Er habe „einfach mol geschriwwen“: auf dem Smartphone, beim Fußballspiel seines Sohnes, in der Limousine im Stau oder sonntags im Bett, schreibt Claude Meisch in der Einleitung zu Staark Kanner – Eng Häerzenssaach. Und böse ließe sich hinzufügen: Man merkt es dem Buch an. Schon im Inhaltsverzeichnis häufen sich ärgerliche Rechtschreibfehler, die vermeidbar gewesen wären, hätte das Buch ein gründliches Lektorat gehabt. Es war wohl der Zeitdruck, weil der DP-Kandidat im Süden die 220 Seiten unbedingt für den Wahlkampf fertig haben wollte.
Was ein interessanter Exkurs über bildungspolitische Prämissen des DP-Ministers für Erziehung, Kindheit und Jugend hätte sein können, ist am Ende eine locker-flockige Zusammenstellung persönlicher Überzeugungen geworden. Über weite Strecken erweckt Meisch den Anschein, erst mit ihm habe fundierte Bildungspolitik stattgefunden, dabei basiert seine Vorgehensweise auf Grundsätzen, die andere vor ihm gedacht haben. Deren Beitrag bleibt im Dunkeln. Meisch verweist dann vage auf „vill Bildungsetuden“, die seine Konzepte und Tipps angeblich untermauern. Fußnoten und Literaturliste gibt es keine.
Selbstkritik oder Zweifel auch so gut wie nicht. Das hätte im Wahlkampf schwach ausgesehen – und das ist Meischs Sache nicht. Er ist ein Macher ... mit Herz. Einer, der Ungerechtigkeit nicht leiden kann und etwas dagegen unternimmt. Weshalb er sich bis heute über die School-Leaks-Affäre empört. Leidenschaftlich ist der Mensch hinter dem Politiker. Beziehungsweise so will er gesehen werden. Wer seine öffentlichen Auftritte kennt, weiß: Alles ist bei Meisch durchchoreografiert, bis zur Schmerzgrenze, wenn zum hundertsten Mal das Bildungs-Bonmot fällt, Kinder da abzuholen, wo sie stehen. Auch das berühmte Dorf, das es braucht, um zu erziehen, fehlt im Buch nicht. Und anekdotische Beispiele mit Philippe, Pablo, Claire, Helena und anderen (Wahl-)Luxemburgern, die der volksnahe Politiker Meisch getroffen haben will und die zeigen sollen, wie richtig er mit seinen über 100 Maßnahmen liegt. Wie kalkulierend der DP-Mann vorgeht, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er auf Luxemburgisch geschrieben hat, also für genau eine Zielgruppe: potenzielle Wählerinnen und Wähler. Die anderen braucht er nicht.
Nicht dass er mit allen Ansätzen falsch läge: Dass eine hochwertige Betreuung förderlich für die kindliche Entwicklung sein kann, ist eine bildungspolitische Binsenweisheit. Ebenso belegt ist allerdings, dass Frühförderung allein keine Wunder wirkt: Wie die Schule läuft auch sie Gefahr, soziale Ungerechtigkeiten zu reproduzieren. Von 20-Stunden-Gratissprachförderung und kostenlosen Schulbüchern profitieren alle, ungeachtet der Herkunft.
Das Buch hat das Verdienst, dass deutlich wird, wie Meisch sich die Bildungslandschaft vorstellt – und was er glaubt, zu deren Modernisierung beigetragen zu haben: der beendete Streit um die Einführung des Wertefachs, das den Religionsunterricht ablöst; die ausgebaute luxemburgisch-französische Betreuung als Vorbereitung auf die öffentliche Schule; I-Pad-Klassen, mehr Autonomie für Sekundarschulen, wobei dem Ex-Banker die Vergrößerung des englischsprachigen Angebots besonders am Herzen liegt.
Bemerkenswerterweise offenbart der Minister mitunter ein erstaunlich mechanistisches Bildungsverständnis: Ginge es nach ihm, genügte es wohl, wenn Eltern ihrem Kind mehr vorläsen, wenn es eine zweisprachige Krippe besuchte, wenn das Schulangebot vielfältiger würde. Da muss eine Schülerin, respektive müssen ihre Eltern nur etwas Passendes finden, sich anstrengen und alles wird gut. Von selektiven Mechanismen, die dem Schulsystem inhärent sind, ist keine Rede. Im Gegenteil, der Minister tut so, als sei es ein weiterhin ungelöstes Rätsel, wie soziale Segregation entsteht. Pisa habe keine Ursachen benannt, klagt er, und stellt deshalb Luxemburgs Teilnahme an der OECD-Studie in Frage. Dabei handelt es sich bei Pisa um Lernstandtests, die ausgewählte Kompetenzen prüfen, und nicht um eine Ursachenanalyse für ungleiche Bildungschancen.
Studien, wie die Meta-Studie der Bildungsforscher Kai Maaz, Ulrich Trautheim und Franz Baeriswyl von 2012, belegen indes, dass das Benotungs- und Versetzungssystem, das von Meisch gestärkt wird, sozial ungleich wirkt. Verantwortlich dafür ist, und das blendet er aus, sozial selektives Bewertungs- und Empfehlungsverhalten von Lehrern, die meist selbst aus besseren Schichten stammen – und fehlende Ressourcen auf Seiten von Eltern, die sich eben nicht so für die Bildungskarriere ihres Kinds einsetzen können wie Bessersituierte, selbst wenn sie es wollten. Meischs Politik hat sie teilweise im Blick beim Ausbau der Frühförderung und der Erziehungshilfen, sowie mit zusätzlichen Ressourcen für Kinder mit Schwierigkeiten. Aber im Bereich der Unterrichtsqualität, der Lehrplangestaltung und der Lehrerausbildung ist dem Minister wenig eingefallen, wenn man vom von der Vorgängerregierung veranlassten dreijährigen Stage absieht, den er aber opportunistisch wieder auf zwei Jahre verkürzt hat, um die Beamten nicht zu verprellen. Davon steht nichts im Buch; dafür gibt es zum Abschluss zwölf Prinzipien für eine, wie Meisch es ausdrückt, „gesellschaftsrelevante Bildungspolitik im 21. Jahrhundert“.