Theater

Erträglichkeit szenischer Nachstellung

d'Lëtzebuerger Land du 21.02.2020

Irgendwo im Niemandsland, ein abgelegenes Viertel am Rande der Stadt. Der achtjährige Edgar wird wie aus dem Nichts von einem Wagen tödlich überrollt. Die Hinterbliebenen Olaf, Karoline, Ludwig, Susanne, Peter, Edna, Rosmarie sind allesamt auf ihre jeweilige Weise mit diesem Geschehen verwoben. Eine Gemeinschaft versucht Wunden zu lecken und reißt sie ständig wieder auf. Eine Gemeinschaft erlebt, wie die Tragik dieses Unfalls neue, verborgene, verdrängte Wunden offenlegt: Karolines Brustkrebserkrankung, Rosmaries Demenz, die Polizistin Edna, die nach einer zweiten Chance giert.

Anna-Elisabeth Frick inszeniert Dea Lohers preisgekrönte Drama Das letzte Feuer am Kapuzinertheater als Haus-Kreation. Ein spartenübergreifendes Bühnenwerk ist das Ergebnis, das an choreografischen, soundtechnischen und Performance-Einfällen nur so sprudelt.

Das formale Grundgerüst der Inszenierung sieht ein „Play within the play“ vor und schafft ein Reenactment als integralen V-Effekt: Die Figuren treten wie Darsteller vor das Publikum, schildern ihren Versuch, das Geschehene möglichst passgenau zusammenzupuzzlen, setzen sich seitlich auf Stühle und blicken auf die gekachelte Bühne auf der Bühne in grellem Neonlicht. Hier nun bietet das Ensemble eine Art Revue der Erinnerung, psycho-pathologische Symptome gescheiterter Lebensentwürfe der Hinterbliebenen. Diese epische Distanz, so Frick, helfe dem Publikum, das Unerträgliche durch Loslösung zu ertragen.

Das Sprechtheater liefert der Inszenierung zweifellos greifbare erzählerische Momente. Es sind aber insbesondere die skurrilen Performances, die dem Geschehen seine Verdichtung und Gravität verleihen. Sie überzeugen nicht alle, reichen von amateurhaften Versuchen bis hin zu physischer Expressivität. Zwei Künstler verdienen in diesem Kontext besondere Aufmerksamkeit: Max Thommes, 2019 herausragend in The Cave und Kult, bereichert den Theaterabend mit teilweise grotesk karikaturalen Showbeats und verstörenden Basstönen, dazu Tanz und Schauspiel. Tänzerin Catherine Elsen schreit als einziger Unfallzeuge „Rabe“ Todesschreie vom Balkon. Im pechschwarzen Abendkleid steigt sie mehrfach auf die Hauptbühne herab und schleicht sich als Todesallegorie durch den Shownebel. Auf unterschiedliche Weise Verstorbene schmeißt sie in Form von Plüschtieren in die Bühnenversenkung: groteske Todesmetaphorik im Stil einer Samstagabend-Show.

Die Inszenierung wirkt in ihrem Schwall an Kunstgriffen streckenweise überladen, die Kostüme – bewusst im Bad Taste gehalten – schießen übers Ziel hinaus, die seelischen Abgründe grell und schrill zu überlagern. Im Rückblick aber sucht Frick mit ihrer Interpretation von Lohers poetischer Psychoanalyse nach dramaturgischen Mitteln, das Psychogramm ihrer Figuren möglichst plastisch und doch erträglich zu gestalten – und wird fündig.

Die Qualität dieses mit Bravo-Rufen verabschiedeten Theaterabends verdankt das Kapuzinertheater auch einigen hochwertigen Darstellern: Matthias Breitenbach wirkt anfangs spröde wie ein Buchhalter, um schrittweise zum expressiven Tänzer zu mutieren. Brigitte Urhausen spielt die trauernde Mutter Susanne fein unterkühlt, Naturtalent Max Thommes presst Text und Ton aus dem Zwerchfell. Mimisch überragt aber insbesondere Kara Schroeder als Putze und Krebspatientin Karoline. Ihre üppige Oberweite auffordernd hinter einem Netzshirt entblößt, berichtet sie lasziv und selbstironisch, wie sie sich unbesonnenen durch die Betten vögelt und an den Folgen ihrer Erkrankung leidet. Sie verkörpert mimisch und gestisch eine Frau, die irgendwo zwischen seelischer Verkümmerung, Spott und laszivem Selbstbewusstsein hin- und herschwankt. Starke Figur, starke Darstellerin.

Sieht man von mancher Überladung ab und akzeptiert die grellen Kostüme, ist Das letzte Feuer die Inszenierung einer Tragödie, die eine Form findet, die effizient nach Mitteln der erzählerischen Distanz sucht und doch emotional bewegt. Am Ende sorgt der Auftritt des neunjährigen Finn Bösenberg für die Überraschung des Abends.

Das letzte Feuer von Dea Loher; Regie: Anna-Elisabeth Frick; Bühne, Kostüm und Licht von Lynn Scheidweiler und Mariam Haas; Musik von Max Thommes; Choreographie von René Alejandro Huari Mateus; Ton und Video von Joël Mangen; Dramaturgie von Anna-Sophia Güther: mit Matthias Breitenbach, Catherine Elsen, Nora Koenig Josiane Peiffer, Konstantin Rommelfangen, Kara Schroeder, Max Thommes, Brigitte Uhrhausen, Finn Bösenberg. Eine Produktion der Théâtres de la Ville de Luxembourg. Weitere Vorstellungen am 26. Februar und am 11. März jeweils um 20 Uhr im Kapuzinertheater; www.theatres.lu

Claude Reiles
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