg ein ökonomisches Wachstum von vier Prozent generieren müsse, um das Rentensystem langfristig zu finanzieren. Seitdem sind wir zum Wachstum verdammt.
Nun wurde alles dafür getan, um dieses Wachstum zu schaffen, aber die sozialen und ökologischen Auswirkungen dieses Wachstums – insbesondere die Wohnungsfrage – wurden jahrelang vernachlässigt, obwohl es in dem gleichen Bericht hieß: „Il est implicitement supposé que le Luxembourg gérerait sans-à-coup et avec souplesse tout phénomène de congestion dû à l’infrastructure qui accompagnerait en réalité une telle évolution de la population“.
Trotzdem wurde der Wohnungsbau, den ich unter den Sammelbegriff der Infrastrukturen fassen würde, den privaten Akteuren überlassen, die die eben beschriebenen Zuckerwürfel billig, aber mit enormen Profiten, gebaut und für horrende Preise verkauft und seltener vermietet haben. Dabei hat der große Lucius Burkhardt schon 1980 zutreffend gesagt, dass der freie Markt seit jeher den Beweis schuldig sei, dass die Nachfrage nach Wohnungen auch ein entsprechendes Angebot schaffe. Pustekuchen! Der freie Markt hat in Luxemburg mitnichten die Wohnungen gebaut – weder quantitativ noch qualitativ – die es braucht, und da sind nicht die viel zu lange Prozeduren schuld.
Wohnungsbau ist wie der Bau von Infrastrukturen eine Aufgabe von höchster gesellschaftlicher Bedeutung, vor allem in einem Land, das zum Wachstum verdammt ist. Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage schlechthin.
Natürlich gibt es Wohnungskrisen in vielen anderen Schwarmstädten, die in den letzten Jahrzehnten Wachstum verzeichnet haben, aber in keinem anderen Ort Europas ist ein so großes ökonomisches und demografisches Wachstum auf eine so große Wohnungsknappheit gestoßen wie in Luxemburg. So hat die Region 1990 nur etwa 30 000 Grenzgänger verzeichnet, heute zählen wir über 220 000 Menschen, die aus grenznahen Regionen nach Luxemburg tagtäglich einpendeln. Damit verzeichnet der funktionale Raum von Luxemburg mit dem höchsten ökologischen Fußabdruck Europas und dem zweithöchsten der Welt den höchsten Anteil der Mobilität an genau diesem ökologischen Fußabdruck, nämlich in etwa die Hälfte. Und die Menschen – mittlerweile auch viele Luxemburger – ziehen nicht nach Tiercelet, Perl oder Aubange, weil sie lieber im Grünen leben und dafür im Schnitt zwei Stunden pro Tag Autoverkehr in Kauf nehmen, sondern vor allem weil wir es hier nicht geschafft haben, genügend bezahlbaren Wohnraum in der Nähe der Arbeitsstätten, also in Luxemburg-Stadt herzustellen, wo im Gegenteil viel zu viel Büroflächen gebaut worden sind. Somit ist die Wohnungsfrage auch eine ökologische Frage.
Dass die öffentliche Hand, also der Staat und die Kommunen hier viel zu wenig in dreißig Jahren getan haben, ist klar und dass die Anstrengungen, die die letzten Jahre unternommen wurden, diesen Rückstand nicht aufholen können, ist ebenso klar. Denn wir haben es mit einem extrem langsamen Sektor zu tun.
Tatsächlich gehen einige Maßnahmen in die richtige Richtung, zu nennen sind hier der Einsatz des Erbbaurechts im Rahmen der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die finanzielle Unterstützung der Gemeinden bei der Stadtreparatur, die Einrichtung eines speziellen Fonds, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sowie Berater für Mieter und Gemeinden anzubieten.
Auch positiv zu erwähnen sind die Anstrengungen der beiden öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, die viele Projekte in der Pipeline haben, die in den nächsten Jahren in der schleppenden Wohnungsfrage ihre Früchte tragen werden. Aber selbst wenn in den nächsten fünf Jahren private und öffentliche Entwickler ihre Möglichkeiten ausreizen, was der Liser mit der Realisierung von 38 000 Wohnungseinheiten beziffert – und was angesichts der derzeitigen Zinssituation zu bezweifeln ist – dann würde das den kommenden Wohnungsbedarf laut Statec gerade so abdecken, aber nicht den Rückstand aufholen. Mit anderen Worten: Selbst, wenn wir uns sehr anstrengen – und „sehr“ heißt hier, dass die beiden öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften (mit dem Fonds Kirchberg, Agora und dem Fonds de compensation) in den nächsten fünf Jahren über 3 300 Wohnungen bauen, wird die Wohnungsfrage virulent bleiben.
Wir müssen daher in der Wohnungsbaupolitik einen Schritt weiter gehen, und ich möchte hier auf einige Maßnahmen eingehen, die bislang unzulänglich behandelt wurden und meiner Ansicht nach in den nächsten Jahren, also von der nächsten Regierung und den nächsten Gemeinderäten unbedingt angegangen werden sollten.
Erstens: eine sozial-ökologische Grundsteuer. Die Bodenfrage ist schon immer entscheidend für die Wohnungsfrage gewesen. Vor allem in einem kleinen Land wie Luxemburg, wo die Unvermehrbarkeit von Grund und Boden besonders augenscheinlich ist. Warum schafft es die Politik nicht, eine wesentliche Grundsteuer einzuführen, die größere Liegenschaften, ich sage explizit größere Liegenschaften und nicht den Einfamilienhausbesitzer maßgeblich besteuert, um die großen Anstrengungen im Wohnungsbau zu refinanzieren? Die vielleicht noch dazu das Augenmerk nicht nur auf unbebaute, sondern vor allem auf versiegelte Flächen richtet? Hier wird Liberalismus falsch interpretiert, denn Liberalismus war immer schon gegen die Entfaltung von Monopolen, und in der Bodenfrage haben wir es mit Großgrundbesitzen zu tun, während der Schutz des kleingestreuten Eigentums unangetastet bleiben muss.
Zweitens: eine stärkere Inpflichtnahme von Bauträgern. Der Pacte Logement 2.0 sieht vor, dass Entwickler bis zwanzig Prozent des Grundstücks oder der Wohnungen für bezahlbaren Wohnungsbau abtreten, im Gegenzug jedoch zehn Prozent mehr Baurechte erhalten. Das geht zwar in die richtige Richtung, aber warum schaffen wir es nicht, Bebauungspläne wie andere Gemeinden in Europa so anzulegen, dass von Bauträgern in ihren Projekten mindestens dreißig oder vierzig Prozent geförderter Wohnungsbau hergestellt wird? Ich mag Sie daran erinnern, dass der Stadtrat von München im Rahmen der SoBoN (Sozialgerechten Bodennutzung) diesen Anteil gerade von vierzig auf sechzig Prozent erhöht hat. Und München ist nicht bekannt als Hort kommunistischer Spinnereien. Es kann nicht sein, dass Gewinne im Wohnungsbau privatisiert und die Kosten der Infrastrukturen gemeinschaftlich getragen werden.
Drittens: das Fruchtbarmachen von Genossenschaften. Ich rede mir seit Jahren den Mund fusselig, dass Genossenschaften in vielen Städten Europas einen beträchtlichen Beitrag zum bezahlbaren Wohnungsbau leisten, dass ihre Projekte architektonisch meist anspruchsvoll sind und ökologisch, weil sparsam mit Boden und Raum, und noch viel mehr als Baugruppen sozial durchmischt sind. Hier liegt eine große Chance für Luxemburg. Die Argumente, dass Luxemburger exklusiv auf Eigentum stehen, und dass es sich bei Genossenschaften um Nischenprodukte handelt, sind Scheinargumente. Zum einen wandelt sich die Gesellschaft, es gibt nicht mehr nur die eine Gesellschaft. Zum anderen sind Genossenschaften wie Schneeballsysteme: Da sie gemeinnützig sind, vermehren sie sich mit der Zeit.
Vielleicht denken viele bei Genossenschaften an „Genosse“, an Sozialismus, dabei handelt es sich um ein Selbsthilfeprojekt der Mittelschicht. Genossenschaften organisieren sich selbst, planen selbst und deren Mitglieder ziehen dann selbst ein. Daher die hohe Qualität der Projekte. Das Einzige, das sie von der öffentlichen Hand benötigen, sind Grundstücke in Erbbaurecht zu günstigen Konditionen, nicht so wie es der Fond Kirchberg mit Ad Hoc gemacht hat und zwar den Erbbauzins am Anfang einkassieren zu wollen, was eine vollkommen falsche Anwendung des Erbbaurechts ist, der ja den Effekt haben soll, zu Beginn eines sozialen Projekts niedrige Investitionen zu ermöglichen. Eine nächste Regierung sollte sich intensiv darum bemühen, Genossenschaften zum Florieren zu bringen und mit relativ geringem Einsatz einen nachhaltig hohen Effekt in der Wohnungsfrage zu erzielen.
Viertens: die intensive und kreative Transformation fossiler Hinterlassenschaften. Es geht bei der Wohnungsfrage nicht nur darum, wer für wen baut, sondern auch, wo gebaut wird. Und das wird im Zeitalter des Klimawandels und Ressourcenschwunds immer wichtiger. Nichts wäre verlockender, als die Bauperimeter zu vergrößern und fleißig auf der grünen Wiese zu bauen. Aber das wird nicht mehr gehen. Luxemburg ist bereits das fragmentierteste Land in Europa. Zwölf Prozent seiner Fläche sind bereits heute Siedlungs- und Verkehrsfläche, jeden Tag wird ein halber Hektar urbanisiert und davon werden etwa die Hälfte – also circa 2500 m2 – versiegelt. Das sind im Jahr in etwa ein Quadratkilometer. Wir haben aber insgesamt nur 2586 km2 zur Verfügung. Hier läuft die Sanduhr langsam aber sicher ab, wenn wir nicht gegensteuern. Meine These ist hier das Bonmot aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman Il Gattopardo: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.“ Wenn wir wollen, dass angesichts des Wachstums dieses Land so bleibt wie es ist, müssen Wohnungsbau und Landesplanung zusammengedacht werden, müssen wir vollkommen neue Wege der Bebauung konzipieren und implementieren: Dazu haben wir und andere Teams im Rahmen von Luxembourg in Transition Vorschläge gemacht: Überbauung von Bestandsgebäuden, Transformation von Gewerbegebieten in durchmischte Quartiere und von Einfallstraßen in Avenuen mit verdichtetem Wohnungsbau, Bebauung von Parkplätzen, usw. usf. Wir müssen den Bestand behutsam transformieren und ihn nicht abreißen, um die Grundstücke mit wärmedämmenten Kisten zu verdichten. Das ist ökologische Scheinheiligkeit! Der Wohnungsneubau eines Jahres verursacht in Luxemburg etwa die Hälfte der Treibhausgase wie die Nutzung sämtlicher Bestandswohnungen. Der Bestand ist das Gold der Stadt.
Fünftens, und mit dieser Forderung mache ich mich hier womöglich nicht beliebt, müssen wir eine andere Formel finden, um die Gemeinden zu finanzieren, als das Budget an ihr Wachstum zu koppeln. Stellen Sie sich bitte die Frage, was passiert, wenn Sie die in Ihren Bebauungsplänen ausgewiesenen Flächen entwickelt haben, was irgendwann – wahrscheinlich nach Ihrem Mandat aber trotzdem irgendwann – passieren wird? Hört dann Ihr Wachstum auf oder erweitern Sie ihre Bauperimeter? Noch einmal: Wenn vor allem rurale Gemeinden so bleiben wollen, wie sie sind, dann muss das Wachstum dort kanalisiert werden, wo bereits versiegelte Flächen bestehen, wo öffentliche Verkehrsknotenpunkte bestehen, wo Urbanität oder zumindest das Potential von Urbanität besteht. Die derzeitige Aufteilung in hundert autonome Gemeinden ist historisch begründet, wird aber der Aufgabe, vor der wir stehen, nicht mehr gerecht. Wir brauchen effiziente Zusammenschlüsse auf der einen Seite und transnationale Projektgebiete, so genannte territoires de projets, auf der anderen Seite.
Sechster und letzter Punkt: Wir müssen noch mehr im Wohnungsbau experimentieren, denn bei der Wohnungsfrage geht es schließlich auch darum, was gebaut wird. Und das setzt voraus, dass die Wohnung nicht als reine Ware angesehen wird und allein den Gesetzen der Ökonomie unterliegt. Lassen Sie mich diesbezüglich aus Ernst Hübelis Buch Die Krise der Städte. Zur Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert zitieren: „Die demografischen Umwälzungen der letzten fünfzig Jahre sind Ausdruck einer stillen Revolution im Alltagsleben. In den Städten sind die klassischen Kleinfamilienhaushalte auf fünfzehn und weniger Prozent geschrumpft – zugunsten von Singles, Paaren, Alleinerziehenden, Wohngemeinschaften und vielem mehr [in Luxemburg kommt noch die hohe Fluktuation der Bevölkerung hinzu, wo hinzuziehende Menschen im Schnitt nur fünf Jahre im Land bleiben]. Fast alles hat sich verändert, nur die ‚moderne Wohnung‘ nicht. Sie orientiert sich bis heute am fordistischen Modell der 1950er-Jahre, als die serielle Massenproduktion für den kleinfamiliären Massenkonsum angekurbelt wurde, der wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand für alle versprach: ein Kühlschrank, ein Fernseher, ein Volkswagen, zwei Kinder und ein Blick ins Grüne. Dazu passt das Schema Wohn-/Ess-/Schlaf-/Kinderzimmer/Küche/Bad. Ob klein oder großflächig [wie in dem Haus, das ich eingangs beschrieben habe], das Schema gilt auch heute als vermeintlich bewährtes Modell und wird en masse produziert, obwohl es ein Minderheitsprogramm und selbst für Kleinfamilien museal geworden ist. Wie ist es möglich, am realen Bedarf und an den Bedürfnissen vorbeizuproduzieren? Eine solche Ignoranz wäre in anderen Branchen ruinös – wieso nicht in der Wohnbauindustrie? Die Frage ist so alt wie die Ursache des Problems: Das chronische Unterangebot befreit den freien Wohnungsmarkt von der Notwendigkeit, sein Angebot der Nachfrage anzupassen. Eigentlich ist es egal, was auf dem Markt geworfen wird. Wo Knappheit herrscht, ist alles begehrt.“
Wenn also der freie Markt nicht experimentiert, dann muss es die öffentliche Hand tun. Dazu gehört auch, Wohnungsbau als reine Typologie zu beenden und komplementäre Nutzungen, insbesondere Arbeiten, zu ermöglichen. Eine der größten Herausforderungen der luxemburgischen Raumproduktion besteht darin, Wohnen und Arbeiten zusammenzuführen. Aber auch die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften müssen so hart kalkulieren wie die privaten Entwickler und stehen durch die Zinserhöhung und Kostenexplosion im Bau unter Druck. Daher mein vielleicht utopischer Wunsch: Wir müssen neue Wohnformen experimentieren, die der gesellschaftlichen Nachfrage nachkommen, aber das geht womöglich nur, wenn Wohnen wie im Roten Wien ein Stück weit als Investition à fonds perdu angesehen wird – in eine lebenswerte Gesellschaft.