An 25 Standorten will die Regierung Wohnungsbau im großen Stil betreiben lassen. Aber ob dort wirklich „erschwinglicher“ Wohnraum entstehen wird, fragt sich

Priorität Eigentum

d'Lëtzebuerger Land du 27.06.2014

An 25 Standorten in 15 Gemeinden will die Regierung Wohnungsbau im großen Stil betreiben lassen. Die Flächen wurden für den Plan sectoriel Logement ausgewählt, der heute publik werden soll. Insgesamt werden damit fast 453 Hektar für so genannte Projets d’envergure veranschlagt. Das ist viel. Die ehemalige Industriebrache in Belval zum Beispiel umfasst an die hundert Hektar.

Eigentlich werden alle vier Entwürfe für die staatliche Raumplanung erst am heutigen 27. Juni veröffentlicht (siehe „Von sich reden machen“). Die 25 Wohnungsbauzonen dagegen standen schon Ende vergangener Woche im Memorial. Das hat prozedurale Gründe: Verschiedene Festlegungen aus den vier Plans sectoriels werden schon bindend, sobald sie publik sind; ganz gleich wie die politische Debatte um die Pläne ausgeht, für die die Regierung zwei Jahre veranschlagt hat. Die 452,64 Hektar sind damit schon jetzt für Wohnungsbau im allgemeinen Interesse reserviert. Die mit 70 Hektar größte zusammenhängende Einzelfläche befindet sich in Kayl, die zweitgrößte mit 63 Hektar auf dem Kirchberg in der Hauptstadt, die drittgrößte in Zolwer (38 Hektar). Aber auch Dörfer wie Contern, Roodt/Syre, Berchem und Olm wurden auserkoren.

All dies bedeutet nicht, dass ganz schnell und auf einen Schlag „vier Mal Belval“ mit Wohnraum bebaut werden sollen. Die rund 15 000 Wohnungen, die mit den Großprojekten angestrebt sind, würden innerhalb der nächsten 20 Jahre entstehen, hat Wohnungsbauministerin Maggy Nagel (DP) angekündigt, als Mitte Mai im Parlament die Grundzüge der vier Plans sectoriels vorgestellt wurden. Aber „drei bis fünf“ der 25 Vorhaben wünscht die Ministerin sich „ganz schnell“ angehen zu können. Welche, will sie mit den 15 Gemeinden kurzfristig klären. Die Großprojekte sollen „Modellcharakter“ haben. Man wolle damit zeigen, „wie man den Preis einer Wohnung um 30 Prozent drücken kann“, versprach Nagel. Denn vor allem beim sozialen Wohnungsbau „laufen wir noch immer dem Bedarf hinterher“. Weil die Regierung im Koalitionsprogramm festgestellt hat, die Wohnungspreise hätten „in den letzten Jahren ungekannte Höhen“ erreicht, und das Hauptziel der Wohnungsbaupolitik von Blau-Rot-Grün darin bestehen soll, „die Entwicklung der Immobilienpreise zu meistern, indem das Angebot an Wohnungen und an Bauland erhöht wird“, müssten die Projets d’envergure zeigen, wie diese Absicht gemeint ist.
Fragen stellen sich jetzt schon: planerisch, organisatorisch, finanziell, aber vor allem auch politisch.

Planerisch, weil auffällt, dass mit Ausnahme von Redingen sämtliche Großprojekte im Ballungsraum um die Hauptstadt sowie im Süden vorgesehen sind. Aber das heißt nicht, dass es im Ösling oder an der Mosel kaum noch Wohnungsbau geben wird. Für die Projets d’envergure wurden in erster Linie Flächen ausgesucht, die zusammmenhängend sind, eine gewisse Größe haben, sich möglichst schon im Besitz der öffentlichen Hand befinden und relativ schnell mobil gemacht werden können. Und: Sie sollten in jenen „urbanen Zentren“ liegen, die die Landesplanung eigentlich schon seit 1999 gezielt stärken will. Im April aber zeigte ein Bericht des Sozialforschungsinstituts Ceps-Instead, dass die meisten dieser Centres d’attraction nicht an Bevölkerung zugelegt haben, ziemlich unattraktiv sind für die bügerliche Mittel- und Oberschicht und sich dort stattdessen immer mehr soziales Sprengstoffpotenzial konzentriert (d’Land, 16.05.2014). Die Zentren nun aufwerten zu wollen, erklärt die Auswahl der Flächen in Gemeinden wie Sassenheim, Düdelingen, Käerjeng und Kayl. In Nord-Zentren wie Clerf und Vianden dagegen waren keine großen Flächen vorhanden. In Wiltz soll Wohnungsbau im großen Stil schon auf der Industriebrache der Stadt stattfinden. Und in der Nordstad liegen größere zusammenhängende Terrains vor allem an Flussufern, und es soll erst noch geklärt werden, unter welchen Begleitmaßnahmen zum Überschwemmungsschutz sie bebaut werden könnten. Dass der Regierungsrat am Mittwoch dieser Woche eine neue nationale Hochwasserkartografie verabschiedete, hat auch damit zu tun.

Dass neben den Centres d’attraction auch einige Dörfer ausgewählt wurden und in einer Gemeinde wie Contern immerhin insgesamt 40 Hektar erschlossen werden sollen, fällt ebenfalls auf. Planerisch ist das eine Herausforderung: Contern, Olm, Roodt/Syre und Berchem sollen offenbar ihr Gesicht verändern. Da der Text zum Plan sectoriel Logement vorschreibt, in einem Projet d’envergure müssten pro Hektar mindestens zwanzig Wohnungen entstehen, wären das auf 40 Hektar mindestens 800. Da die Großprojekte ausdrücklich zusätzlich zu dem ohnehin durch den Markt angetriebenen Wohnungsbau realisiert werden sollen, nähmen in den vier Dörfern, wo heute noch Bauernhöfe stehen, Urbanisierung und Bevölkerung nicht unbeträchtlich zu.

Ob es gelingen kann zu verhindern, dass damit das Hauptstadt-Umland aus gesichtslosen Schlafgemeinden noch ein Stück weiter nach außen wächst, wo der Bevölkerungsdruck doch schon jetzt nach Manternach im Osten oder Frisingen im Süden reicht? – Das wird auch davon abhängen, wer Planung und Urbanisierung vornimmt. Die Wohnungsbauministerin sprach im Mai davon, die Großprojekte sollten auch durch ihre Architektur und die Vielfalt ihrer Wohnformen Vorbildcharakter haben. Die Größenordnung der 25 Projekte aber könnte kommunale urbanistische Dienste selbst größerer Gemeinden gut und gern überfordern. Das Beispiel Belval zeigt, dass mit der Verwaltung einer hundert Hektar großen Fläche selbst ein staatlicher Fonds und eine halb staatliche, halb private Erschließungsgesellschaft ihre Probleme haben. Maggy Nagel deutete im Mai an, für Großprojekte könnten Flächennutzungspläne aufgestellt werden. Das hieße, dass der Staat plant, denn die Plans d’occupation du sol setzen punktuell den kommunalen Bebauungsplan außer Kraft und sind zugleich Teilbebauungsplan für das konkrete Projekt.

Doch ob der Staat – soll heißen: die Abteilung Landesplanung im Nachhaltigkeitsministerium – genug Zeit und Personal zur Verfügung hätte, um selbst die „drei bis fünf ganz schnell“ anzuschiebenden Vorhaben zu verantworten, ist alles andere als sicher. Am Ende würde wohl eher mit einem Promoteur zusammengearbeitet. Dann aber lautet die spannende Frage, ob es ein öffentlicher oder ein privater wäre, oder vielleicht ein Public-private partnership.

Finanziell könnten die Großprojekte eine Herausforderung werden, weil zumindest gegenwärtig noch nicht bekannt ist, wie viel der 453 Hektar sich schon in öffentlichem Besitz befindet. Wollte man nachkaufen, wofür der Plan sectoriel Logement dem Staat zu einem Vorkaufsrecht für die Großprojekt-Flächen verhelfen soll, würde das bei einem durchschnittlichen Grundstückspreis von landesweit 1,5 Millionen Euro pro Hektar selbstverständlich teuer. 90 Hektar sollen kurzfristig bebaut werden, hatte die Wohnungsbauministerin im Mai erklärt, ohne zu sagen, wo. Aber da die allermeisten Flächen in der teuren Hälfte des Großherzogtums liegen, würde ein Aufkauf von 90 Hektar, falls er nötig ist, höchstwahrscheinlich mehr als nur den Durchschnittspreis von 135 Millionen Euro kosten.

Darüber hinaus stellt sich die ganz prinzipielle Frage, auf welchem Weg man den „Preis“ einer Wohnung um 30 Prozent drücken will, wie Maggy Nagel versprach: Es vor allem dadurch erreichen, dass der Grundstücksanteil zu den Wohnungen in Erbpacht vergeben wird, müsste man politisch wollen. Ob es gewollt ist, ist derzeit noch unbekannt. Klar ist aber, dass eine jahrzehntelange Festlegung eines Terrains auf eine Erbpacht einer Kapitalvernichtung gleichkommt. Ein Grundstück wird damit für lange Zeit dem Kapitalverkehr entzogen. Erbpacht im großen Stil hieße deshalb auch, dass dem Eigentümer öffentliche Hand Einnahmen auf Zins und Zinseszins entgehen würden.

Darauf bewusst verzichten zu wollen, könnte man natürlich sozialpolitisch begründen. Zum Beispiel mit Verweis auf den Koalitionsvertrag – der hält fest, eine der wohnungsbaupolitischen Prioritäten sei die „Dynamisierung der Schaffung von erschwinglichem und sozialem Wohnraum“.

Die ist mit den Projets d’envergure auch beabsichtigt. Weniger dadurch, in einem kurzen Zeitraum so viel Wohnungen auf den Markt zu bringen, dass die Preise sinken. Dass man „schon viel erreicht hätte“, wenn man sie stabilisiert, wie Maggy Nagel im Mai meinte, darf man auch als ein politisches Bekenntnis verstehen, das die aktuelle Regierung mit ihrer Vorgängerin teilt: In einem Land, wo
70 Prozent der Wohnungen Eigenheime sind, würde ein politisch ausgelöster Preisverfall mit einiger Sicherheit an den Wahlurnen bestraft. Deshalb sind, auf 20 Jahre bezogen, 15 000 Wohnungen in den Projets d’envergure so viel nun auch wieder nicht. Dem Vernehmen nach geht die Regierung davon aus, dass die aktuelle Wohnungsproduktion von an die 3 000 im Jahr sich demnächst auf 3 500 erhöht und durch die Großprojekte weitere 500 jährlich hinzukommen.

Dass mindestens 30 Prozent der in den Großprojekten gebauten Wohnungen „erschwinglich“ sein sollen, macht der schon vergangene Woche veröffentlichte Textentwurf zum Wohnungsbauplan zur Pflicht. Als „erschwinglich“ aber definiert der Text bereits Wohnungen für Besitzer, die in den Genuss der staatlichen Förderungen zum Wohnungskauf kommen können. Für eine sonderlich soziale Festlegung muss man das nicht halten: Beim gegenwärtigen Indexstand ist zum Beispiel auch ein Zweipersonenhaushalt ohne Kinder und einem Jahresbruttoeinkommen von 66 000 Euro für die Kaufbeihilfe anspruchsberechtigt. Die Regelung zielt damit auf Wohnungsbesitzer aus der Mittelschicht ab.

Dagegen trifft der Text keine klaren Festlegungen für Mietwohnungen. Für Sozialwohnungen zur Miete heißt es zwar, dass sie geschaffen werden „sollen“, aber unter der Verantwortung der Gemeinden und je nach dem lokal und regional festgestellten Bedarf. Doch in Sozialwohnungen zu investieren oder nicht, ist wiederum eine politische Frage auf Gemeindeniveau. Der sehr kleine Anteil kommunaler Sozialwohnungen hierzulande zeugt davon, dass Gemeinden dafür in der Regel nichts unternehmen, wenn sie es nicht müssen. Dass auf dem freien Markt bei der herrschenden Wohnungsknappheit auch überteuerte Wohnungen ihren Abnehmer zum Kauf oder zur Miete finden, hält dazu an, die Wohnungsfrage dem Markt zu überlassen. Eine Zurückhaltung, sich „Sozialfälle“ in die Gemeinde zu holen, besorgt den Rest.

So dass sich, beim aktuellen Stand der Dinge, die politische Stoßrichtung des Plan sectoriel Logement leider so lesen lässt, als ändere sich nicht viel an der Wohnungsbaupolitik der Vergangenheit, die vor allem für Besitzer und Promoteure gemacht wurde. Nicht jedoch für sozial Schwache, nicht für junge Familien mit Kindern, nicht für junge Leute, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen oder die den Wegzug aus dem Elternhaus in die erste eigene Wohnung anstreben – was nicht „Besitz“ heißen muss. Wie man Mietwohnungen im Preisniveau bis 700 Euro schafft – das ist die Frage. Danach müssten Planer und Promoteure ausgesucht, dazu müssten gegebenenfalls öffentliche Mittel bereitgestellt werden. Und darum müsste die politische Diskussion sich drehen, wenn ab heute öffentlich wird, „was für ein Luxemburg“ bis 2030 gestaltet werden soll, wenn die Bevölkerung, wie in der Vergangenheit, pro Jahr um 12 000 bis 13 000 Einwohner zunimmt.

Peter Feist
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